Die Wissenschaftlerin und Bloggerin Mareike König betrachtet die Akademie-Empfehlungen zu Social Media aus geisteswissenschaftlicher Sicht. Ein Kommentar.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, nutzt soziale Medien!
Nach den Empfehlungen zur Wissenschaftskommunikation allgemein aus dem Jahr 20141 legen die Akademien der Wissenschaften nun Empfehlungen speziell für die sozialen Medien vor. Das Papier versteht sich zugleich als Analyse der möglichen Auswirkungen der Digitalisierung auf die Öffentlichkeit und auf das Verhältnis von Wissenschaft, Journalismus und Gesellschaft. Es ist zu begrüßen, dass diese Stellungnahme digitale Wissenschaftskommunikation nicht losgelöst betrachtet, sondern sie in ihrer gesellschaftlichen Rolle und vor dem Hintergrund von alternativen Fakten, Fake News, Hasskampagnen, Manipulationen von Diskursen durch Social Bots und undurchsichtige Algorithmen sowie dem zu konstatierenden Vertrauensverlust in Politik und Eliten begreift. Vorgelegt wird hier ein Blick auf das gesamte System.
Allerdings gerät dadurch das eigentliche Thema – die Wissenschaftskommunikation in den sozialen Medien – bisweilen aus dem Fokus, ohne dass durch die Komplexität Einsichten im Hinblick auf die Rolle der Wissenschaftskommunikation oder deren Ausgestaltung gewonnen wären. Das ist nicht unbedingt dem Papier anzulasten: Wir wissen einfach noch zu wenig über die Mechanismen, und so nimmt die Forderung nach mehr Forschung über soziale Medien sowie nach Selbstbeobachtung der im Web 2.0 kommunizierenden Wissenschaft richtigerweise einen zentralen Platz in den Empfehlungen ein. Für ebenso zentral und wichtig halte ich die Empfehlung, die Quellen- und Medienkompetenz der Bevölkerung zu stärken und dabei in den Schulen anzufangen.
Mit Blick auf Risiken und Chancen der Wissenschaftskommunikation in den sozialen Medien legt das Papier den Schwerpunkt eindeutig auf die Risiken und schließt von dort auf Regulierungsbedarf in unterschiedlichen Feldern. Dreh- und Angelpunkt sind dabei immer wieder die Beglaubigung öffentlich zugänglicher Informationen und das Verhindern der Verbreitung von Fehlinformationen. In der Wissenschaftskommunikation haben traditionell Journalisten diese Rolle ausgefüllt, so ist in der Stellungnahme zu lesen, die sich in weiten Strecken als ein Plädoyer für die Erhaltung und Stärkung des Wissenschaftsjournalismus und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks liest. Die Rolle des Journalismus als Qualitätsgarant dürfte vor allem für PR-Maßnahmen der Naturwissenschaften, weniger für die Geisteswissenschaften gelten. Letztere tauchen mit ihren kommunikativen Spezifika nur am Rande auf, eine Lücke, die unbedingt zu füllen ist.
In diesem Kurzkommentar soll insbesondere interessieren, was der Wissenschaft empfohlen wird. Zunächst: gemeint ist hier die externe Wissenschaftskommunikation, nicht die Kommunikation innerhalb der Fachcommunity, auch wenn das in den sozialen Medien und insbesondere bei den Geisteswissenschaften zunehmend schwerer zu trennen ist. Der Wissenschaft sind sechs der insgesamt zwölf Empfehlungen gewidmet (nach vier Empfehlungen an die Politik und vor den beiden Empfehlungen an Bildungseinrichtungen und Forschungspolitik).
„Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler! Nutzt soziale Medien und kommuniziert innerhalb der Fachcommunity und mit der interessierten Öffentlichkeit. Informiert über Eure Forschungen. Mischt Euch ein. Kommentiert, korrigiert, wenn Falsches behauptet wird, diskutiert, wenn Meinungen gefragt sind. Stärkt die Demokratie!“ So hätte die erste Empfehlung an die Wissenschaft lauten können, vielleicht auch lauten müssen. Stattdessen eröffnet man mit einem zögerlichen „Falsche Anreize in der institutionellen Wissenschaftskommunikation vermeiden“. Aus meiner Sicht ist das nicht nur zu vorsichtig. Daraus spricht auch das mangelnde Vertrauen in die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, laut Siggener Aufruf2 immerhin die „Hauptakteure“ der Wissenschaftskommunikation, deren gegenseitige Kontrolle sich auch in offenen digitalen Räumen (etwa über ein Open Peer Review) vorstellen lässt. Eine deutlichere Trennung der Empfehlungen an Wissenschaftseinrichtungen und einzelne Forschende wäre sinnvoll gewesen.
