Der Transferbegriff sollte klar zur Wissenschaftskommunikation abgegrenzt werden, schreiben Alexandra Lux und Nicola Schuldt-Baumgart im Gastbeitrag. Darin werfen sie einen Blick auf die unterschiedlichen Ziele, mit denen beide Bereiche kommunizieren.
Was Wissenstransfer und Wissenschaftskommunikation unterscheidet
Der aktuelle Koalitionsvertrag benennt die Förderung des Wissens- und Technologietransfers als ein zentrales Ziel dieser Legislaturperiode. Dies ist einer der aktuellen Belege für die beachtliche Karriere des Transferbegriffs, denn inzwischen gilt Wissenstransfer neben Forschung und Lehre als die dritte Säule in den Aufgabenbereichen von Universitäten und Hochschulen. Und dennoch: Ein klares Bild, was Wissenstransfer ausmacht, gibt es bislang nicht. Was Ziele und Zielgruppen des Transfers sind und wie Kriterien für erfolgreichen Wissenstransfer aussehen, ist nicht klar abgegrenzt. Konsens zeigt sich hingegen bei der Ablehnung einer Vorstellung von Wissenstransfer, bei dem das Wissen – ähnlich einer Ware – an einem Ort erzeugt und anschließend an den Bestimmungsort transferiert wird, um dort „konsumiert“ zu werden.
Gleichzeitig gewinnt Wissenstransfer vor allem in jenen Forschungsfeldern aktuell an Bedeutung, in denen es sehr stark um Wirkungen von Forschung geht und der Transfer diese Wirkungen fördern und stärken soll. Dies gilt beispielsweise für die transdisziplinäre Forschung als genuinem Modus der Nachhaltigkeitsforschung. Sie will nicht nur neue Erkenntnisse erzeugen, sondern auch gesellschaftliche Transformationen anstoßen und so Wirkung entfalten1. Bislang gibt es allerdings auch in der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung nur ein unscharfes Transferverständnis. Relevante Begriffe, die in der transdisziplinären Forschung noch nicht systematisch auf Wissenstransfer bezogen werden, sind beispielsweise Dissemination, Übertragbarkeit und Verstetigung. Wo also könnten Ansatzpunkte für eine Schärfung des Transferbegriffs in der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung liegen?
Transferprozesse in der transdisziplinären Forschung
Der „Transfer“ von Wissen findet in transdisziplinären Forschungsprozessen an unterschiedlichen Stellen statt. Um die Transferpotenziale gezielt heben zu können, ist ein Blick auf die unterschiedlichen Phasen eines „idealen“ und stark vereinfachten transdisziplinären Forschungsprozesses sinnvoll: Ausgangspunkt ist ein gesellschaftliches Problem. Wissenschaft und Praxis überführen dieses gemeinsam in Forschungsfragen, die sowohl die gesellschaftlichen Perspektiven als auch den Stand der Wissenschaft und die darin bestehenden Forschungslücken abbilden. Diese Forschungsfragen sind immer kontextspezifisch, sie beziehen sich auf einen konkreten Fall, wie zum Beispiel Möglichkeiten zur Förderung klimafreundlicher Lebensstile in einer konkreten Kommune. In der zweiten Projektphase wird neues Wissen erarbeitet. Dies kann disziplinär erfolgen, zum Beispiel erarbeiten Soziolog*innen ein theoretisches Modell für die Veränderung von Alltagspraktiken und Verkehrswissenschaftler*innen berechnen die Emissionswerte unterschiedlicher Mobilitätsstile.
Die konkreten Voraussetzungen und Möglichkeiten, wie Alltagspraktiken und Mobilität nachhaltiger gestaltet werden können, kann in diesem Beispiel mit den Praxisakteuren vor Ort sondiert und bewertet werden. Das bedeutet beispielsweise, dass mit der Umweltbehörde, dem Verkehrsverbund und interessierten Anwohner*innen ein Szenarioworkshop durchgeführt wird, um unterschiedliche mögliche zukünftige Entwicklungen der Kommune abzubilden. Es wird deutlich, dass bei solchen Vorgehensweisen frühzeitig Strukturen und Methoden geplant werden müssen, die das disziplinär wie auch inter- und transdisziplinär erarbeitete Wissen integrieren. Die dritte Phase gilt der Zusammenführung aller Ergebnisse. Dazu gehört die innerwissenschaftliche Kommunikation dieser Ergebnisse, zudem werden die Ergebnisse für unterschiedliche Zielgruppen aufbereitet, etwa als Leitfaden für kommunalen Klimaschutz veröffentlicht und in einer Veranstaltung vorgestellt.
