Social-Media-Plattformen bringen ständig neue Formate hervor. Sie bieten Nutzer*innen vielfältige Möglichkeiten, Geschichten multimedial zu erzählen – auch über Wissenschaft. Johanna Barnbeck fasst aktuelle Trends und Beispiele für Wissenschaftskommunikation auf TikTok und Instagram zusammen.
Wissenschaftskommunikation auf TikTok und Instagram
Soziale Medien und ihre Nutzung unterliegen stetiger Veränderung. Für die Einen ist das ein Graus – was eben noch galt, ist nun schon wieder anders. Für die Anderen bieten sich immer neue Möglichkeiten, kreativ zu werden, das multimediale Potenzial der Plattformen auszuschöpfen und Formate weiterzuentwickeln.
Auch in der Wissenschaftskommunikation entstehen so vielfältige Nischen und Genres, um Forschung sichtbarer zu machen. Ob Forscher*in, Institut oder Kommunikator*in – in allen Bereichen gibt es aktive Bestrebungen visuelle Inhalte für die Kommunikation von Wissenschaft zu nutzen. Fast die Hälfte aller Internetnutzer*innen weltweit zwischen 16 und 64 Jahren suchen nach Video-Inhalten zum Lernen1. TikTok und Instagram sind hierfür im Trend liegende Plattformen, die bei wissenschaftlichen Veranstaltungen und Panels diskutiert2 und häufig für Kommunikationsaktivitäten und Fortbildungen angefragt werden. Für audiovisuelle Inhalte sind sie neben YouTube aktuell am weitesten verbreitet – und stehen durch diese Features in starker Konkurrenz zueinander (siehe Infokasten).
Sie genießen meiner Erfahrung nach in der Wisskomm-Community nicht immer einen guten Ruf, weil Sichtbarkeit auf den Plattformen zunächst über visuelle Aufmerksamkeit funktionieren muss und dies mit Effekthascherei gleichgesetzt wird.
Kurzvideo-Inhalte auf TikTok, Instagram und YouTube im Vergleich
Das Markenzeichen der Content-Plattform TikTok sind kurze, geloopte Musikvideos mit Lippensynchronisation. Mit einem einfachen Video-Editor ausgestattet, lassen sich die eigenen Videoaufnahmen durch Filter oder Effekte unkompliziert gestalten. In der App erstellte Videos dürfen bis zu 60 Sekunden lang sein, hochgeladene bis zu drei Minuten.
Trotz Datenschutzbedenken und viel Kritik war TikTok bereits bei Erscheinen im ersten Quartal 2018 die am meisten heruntergeladene iPhone-App. Es dauerte nicht lange, bis Instagram mit einem vergleichbaren 60-sekündigem Feature – dem sogenannten Reel – nachzog. So vereint das bereits seit 2010 existierende Instagram inzwischen verschiedene Funktionen, die den Gebrauch von (audio-) visuellen Medien ermöglichen.
Die ursprüngliche Fotoplattform folgt damit dem Trend zu mehr Videoinhalten, welche vom Algorithmus bevorzugt, einfacher organische Reichweite erzielen. YouTube, als bereits etablierte Videoplattform, hat 2021 ebenfalls ein entsprechendes 60-sekündiges Feature entwickelt, um mit TikToks mithalten zu können – die YouTube Shorts. Auch YouTubes Algorithmus bevorzugt aktuell diese Inhalte, wodurch sich mehr Personen erreichen und leichter Follower*innen aufbauen lassen.
Wer sich der Aufgabe stellt, Wissenschaft visuell über Instagram oder TikTok zu kommunizieren, wird mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert. Einige Forschungsthemen und wissenschaftliche Inhalte sind einfacher visuell zu kommunizieren als andere. Außergewöhnliche Forschungsorte bieten eindrucksvolle Kulissen und ziehen schnell Aufmerksamkeit auf sich, andere Forschungsthemen sind hinter kryptischen Formeln oder in Texten verborgen und erfordern mehr Kreativität und Übersetzungsleistung für die Visualisierung. Forschung mit aktuellem Bezug oder politischen Verknüpfungen ist dadurch zunächst sichtbarer und reichweitenstärker in sozialen Medien als Grundlagenforschung, für die ein späterer Anwendungsnutzen nur erahnt werden kann4.
