Nach viereinhalb Jahren stellt das Schweizer Wissenschaftsmagazin higgs.ch den Betrieb ein. Gründer und Chefredakteur Beat Glogger übt Kritik an der fehlenden Förderung von Wissenschaftsjournalismus und räumt eigene Versäumnisse ein.
„Wir dachten, man könne sich mit Qualität durchsetzen“
Herr Glogger, im Interview zum Start von higgs.ch sagten Sie, es sei besser, „mit einer Anstrengung unterzugehen“ als es erst gar nicht erst zu versuchen. Jetzt stellt das Portal für Wissenschaftsjournalismus nach viereinhalb Jahren den Betrieb ein. Was ist Ihr Fazit dieses Selbstversuchs?
Selbstversuch ist ein schönes Wort. Wir haben vieles gelernt, auch vieles sehr gut gemacht und überall Lob für unsere Arbeit geerntet: für die verständliche Darstellung der Inhalte, die publikumsnahe Sprache, die Interdisziplinarität der Themen. Wir haben uns nicht nur auf Naturwissenschaft, Technik und Medizin konzentriert, sondern immer auch versucht, gesellschaftliche, wirtschaftliche und psychologische Aspekte aufzugreifen.
Was wir hätten besser machen müssen, war das Marketing. Wir wussten zwar wie das geht, aber uns fehlten die finanziellen Mittel dazu. Wir waren so naiv zu denken, man könne sich mit Qualität durchsetzen. Es gab nicht die Chance, uns in der breiten Masse bekannt zu machen. Und das lag einfach am fehlenden Geld.
Wie war higgs.ch finanziert?
Die Idee war, dass große Stakeholder-Gruppen, die ein Interesse an einer evidenzbasiert entscheidenden Bevölkerung haben, ein Medium unterstützen, das eben diese Informationen vermittelt. Eines, das keine PR macht für Universitäten, sondern Wissenschaft kritisch einordnet, begleitend zum Zeitgeschehen.
— higgs 💡 (@higgsmag) April 28, 2022
Welche Gruppen hatten Sie im Sinn?
Wir dachten dabei an die Hochschulen, das Bildungswesen, aber auch die Wirtschaft und philanthrope Kreise in der Schweiz. Wir wollten diese vier Gruppen, plus die Community, dafür gewinnen, uns zu unterstützen. Die Industrie hat mit einer Ausnahme nicht mitgemacht. Ich hätte Geld aus der Wirtschaft unter der Bedingung genommen, dass es von einer Stiftung verwaltet wird, sodass keine Interessen vermischt werden. Auch die Bildungsorgane und Universitäten konnten wir nicht von uns überzeugen. Die Universität Zürich hat uns einmalig 10.000 Schweizer Franken gegeben. Aber die Hochschulen kämpfen alle gegeneinander. Ihre Antwort war immer, dass es ihr Job sei, die eigene Universität gut darzustellen und nicht, den Wissenschaftsjournalismus zu stützen.
Unser Backbone waren Stiftungen wie der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der Wissenschaften, die Gebert Rüf Stiftung und weitere kleinere Stiftungen, die immer mal 10.000 oder 20.000 Schweizer Franken gegeben haben. Wir haben das sehr geschätzt. Leider hat es aber nie das kollektive Bewusstsein gegeben, einen gemeinsamen Topf zu öffnen, weil das Bildungswesen in der Schweiz extrem fragmentiert ist.
Sie wollten ein von der Community getragenes, nachhaltiges Businessmodell entwickeln. Warum hat es nicht geklappt, und halten Sie das dennoch für eine sinnvolle Finanzierungsmöglichkeit für Wissenschaftsjournalismus?
Bei unseren Businessplänen haben wir uns an sich auf die Medienforschung gestützt. Eine Forschungsgruppe erhebt regelmäßig Zahlen für die Schweiz. Sie zeigt, dass die Bereitschaft des Publikums für Journalismus zu zahlen, während der Pandemie sogar gestiegen ist: und zwar von 13 Prozent auf 17 Prozent. Von unseren 100.000 Unique Clients im Monat hätten wir also einiges über 10.000 potenzielle Abos abschließen können. Forget it. Nicht einmal ein Prozent der Lesenden war bereit, zu zahlen. Daraus lerne ich: Wissenschaftsjournalismus kann man nicht mit dem Publikum finanzieren. Es braucht dazu weitere Interessierte oder eine Themenpalette, die sehr weit über Wissenschaft hinausgeht.
Es gibt in der Schweiz mehrere Medienportale, die es geschafft haben. Das ist einerseits das Vorzeigeprojekt „Republik“, die im selben Monat wie higgs.ch gestartet sind, Heidi.news und auf lokaler Ebene „Bajour“ aus Basel. Was unterscheidet diese Medien von higgs.ch?