Wissenstransfer von Anfang an mitdenken
Hier wird deutlich, dass der Gedanke, Wissenstransfer beginne erst in dieser letzten Phase, zu kurz greift. Bereits in der Konstitutionsphase eines Projekts, also dort, wo es um die zu bearbeitenden Probleme geht, finden erste Wissenstransferprozesse über den Austausch von – häufig zunächst divergierenden – Wahrnehmungen des Problems statt. Im – idealtypisch – folgenden Prozess der Wissensproduktion und -integration sind weitere Transferprozesse angelegt, da dieser mit partizipativen, integrativen Methoden zur Erzeugung neuen Wissens gestützt ist.
Dissemination, Verstetigung und Übertragbarkeit
Eine zentrale Aufgabe transdisziplinärer Nachhaltigkeitsforschung – die gesellschaftliche Relevanz mit wissenschaftlicher Exzellenz verknüpft – ist die Vermittlung der Forschungsergebnisse. Dissemination, Verstetigung und Übertragbarkeit von Forschungsergebnissen sind daher für die transdisziplinäre Forschung von besonderer Bedeutung.
Dissemination: Verbreitung von Ergebnissen aus der Forschung, beispielsweise in zielgruppenspezifischen Publikationen wie Broschüren, Blog- oder Social Media-Beiträgen oder Artikel in praxisorientierten Zeitschriften. Hierzu gehört auch die Pressearbeit, aber auch die Vermittlung von Ergebnissen beispielsweise durch Vorträge, Ausstellungen oder Workshops ist hierunter zu fassen.
Verstetigung: Anwendung von Ergebnissen aus der Forschung durch beteiligte Praxispartner, die auch nach Projektende weitergeführt werden. Dies kann der Fall sein, wenn in der beteiligten Kommune die im Projekt erarbeitete Strategie zur Stärkung einer nachhaltigeren Mobilität nach Laufzeitende weiter Anwendung findet und durch konkrete Maßnahmen umgesetzt wird.
Übertragbarkeit: Voraussetzungen dafür schaffen, dass die in einem Projekt erarbeiteten Ergebnisse auch an anderen Orten umgesetzt werden können: etwa wenn ein Leitfaden zur kommunalen Strategieentwicklung für nachhaltige Mobilitätskonzepte nicht nur in der Stadt Anwendung findet, die ihn mit entwickelt hat, sondern auch in anderen Kommunen.
Gemeinsame Lernprozesse und der verantwortungsvolle Umgang mit neuem Wissen
Um aber langfristige Transferpotenziale freizusetzen, sollten bereits während der Laufzeit eines Forschungsprojektes drei wesentliche ineinandergreifende Aspekte von Transferprozessen berücksichtigt und reflektiert werden: 1) angemessene Aufbereitung und Übersetzung der Ergebnisse, 2) Identifikation und Stärkung von Vermittlungspersonen und -institutionen, 3) Interaktion mit Zielkontexten und Aneignung der Ergebnisse dort2. Was sich bei dieser Debatte aber zeigt, ist ein Verschwimmen der Grenzen zwischen gemeinsamer Wissensproduktion von wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Akteuren, dem Transfer des erzeugten Wissens und schließlich der (dialogorientierten) Kommunikation über Ergebnisse und Erkenntnisse in der transdisziplinären Forschung. Damit ist auch die Abgrenzung des Transferbegriffs zur Wissenschaftskommunikation noch unbestimmt: Nicht selten wird Wissenschaftskommunikation dem Handlungsfeld von Wissenstransfer zugeschlagen.