Trotzdem erreichen ganz unterschiedliche Kanäle mit ganz unterschiedlichen Strategien ihre spezifischen Zielgruppen. Ein beliebtes, reichweitenstarkes Genre ist, aus dem Forschungsalltag zu berichten, um zur Sichtbarkeit von Wissenschaftler*innen beizutragen. Samantha Yammime alias @ScienceSam setzt zusammen mit Kolleg*innen unter dem Hashtag #ScientistsWhoSelfie den vorherrschenden Stereotypen Bilder vielfältiger Wissenschaftler*innen im Labor entgegen. Sie legen auch die passende Begleitstudie zur Sichtbarkeit von Forschenden vor, die zu dem Schluss kommt, dass Instagram und Selfies wertvolle Werkzeuge sind um die öffentliche Wahrnehmung von Wissenschaftler*innen zu verbessern und das Vertrauen in die Wissenschaft selbst fördern.5
@mags4science #duet with @gracie.ham ♬ original sound – gracie
Beispiel @mags4science auf TikTok: Ein Duett mit @gracie.ham, die während ihrer Make-up-Routine darüber spricht, warum sie nicht glaubt, dass Mathematik echt ist. Hierfür hatte sie eine Vielzahl an negativen und überheblichen Kommentaren erhalten. Maggie nimmt hier die von @gracie.ham aufgeworfenen Fragen und Argumente ernst, hört ihr zu und setzt sie in einen Wissenschaftskontext. In einem anderen Video spricht Maggie Burrus über ihren Kanal, Gatekeeping und warum sie ihn gestartet hat. Was sind Theorien in der Wissenschaft und wie entstehen sie? Antworten auf diese Fragen liefert die Wissenschaftlerin auf TikTok.
Eine andere Strategie nutzt Maggie Burrus auf TikTok: Als @mags4science nimmt die Wissenschaftskommunikatorin und Biologiestudentin ihren Follower*innen die Angst vor Wissenschaft im Allgemeinen und MINT-Fächern im Speziellen. In ihrem Duett6 mit @gracie.ham beispielsweise, nimmt sie die von der TikTokerin während ihrer Make-up-Routine aufgeworfenen Fragen ernst, hört ihr im Video sichtbar zu und setzt ihre Argumente in einen Wissenschaftskontext. Diese hatte zuvor erklärt, warum sie glaubt, dass Mathematik nicht echt sei und dafür eine Vielzahl an negativen und überheblichen Kommentaren auf TikTok erhalten.
Der 22-jährigen Maggie Burrus ist es wichtig, ihrem Publikum nicht nur zu verdeutlichen, wie Gatekeeping funktioniert sondern auch, dass sie als LGBTQ-Frau in einer MINT-Disziplin eine rationale, analytische Wissenschaftlerin und gleichermaßen spaßig, lesbisch und nerdig sein kann.
@lab_shenanigansjust tryna serologically pipet the house down 💃🏻♬ Link in bio for full version of this – Alex Chapman
Beispiel @lab_shenanigans auf TikTok: Nachts im Labor, niemand ist da. Warum die neuen Pipetten nicht Vogue-style holen? Andere Videos drehen sich um Desinformation im Internet und die aktuelle jährliche „Studie State of Science“ von 3M oder Rosalind Franklin, Francis Crick und James Watson.
Science Influencer Darrion Nguyen zeigt als @lab_shenanigans (Auf Deutsch: „Labor Spielereien“) die Laborarbeit in unterhaltsamen TikToks und klärt über Desinformation und (historische) Ungerechtigkeiten im Wissenschaftssystem auf. Regelmäßige Produktplatzierungen und verschiedene Markenkooperationen macht er als Influencer auf seiner gleichnamigen Webseite transparent.