Der Unterschied ist das Startkapital. Republik erhielt zwei Millionen Schweizer Franken von Philanthropen, Heidi.news eine Million Anschubfinanzierung von der Stiftung Aventius. Beide haben lange vor ihrem Start PR betrieben mit den Versprechen, den Journalismus, die Demokratie, gar die Schweiz zu retten. Dann erst haben sie zu publizieren begonnen. Das Portal Bajour erhält von der Stiftung für Medienvielfalt einen jährlichen Betriebskredit über eine Million Schweizer Franken. Zum Vergleich: Von der selben Stiftung hat higgs.ch einmalig 50.000 Schweizer Franken erhalten. Wenn ich eine Millionen Franken auf drei Jahre garantiert habe, bringe ich das Ding auch zum Fliegen. Es schmerzt, wenn man sieht, wie andere eine Millionen Franken bekommen und uns wird der Geldhahn zugedreht. Das zeigt auch die Schwäche des Systems. Wir hatten keine Gelegenheit, unsere Qualität den Leuten genauso fett unter die Nase zu reiben. Wir sind im Januar 2018 einfach gestartet und haben gedacht, das entwickelt sich schon. Das war eine Fehleinschätzung.
Warum ließ sich der Aufschwung in den Nutzungszahlen in den beiden Pandemiejahren nicht in Finanzierung übersetzen?
Sie sprachen vom Lob für die interdisziplinäre Themenauswahl und die verständliche Sprache. Gibt es ein anderes Medium in der Schweiz, das diese Art von Wissenschaftsjournalismus leistet oder bricht dieses Angebot jetzt weg?
Natürlich gibt es noch Wissenschaftsjournalismus in den großen Tageszeitungen wie der NZZ oder dem Tagesanzeiger und beim Radio und Fernsehen. Aber daneben bricht der Fokus Wissenschaft komplett weg. Die Republik ist ein tolles Medium und behandelt auch etwas Wissenschaft. Sie bringen dann aber eher eine große Story pro Woche. Das sind riesige Stücke mit 30.000 oder 40.000 Zeichen pro Text. Unsere hatten zwischen 6.000 und 12.000 Zeichen. Das ist eine deutlich verdaulichere Form und die gibt es nicht mehr.
Wenn sie ein solches Projekt nochmal starten würden: Gibt es neben dem Marketing noch Anderes, das sie anders machen würden?
Wenn ich Leute berate, die so etwas aufziehen wollen, sage ich immer: Ohne Startkapital und Marketing geht es nicht. Das sehe ich an den Erfolgsgeschichten, die ich beschrieben habe, und an unserer tapferen Geschichte des Scheiterns. Ich bin nicht so überheblich zu sagen, dass der Journalismus, den wir machen, die einzige Art ist, Wissen an die Leute zu bringen. Vielleicht gibt es auch andere Modelle, die besser funktionieren – vielleicht von jüngeren Leuten.
Wie geht es jetzt für das Team von higgs.ch weiter?
Ende Juli verlieren zehn Personen ihre Stelle. Einige haben schon etwas Neues gefunden, denn die Leute sind gut. Aber leider sind die Stellen im Wissenschaftsjournalismus nicht dicht gesät. Das ist nicht erbaulich, aber wir haben ein super Produkt gehabt. Unser ganzes Team kann stolz sein. Ich persönlich habe Projekte in Aussicht. Mir gehen die Ideen nie aus.
Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft des Wissenschaftsjournalismus?
Die Invasion der Ukraine ist gerade einmal vier Monate her und das hat alles verändert. Von einem Tag auf den anderen kam auch eine Ablehnung eines Mediengesetzes in der Schweiz, das auch die Förderung für Onlinemedien beinhaltete. Damit war die Zukunftsperspektive für higgs.ch an einem Wochenende weg. In kürzester Zeit brachen Unterstützungsbeiträge von über 300.000 Franken weg, was ein Drittel des Jahresbudgets 2022 ausmachte.
Seit fast fünf Jahren sprach ich mit Unis, Akademien, Bildungsdirektionen und vielen anderen über eine Förderung von Wissenschaftsjournalismus. Ich bekam viel Lob für unsere Arbeit, aber die Geldbörsen haben sich nicht geöffnet. Die Uhren ticken in der Wissenschaft anders als in den Medien.
Wie genau lautete Ihre Kritik an den Schweizer Akademien?
Nachdem ich schon Jahre für Wissenschaftsjournalismus lobbyiert habe, hat A+, das Dachorgan der Schweizer Akademien, eine Arbeitsgruppe aus über 15 Personen zusammengestellt. Sie haben die Situation der Wissenschaftskommunikation untersucht und 20 Empfehlungen herausgegeben. Vier davon betreffen den Journalismus. Sie sagen, es bräuchte einen gemeinsamen Kanal. Eine Stiftung solle das Geld dafür bereitstellen. Sie müsse unabhängig von der Wissenschaft und den Akademien sein. Bei der Schlusspräsentation meinte ein anderer Journalist, ob er es richtig verstehe, dass man eine Strategie vorstelle, die higgs.ch seit vier Jahren umsetzt. Wenn ein Fachgremium zu dem Ergebnis kommt, dass es etwas braucht, das wir schon machen, bedeutet das, dass higgs.ch nicht so schlecht war – oder?