Denken wie ein*e Philosoph*in – Das Team von denXte möchte mit Gedankenexperimenten einen Zugang zum philosophischen Fachdiskurs schaffen und wurde 2022 mit dem Communicator-Preis ausgezeichnet. Ein Gespräch über interaktives Philosophieren mit Teammitglied Christoph Sapp.
„Philosophisches Nachdenken macht einen Unterschied”
Herr Sapp, „Philosophie interaktiv!” ist das Motto von denXte. Was steckt hinter Ihrem Projekt?
Philosophisch über Themen nachzudenken kann sehr hilfreich und konstruktiv sein, um komplexe Strukturen zu durchschauen, informierte Entscheidungen zu treffen oder zu belastbaren Ansichten zu gelangen. Allerdings haftet der akademischen Philosophie ein verstaubtes Bild an, durch das sich viele Menschen eine philosophische Auseinandersetzung mit einem Thema gar nicht zutrauen. Daher hatte denXte-Initiator Markus Schrenk die Idee, die akademische Philosophie durch Gedankenexperimente zugänglicher zu machen. Diese werden beispielsweise in der experimentellen Philosophie angewendet und ermöglichen zunächst einen intuitiven Zugang zu einer philosophischen Frage. Dadurch möchten wir die Menschen zum philosophischen Denken einladen und an den akademischen Fachdiskurs anknüpfen. Aufbauend auf dieser Methode haben wir Formate entwickelt, die Bürger*innen auf unterschiedliche Arten Teil einer philosophischen Debatte sein lassen.
Was genau meinen Sie mit einer philosophischen Denkweise?
Wenn wir in der akademischen Philosophie ein Problem angehen, versuchen wir, die Fragestellung und unsere eigenen Annahmen darüber sehr präzise zu hinterfragen. Auch solche, die wir typischerweise als selbstverständlich ansehen. Dadurch entsteht ein Bewusstsein für persönliche Überzeugungen oder versteckte Annahmen, die eine Entscheidung beeinflussen. Diese Transparenz für das eigene Denken ist hilfreich, um in den philosophischen Fachdiskurs einzusteigen. Mit denXte möchten wir also Methoden des philosophischen Denkens weitergeben und dazu ermutigen, diese in den eigenen Alltag mitzunehmen.
Wie läuft so ein Gedankenexperiment ab?
Unser Kernformat für die Gedankenexperimente sind Abendveranstaltungen. Hierzu laden wir etablierte Forschende aus der akademischen Philosophie ein, ein Thema aus dem Fachdiskurs zunächst kurz und knapp in Form einer leicht nachvollziehbaren Situation zu präsentieren. Diese ist mit einer pointierten Frage verknüpft, wie zum Beispiel „Ist Wissen Glückssache?”. Bevor wir tiefer in das Thema einsteigen, können die Menschen mit einem Umfragetool eine intuitiven Einschätzung abgeben. Danach beleuchten wir, über welche Aspekte und Positionen man nachdenken könnte, um die Frage begründeter zu beantworten. Wir liefern also den philosophisch akademischen Hintergrund und erläutern, wie die fachliche Debatte zur jeweiligen Frage geführt wird. Dadurch möchten wir Aspekte aufzeigen, die man intuitiv eventuell nicht berücksichtigen würde. Nach der philosophischen Auseinandersetzung gibt es eine zweite Abstimmung. Spannenderweise beobachten wir hier häufig eine Umverteilung der Stimmen – philosophisches Nachdenken macht also scheinbar einen Unterschied.
Beteiligt sich das Publikum auch an der Debatte?
In jedem Format ist das Publikum eingeladen selbst Fragen zu stellen. Im Falle der Veranstaltungen werden diese im Zusammenspiel zwischen unserem Gast, dem Publikum und den Moderator:innen des Abends geklärt. Meist gibt es ein wenig Zurückhaltung zu Beginn, aber sobald diese überwunden ist bringt sich das Publikum sehr aktiv in die Diskussion ein. Manchmal gibt es schon vor der ersten Abstimmung spannende Fragen, die die Problemstellung präzisieren. Interaktion und Offenheit in der Debatte sind für alle denXte Formate von zentraler Bedeutung – wir möchten den Elfenbeinturm hinter uns lassen und den Menschen auf Augenhöhe begegnen.
Neben den Abendveranstaltungen haben Sie auch noch weitere Formate. Wie kam es dazu?
Nach den ersten drei Veranstaltungen in Präsenz kam die Corona-Pandemie. Diese wirkte für uns wie eine Art „Kreativitätsbeschleuniger”, weil wir alternative Formate finden mussten. Zunächst sind dadurch „denXte eXtra” und eine Online-Version unserer Veranstaltungen entstanden. Unser neuestes Format ist aktuell der Podcast „mitgedacht”. Außerdem gibt es unser Veranstaltungsformat mittlerweile auch im Rahmen größerer Events.
Was kann man sich unter „denXte eXtra” vorstellen?