Ebenfalls aus dem Labor – allerdings in gezeichneter Form – berichtet der Biologe und Illustrator Dr. Ernesto Llamas auf Instagram unter @sketchingscience. Er veröffentlicht eigene Illustrationen im Bereich der Biotechnologie und zeichnet aktuelle Memes nach, um sie in einen wissenschaftlichen Kontext zu setzen. Als die südkoreanische Netflix-Serie Squid Game weltweit Schlagzeilen machte, kursierte ein Meme von einer Momentaufnahme, in dem der Protagonist von einem Mann haarscharf vor dem Tode gerettet wird. Den geretteten Protagonisten versah Llamas in seinem Meme mit dem Wort „Laborforschung“ und den Kopf des Retters ersetzte er mit einer Rolle Parafilm, wie sie in Laboren zum Verschließen von Petrischalen verwendet werden. Für Personen, die mit Laborarbeit vertraut sind, trifft er mit dieser Art Memes einen Nerv. Damit ist er nicht der Einzige – Memes mit Wissenschaftskontext werden von wissenschaftsaffinen Communities häufig geliked, kommentiert und geteilt7. Und auch über aktuelle Memes und Hashtags aus anderen Bereichen ist es möglich einen Bezug zur Wissenschaft herzustellen, um neue Personenkreise mit eigenen wissenschaftlichen Inhalten zu erreichen.
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Beispiel @sketchingscience auf Instagram: Der Biologe illustriert Squid Game und Parafilm, das Prinzip „Publish or Perish“ oder seine Pläne der vergangenen Jahre.
Eine weitere visuelle Strategie, die sowohl auf Instagram als auch auf TikTok funktioniert, rückt den Forschungsgegenstand zusammen mit der Wissenschaftler*in in den Fokus. Diese wenden beispielsweise @pinup_paleontologist auf Instagram und @arthistorysnippets auf TikTok an. Während die Paläontologin Kelsie Abrams Fossilien vorstellt und beim #WhatIsItWednesday ihre Follower*innenschaft zum Raten anregt, spricht Kunsthistorikerin Lucy Chiswell über klassische Kunstwerke, die zusammen mit ihr im Bild sichtbar sind.
Im Gegensatz dazu führen Tracy Debenport’s @under.the.scope und Scott Morrissey‘s @jellyfish_science zwar ihren Namen in der Accountbeschreibung, sichtbar sind sie darüber hinaus in ihren Kanälen jedoch nicht. Mikrobiologin Debenport zeigt mikroskopische Vergrößerungen ihrer Arbeit und der Doktorand der Meeresökologie Morrissey greift auf den visuellen Fundus verschiedener Forschungsprojekte zurück, um die vielfältige Unterwasserwelt von Quallen sichtbar zu machen.
So visuell eindeutig ist es aber nicht immer mit der Wissenschaftskommunikation und es gibt neben einer Vielzahl an pseudowissenschaftlichen Accounts auch welche, die sich an Grenzen zu anderen Bereichen wie dem politischen Aktivismus entlang bewegen und diese mit wissenschaftlichen Themen verknüpfen.
Stößt man auf den Instagram-Account @varathas des*r Politgeograf*in Sinthujan Varatharajah, scheint es im Feed zunächst, als zeigte die Person ihr Hipsterleben in der Berliner Großstadt. Hier ein ästhetisch fotografierter Kaffee, dort eine architektonisch interessante Stadtansicht oder ein professionelles Porträt von Sinthujan. Sinthujan legt damit den Fokus auf die Welt, in der er*sie als Forscher*in lebt und wie er*sie sie wahrnimmt.
Vereinzelt mischen sich jedoch Fotos in den Feed mit dem Datum des Endes des Sri Lankanischen Bürgerkriegs am 18. May 2009 oder einer einzelnen Zahl, die die noch immer vermissten Tamilen beziffert und dem Satz „We Remember Genocide“. Diese visuellen Posts stehen für sich ohne weitere Erläuterung. Erst ein Blick in die Stories mit Titeln wie „World War“ und „Genocide“ offenbaren eine weitere inhaltliche Ebene des Accounts. Sinthujan Varatharajah erstellt hier visuelle Essays über politisch-geographische Themen. Diese handeln von Eurozentrismus, Deutungshoheit und Machtfragen. Zum Krieg in der Ukraine wird die Medienberichterstattung analysiert und hinterfragt: Was ist ein Weltkrieg und wer definiert ihn als solchen? Und was passiert, wenn Länder, die historisch nicht an vergangenen Weltkriegen beteiligt waren, diese ebenfalls als solche bezeichnen?