Vielleicht entsteht diese Grauzone auch, weil sich Agenda und Kommunikationsmodell der Wissenschaftskommunikation über die letzten Jahrzehnte verändert haben: von der Behebung eines unterstellten Wissensdefizits bei den Zielgruppen über das Initiieren von Lern- und Bildungsimpulsen bis hin zu einer aktiven, partizipativen und dialogischen Auseinandersetzung der Zielgruppen mit wissenschaftlichen Inhalten3. Dabei weisen insbesondere dialogorientierte Formen von Wissenschaftskommunikation Überschneidungen mit Transferformaten auf. Die Frage nach deren Verhältnis und Abgrenzung ist konzeptionell jedoch noch weitgehend offen. Dennoch: Wissenstransfer sollte klar von Wissenschaftskommunikation abgegrenzt werden, um die mit den jeweiligen Leistungsdimensionen verbundenen Zielsetzungen bestmöglich erreichen zu können. Zwar geht es jeweils um die Kommunikation von Wissen bzw. von Forschungsergebnissen – in diesem Sinne kann Wissenstransfer auch als „Akt“ gelingender Kommunikation bezeichnet werden –, aber die Zielsetzungen sind andere: Bei intendiertem Wissenstransfer geht es ausdrücklich um das Erzielen von Wirkungen von Forschung in der Gesellschaft. Um dies zu erreichen, werden spezifische Zielgruppen angesprochen. Die zum Einsatz kommenden dialogischen Methoden und Formate sind jedoch kein Garant für das Eintreten von Wirkungen. Aber sie tragen dazu bei, Wirkungspotenziale aufzubauen und damit die Chancen für Wirksamkeit zu erhöhen (Nagy 2020). Letztlich sind gemeinsame Lernprozesse zwischen Wissenschaft und Gesellschaft das Ziel, die im Idealfall alle beteiligten bzw. betroffenen gesellschaftlichen Akteure dazu befähigen, neues Wissen verantwortungsvoll anzuwenden.
Wissensproduktion und -integration
Die Produktion von Wissen zum besseren Verstehen und zum Bearbeiten des in einem Projekt aufgegriffenen Problems ist zentraler Bestandteil transdisziplinärer Forschung. Dabei reicht aber der wissenschaftliche Zugang zur Wissenserzeugung nicht aus, es werden zur Erarbeitung dieses neuen Wissens auch andere Wissensformen wie Praxis-, Erfahrungs- und Alltagswissen einbezogen. Darum ist die Integration dieser Wissensbestände von hoher Bedeutung. Über die Methoden, wie Wissensintegration gestaltet werden kann, sprach Christian Pohl von der ETH Zürich im Interview.
Die neuere Forschung zur Wissenschaftskommunikation spannt hingegen einen sehr weiten Bogen und schließt alle Aspekte der Kommunikation wissenschaftlicher Arbeit und wissenschaftlicher Ergebnisse mit ein, sowohl innerhalb der Wissenschaft als auch bei der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit4. Entsprechend heterogen sind die Ziele: Wissenschaftskommunikation will ihre Zielgruppen über Forschungsergebnisse informieren und für Forschung und Forschungsprozesse sensibilisieren und begeistern. Klassische Ziele einer Wissenschafts-PR wie die Stärkung der Reputation des Instituts gehören ebenfalls zu den Zielen von Wissenschaftskommunikation. Und schließlich „kommuniziert Wissenschaft“ zur Legitimation wissenschaftlichen Handelns. Auch wenn seit einigen Jahren regelmäßig nach neuen Wegen in der Wissenschaftskommunikation gesucht wird, etwa über „dialogische“, „partizipative“ oder „responsive“ Ansätze, wird die Praxis nach wie vor von „linearen Kommunikationsdynamiken“ bestimmt, die sich an den oben genannten Zielen orientieren.
Abschließend möchten wir betonen: Gerade in der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung liegt großes Potenzial, das es ermöglicht, die Wirkungsorientierung in der Forschung zu stärken, indem die Transferkomponenten noch besser verstanden werden. Und anders herum: In der Wissenschaftskommunikation sind viele Konzepte und Formate erprobt, die gut in transdisziplinären Prozessen eingesetzt ihr Transformationspotenzial erhöhen können.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.
Zum Weiterlesen
- Adler, Carolina/Gertrude Hirsch Hadorn/Thomas Breu/Urs Wiesmann/Christian Pohl (2018): Conceptualizing the transfer of knowledge across cases in transdisciplinary research. Sustainability Science 13 (1), 179–190. DOI 10.1007/s11625-017-0444-2
- Rogga, Sebastian/Thomas Weith/Thomas Aenis/Klaus Müller/Thomas Köhler/Lisette Härtel/David Brian Kaiser (2014): Wissenschaft-Praxis-Transfer jenseits der „Verladerampe“. Zum Verständnis von Implementation und Transfer in Nachhaltigen Landmanagement. Diskussionspapier (8). Müncheberg. [Stand: 20.12.2021]