Im Project-Sci.Com entwickeln Studierende kreative Projekte, die Menschen für Wissenschaft begeistern. Der Unikurs soll schon während des Studiums die Grundlagen guter Wissenschaftskommunikation erfahrbar machen. Wie das funktioniert, berichten Team-Mitglieder im Gastbeitrag.
Wissenschaftskommunikation der nächsten Generation
Es ist bereits Oktober und eigentlich zu kalt, um draußen zu sein. Aber zu Zeiten der Pandemie ist es nur so möglich, eine Ausstellung mit vielen Besuchenden zu veranstalten. Wie wichtig dieser Austausch in Person für unsere Kursteilnehmenden ist, merken wir spätestens, als wir uns der Projektgruppe MuShell nähern. Die Gruppe hat in dem Kurs unseres Projektlabors Wissenschaftskommunikation der Berliner University Alliance eine Installation entwickelt, in der die Muster von Schnecken in Klang umgewandelt werden. Um ihr Projekt umzusetzen, ließen sie sich dabei von antiken Walzenspieldosen inspirieren, kooperierten mit dem Naturkundemuseum Berlin und benutzten Techniken wie Fotogrammetrie – eine Technik um aus Fotos, 3D-Modelle zu erstellen. Und nun erzählen die fünf Studierenden voller Begeisterung, wie die Muster der Schnecken entstehen und sie diese in Töne umwandeln konnten. Um sie herum steht stets eine Traube von Menschen, die interessiert den Klängen sowie den Erklärungen lauscht. Bestätigt durch die Faszination der Besucher*innen, kommen die Studierenden richtig in Fahrt. Genau diese Erfahrung ist eines unserer Ziele: die Studierenden merken, dass Wissenschaftskommunikation Spaß machen kann.
Projektlabor Wissenschaftskommunikation
„Unser Ziel“ bedeutet Ziel des Teams von Project-Sci.Com und des zugehörigen Kurses, der für alle Studierenden in Berlin angeboten wird. Vorausgesetzt wird nur eine Motivation, wissenschaftliche Inhalte zu vermitteln und neue Ideen – vor allem außerhalb der Universität – zu realisieren. Etwa 40 Teilnehmende entwerfen in interdisziplinären Gruppen eine Arbeit, deren Inhalt, Format und Zielgruppe sie frei wählen. Zum Abschluss des Moduls präsentieren sie das Projekt der selbst gewählten Zielgruppe. Im ganzen Prozess wird jede Gruppe durch eine Ansprechperson begleitet und bekommt dabei Feedback, Anregungen und Hilfestellungen.
Bevor es aber um die wirkliche Präsentation der Projektergebnisse und den Kontakt zu Menschen geht, konzentriert sich unser Kurs vor allem auf Entwurf und Entwicklung von Wissenschaftskommunikationsprojekten. Zu Beginn des Semesters finden sich Studierende durch ihre eigenen Interessen motiviert in Gruppen ganz unterschiedlicher Fachrichtungen zusammen.
Wir unterstützen sie dabei in heterogenen Gruppen zu arbeiten, zeigen ihnen, wie Projekte effektiv organisiert werden, diskutieren gemeinsam die gesellschaftliche Bedeutung ihrer Themen und geben ihnen natürlich einiges an Informationen zur Wissenschaftskommunikation1 an die Hand.
Wirklich lernen lässt sich diese Kommunikation vor allem durch praktische Erfahrung und Anwendung des Gelernten. Daher geben wir den Studierenden Raum, an ihren Projekten zu arbeiten und helfen ihnen beim Konstruieren durch Workshops in unterschiedlichen Bereichen des Makings. So lernen sie Basics im Programmieren von Mikrocontrollern und 3D-Design, oder im Videoschnitt. Denn die Projekte fallen so vielfältig aus wie unsere Studierenden. So werden nicht nur Installationen und Kunstobjekte gebaut, sondern es entstehen auch Podcasts oder Websites.
Aus der Uni in neue Kontexte
Schon früh hat unser Team gemerkt, dass wir Wissenschaft gerade dann schwer erreichbaren Zielgruppen nahe bringen können, wenn sie dieser in interaktiven Installationen an unerwarteten Orten begegnen: Seit 2014 fahren wir auf Festivals, um dort auch Menschen für Wissenschaft zu begeistern, die vorher noch wenig Berührungspunkte damit hatten. Unsere Installationen laden zum selber ausprobieren ein und zeigen den Besuchenden wissenschaftliche Hintergründe, vor allem aber auch, dass Forschung nicht immer trocken sein muss. Und genau diese Form von Wissenschaftskommunikation bringen wir nun in unseren Kursen an allen Berliner Universitäten dem wissenschaftlichen Nachwuchs bei.