Zusammengefasst scheint der Account so die unterschiedlichen Dimensionen einer forschenden Person unter Berücksichtigung ihrer selbstreflexiven Praxis, wie sie im postkolonialen Diskurs und kulturanalytischen Betrachtungen diskutiert und akademisch praktiziert werden, widerzuspiegeln.
Soviel zu einzelnen Akteur*innen, was passiert aktuell bei Institutionen, die auf Instagram oder TikTok agieren? Sie tun sich schwerer mit der Plattformadaption, da sie passend zu ihrer institutionellen Kommunikation agieren und häufig auch personell reagieren müssen. TikToks ausschließlicher Fokus auf Videos und der starke Bezug zur Person, die den Kanal betreibt, stellt hier eine weitere Hürde dar.
Aus meiner Arbeit weiß ich nur zu gut, dass darüber hinaus die berechtigte Sorge besteht, dass eine Plattform zu dem Zeitpunkt, zu dem ihre Mitarbeiter*innen und Strategie bereit sind, schon wieder passé sein kann. Ihre visuelle Kommunikation verbleibt daher häufig eher bei Marketinginhalten zu Image, Studium und Studienalltag. Inhaltliche Kampagnen wie #MyMachineAndMe auf Instagram von der Max-Planck-Gesellschaft aus dem Jahre 2019 stellen daher die Ausnahme dar. Hier wurden Wissenschaftler*innen an ihren Forschungsorten mit Geräten aus ihrem Forschungsalltag fotografiert.
Forschungsmuseen mit offenen Sammlungen hingegen, wie die Wellcome Collection oder das Rijksmuseum, bilden eindrucksvolle Beispiele mit ihrer digitalen Sammlungsarbeit – auch auf Instagram. Auf TikTok scheint selbst das Rijksmuseum noch auf der Suche nach Möglichkeiten zu sein, wie es TikToks interaktive Elemente einbinden kann, um seine Zielgruppen zu erreichen.
Es bleibt also insbesondere an dieser Stelle spannend, welche visuellen Formate und Nischen in der kommenden Zeit für TikTok und die immer stärkere Zuspitzung auf Video-Inhalte auf Instagram entstehen werden. Nicht unbedingt eine größere Experimentierfreudigkeit, sondern vor allem eine einfachere Umsetzbarkeit durch schaffen von Räumen und Stärkung der dynamischen Entwicklungsmöglichkeiten in Organisationen wären hierfür Voraussetzung.
Instagram ermöglicht Sichtbarkeit durch visuelle Vergrößerungen und Übersetzungen von Inhalten , gibt den Nutzer*innen im Feed Zeit, sich Visualisierungen und Infografiken anzuschauen und dann über Texte in den Posts weiter in die Tiefe zu gehen. Die zeitlichen Möglichkeiten bei TikTok beschränken sich vor allem auf Bildabfolgen im Videofeed und auf die Audiospur. Dies erzeugt im Gegensatz zur visuellen Vertiefung vor allem eine thematische Aufmerksamkeit und sollte in die Überlegung zur Wahl der Plattform einfließen.
Individuellen Akteur*innen gelingt es auf beiden Plattformen visuelle Wissenschaftskommunikation in Form vielfältiger Strategien zu gestalten, um die Sichtbarkeit der Diversität von Wissenschaftler*innen zu erhöhen, verborgene oder unsichtbare Prozesse der Wissenschaft und ihrer Forschung zu zeigen, ihr Forscher*innenleben zu reflektieren und kommentieren und aktuelle gesellschaftspolitische Debatten mit Expertise einzuordnen.
Hierfür haben sie gelernt, visuell zu kommunizieren, welche plattformspezifischen Eigenheiten wichtig sind und sich überlegt, wie sie diese langfristig und strategisch mit ihrem Forschungsthema verknüpfen können. Dies sind beste Voraussetzungen, um auf die stetige Weiterentwicklung von sozialen Medien vorbereitet und für das Einordnen neuer Plattformen in Bezug zur Wissenschaftskommunikation gewappnet zu sein.