Bei denXte eXtra funktioniert der Einstieg in die Fragestellung über ein kurzes Video. Die Videos teilen wir in den Sozialen Medien und binden sie auf unserer Webseite ein. Hier können sich Interessierte dann selbst durch das Gedankenexperiment klicken, abstimmen, weiterlesen und eigene Diskussionsbeiträge erstellen. Während unsere Abendveranstaltungen meist aktuelle Debatten aus der akademischen Philosophie auf die Bühne holen, betrachten wir mit denXte eXtra häufiger aktuelle gesellschaftliche Debatten aus philosophischer Sicht. Beispielsweise haben wir die Lockdown-Thematik oder das Thema Organspende aufgegriffen. Die fachliche Grundlage für das Thema Lockdown war ein Artikel eines Professors unseres Instituts, den wir in Kurzvideos dramaturgisch aufbereitet haben. Für das Thema Organspende hatten wir anlässlich einer aktuellen Abstimmung im Bundestag eine Anfrage zur Kooperation erhalten. Zu diesem Thema haben wir auch unser erstes Printheft erstellt: Je nachdem, ob man sich intuitiv für oder gegen eine Option entscheidet, wird das Heft in die eine oder die andere Richtung gelesen und dabei die gewählte Position herausgefordert.
Was hat es mit dem Podcast „mitgedacht” auf sich?
Hier rufen wir Bürger*innen auf, eigene Fragen über unsere Webseite einzureichen. Die Fragestellungen kommen also nicht aus der akademischen Philosophie, sondern von der Zielgruppe selbst. In einem kurzen Vorgespräch klären wir, worauf die Frage abzielt und was die Einreichenden von der Antwort erwarten. Anschließend erarbeiten Studierende im Rahmen des Projektseminars „Philosophie im Podcast“ die philosophischen Hintergründe und entwickeln Ansätze, wie die Frage beantwortet werden könnte. Die Expert*innen sind hier also keine etablierten Philosoph*innen, sondern Studierende – der Podcast verbindet damit Wissenschaftskommunikation und Lehre. Bevor pro Frage eine Podcastfolge entsteht, präsentieren wir den Fragesteller*innen die Antwortvorschläge und geben die Möglichkeit für direktes Feedback. Moderiert wird der Podcast von Amrei Bahr und David Löwenstein. Die erste Staffel wird im Herbst veröffentlicht, den Trailer kann man sich bereits anhören. Für weitere Staffeln können Bürger*innen weiterhin Fragen einreichen.
Wer kommt zu ihren Veranstaltungen?
Zum einen gibt es Menschen, die bereits ein Interesse für philosophische Perspektiven und Denkweisen haben. Zum anderen gibt es Fragen, die auch Menschen ohne Faible für Philosophie ansprechen: beispielsweise zu Themen wie Identität und Rationalität oder auch aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen wie die Impfthematik. Demografisch betrachtet haben wir ein sehr breit gefächertes Publikum: von Schüler:innen bis hin zu Rentner:innen sind alle Altersgruppen abgedeckt. Wir freuen uns besonders, dass wir dabei viele Menschen erreichen, die bisher keinen intensiven Kontakt mit Philosophie hatten und außerhalb der akademischen Forschung stehen. Sehr hilfreich ist hier die Zusammenarbeit mit der Bürgeruniversität, die uns sehr großzügig unterstützt.
Fließt denXte auch in Ihre Forschung mit ein?
Die Umfragen, die wir bei denXte durchführen, dienen ausschließlich der Interaktion. Wir erzeugen damit keine Daten, die wir zur Beantwortung einer Forschungsfrage nutzen könnten. Aber im Austausch mit dem Publikum oder den Fragestellenden denken wir philosophische Probleme mit einem frischen Blick weiter. Im Dialog entstehen sehr interessante Anregungen, Fragen und Vorschläge, aus denen neue Ideen oder neue Fragestellungen entstehen. Diese Perspektive von außen, die durch den Fachdiskurs nicht so stark beeinflusst ist, ist sehr wertvoll. Das kann eine Fragestellung noch einmal auf andere Aspekte lenken oder helfen, sie zu präzisieren.
Was bedeutet die Auszeichnung mit dem Communicator-Preis 2022 für das Team?
Erstmal freuen wir uns natürlich total über diese tolle Anerkennung. Wir fühlen uns sehr geehrt und auch bestätigt, dass wir mit unserem Angebot einen wertvollen Beitrag leisten. Das bringt neuen Schwung in das Projekt und motiviert uns, es weiterzuentwickeln. Für die Preisverleihung haben wir dann eine Art „Mini-denXte-Abend“ vorbereitet. Dadurch konnte man einen kleinen Eindruck davon gewinnen, wie es sich anfühlt, eine echte denXte-Veranstaltung zu erleben. Dabei war uns sehr wichtig, dass alle Teammitglieder auf der Bühne sichtbar werden, auch die von uns, die normalerweise hinter den Kulissen wirken. Neben den bereits erwähnten, sorgen noch Julia Frese, David Niemann und Berit Weiß dafür, dass denXte funktioniert.
Der Communicator-Preis
wird von der DFG und dem Stifterverband seit dem Jahr 2000 verliehen und zeichnet jährlich Wissenschaftler*innen für herausragende Leistungen in der Wissenschaftskommunikation aus. Der Preis ist mit 50 000 Euro dotiert und wird an Einzelpersonen oder Teams verliehen.
Niemand von uns macht denXte hauptberuflich. Insgesamt haben wir die Verantwortlichkeiten auf unser siebenköpfiges Team aufgeteilt und je nachdem, was gerade ansteht, greifen wir uns gegenseitig flexibel unter die Arme. Eine aktuelle Herausforderung ist es, unsere Abläufe weiter zu professionalisieren. Auch mit der Finanzierung müssen wir uns beschäftigen: um das Bestehende fortzuführen, aber auch um das Projekt weiterzuentwickeln. Unser Ansatz hat noch viel Potenzial und wir hoffen, dass wir denXte so erfolgreich weiterführen können.