Dabei wird das Potential der selbstvermittelten Wissenschaftskommunikation durchaus erkannt, können damit doch jüngere Personen adressiert werden, die von klassischen journalistischen Medien immer seltener erreicht werden. Es ist gut und richtig, in dieser Stellungnahme über Filter Bubbles und Echo Chambers aufzuklären. Doch statt hier den einzelnen Forschenden und Institutionen Kreativität in der Kommunikation abzuverlangen, wird vorgeschlagen, für jede Maßnahme zu prüfen, „ob der Weg über klassische journalistische Multiplikatoren“ nicht sinnvoller ist (S. 51). Dabei ist beides komplementär (wie es im Papier auch weiter unten steht). Das eine schließt das andere nicht aus. Doch meiner Meinung nach geben gerade direkt kommunizierende Forschende die interessanteren Blicke in das, was im Elfenbeinturm geschieht.
Kritisch betrachtet wird richtigerweise, dass Wissenschaftskommunikation Gefahr läuft, sich zu ausschließlich auf kommerziell ausgerichteten Plattformen und Anbietern wie Facebook, Academia.edu, Twitter usw. abzuspielen. Als „erfolgreiche Gegenmodelle“ (S. 45) werden hier Wikipedia sowie das Blogportal hypotheses.org erwähnt, worüber ich mich als Redaktionsleiterin natürlich freue, auch wenn das Portal überwiegend der Kommunikation innerhalb der Fachcommunities dient. Das Problem mit der an die Politik gerichteten Empfehlung 2 zur Gründung einer redaktionell unabhängigen bundesweiten Wissenschaftskommunikationsplattform, könnte nun aber sein, dass aus Sicht der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die inhaltlichen und stilistischen Freiheiten fehlen, die eben die anderen Plattformen bieten und die zu großen Teilen ihren Reiz ausmachen.
Sehr gut finde ich die Empfehlungen, den Forschenden konkrete Medientrainings anzubieten (Empfehlung 6), wobei – auch das ist richtig – niemand zur Kommunikation gezwungen werden sollte.
Die Akademien empfehlen weiterhin, die PR-Arbeit von Wissenschaftsorganisationen deutlich als institutionelle Kommunikation identifizierbar zu machen und „faktenbasierte Wissenschaftskommunikation von Wissenschaftsmarketing zu trennen“ (Empfehlung 7). Standards wissenschaftlicher Redlichkeit und Qualitätskontrolle müssen ebenso in der nach außen gerichteten Kommunikation gelten. Daran schließt sich die ebenfalls unterstützungswürdige Empfehlung 8 an, der zufolge ein „Verhaltenskodex für Web und Social Media“ entwickelt werden soll. Ein wissenschaftlicher „Code of Conduct“ für Informationen in den Sozialen Medien ist eine gute Idee und könnte direkt an die DFG-Empfehlungen zur „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“3 und die „Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR“4 anschließen.
In Empfehlung 10 ist versteckt, was ich ganz an den Anfang gestellt hätte: nämlich die Empfehlung an einzelne Forschende, „gesellschaftliches (und politisches) Engagement und damit auch die Kommunikation mit der Öffentlichkeit über Inhalte und Praxis der Wissenschaft zu pflegen“. Empfohlen wird neben einem verantwortungsvollen Umgang mit den eigenen zeitlichen Ressourcen (was ich den Forschenden durchaus zutrauen würde), dass sie ihre jeweilige Rolle, in der sie auftreten (Experte, Privatmeinung, Interessenvertreter einer Forschungseinrichtung), transparent machen sollen, um die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft nicht zu unterminieren.
Ich hoffe, dass die Stellungnahme der Akademien auf ein breites Publikum trifft und die Diskussion über die Wissenschaftskommunikation im Web 2.0 voranbringt. Hoffentlich melden sich dabei auch viele Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler zu Wort.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.
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WÖM:
- Teil 1: Zur Gestaltung der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und den Medien
- Teil 2: Social Media und digitale Wissenschaftskommunikation (PDF)
Weitere Beiträge zu WÖM2 stellte Marcus Anhäuser in einer Linkliste auf seinem Blog zusammen.