Durch den praktischen Ansatz können die Teilnehmenden experimentieren und sich ausprobieren. So lernen sie die Hürden kennen, die es für die Kommunikation außerhalb des universitären Kontextes zu nehmen gilt. Für uns ist zentral, dass sie zunächst verstehen, warum Wissenschaftskommunikation eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft spielt und dass sie sich trauen hier aktiv zu werden.
Dabei kann jede Wissenschaft ihr Sprachrohr finden. Egal aus welcher Disziplin und aus welchem Studienjahr kommend, alle Mitglieder einer Gruppe sollen sich mit ihrem Hintergrund einbringen. Im MuShell Projekt beispielsweise konnten unter anderem angehende Medientechniker und Biologen ihre Kenntnisse teilen. Auf diese Weise vollführen sie auch einen Perspektivwechsel und lernen mit einem neuen Blick ihre eigenen Studieninhalt noch einmal intensiver kennen.
Die Hürden fallen
Als Nachwuchswissenschaftler*innen bringen die Studierenden eine frische Art der Begeisterung für die Materie mit. Sie können besser nachvollziehen, welche Punkte besonders schwer zu verstehen sind. Das fällt Wissenschaftler*innen, die ihre Forschungsthemen schon seit langem verinnerlicht haben, oft schwer. Häufig verlieren sie sich in der Unverständlichkeit des Fachjagons.
Wenn junge Menschen Wissenschaft erklären, fallen auch beim Publikum unnötige Hürden; Respekt und Angst vor Blamage verschwinden und geben den Weg frei für Interesse, Fragen und Erkenntnis. Das Bild der unfehlbaren Wissenschaft ist nicht mehr aktuell. Zur Wissenschaftskommunikation gehört heute auch, zu spiegeln, dass Wissenschaftler*innen nicht alles wissen, sondern dass Forschung ein Prozess ist. Bei Studierenden ist diese Einordnung selbstredend gegeben: für sie gehört es dazu, noch zu lernen. Gerade deswegen können sie einen wichtigen Beitrag zur Wissenschaftskommunikation leisten.
3,2,1… Studierende präsentieren ihre Ergebnisse
Am Ende des Semesters wird es spannend für die Studierenden, denn dann präsentieren sie ihre Ergebnisse einem Publikum. Bestehen ihre Projekte den Realitätscheck? Auf Ausstellungen, Events oder Messen können die Studierenden sehen, ob das Resultat ihrer monatelangen Tüftelei wirklich dazu geeignet ist, wissenschaftliche Inhalte zu vermitteln. Sie sollen dafür eine Vermittlungsstrategie für ihr ausgewähltes Publikum entwickeln. Um eine noch genauere Ausrichtung an der Zielgruppe zu erreichen, sollten sie auch früh über den Ort entscheiden, an dem sie ihre Projekte später präsentieren wollen. Inwiefern diese Strategie am Ende geklappt hat, beschreiben sie einzeln in einem Reflexionsbericht.
Die Zukunft im Blick
Sie merken schon: Bei uns wird den Studierenden viel Freiraum gelassen. Sie können ihr Thema, ihre Gestaltungsform und sogar ihre Zielgruppe wählen. So können sie zentrale Aspekte davon lernen, wie sie gute – das heißt zielgruppengerechte, begeisternde und ehrliche – Wissenschaftskommunikation machen können. Allen Projekten gemeinsam ist, dass sie eine neue Form der Kommunikation explorieren: eine interaktive und spielerische Möglichkeit zu bereiten, mit Wissenschaft in Kontakt zu kommen. In unserem Kurs können die Studierenden gesellschaftliches Engagement in ihr Studium einbauen. Sie lernen wirklich, dass Wissenschaft für und mit der Gesellschaft betrieben werden sollte.
Dieser Punkt ist für uns zentral. Deswegen vermitteln wir bereits an die nächste Generation von Wissenschaftler*innen, wie wichtig Wissenschaftskommunikation ist. Und natürlich wieviel Spaß sie macht. Und so werden sie hoffentlich auch später motiviert sein, ihre Fähigkeiten zu nutzen, um ihr Wissen hörbar zu machen, wie auch die Schneckenschalen hörbar gemacht wurden.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.
Projektsteckbrief
Das Projektlabor Wissenschaftskommunikation zielt darauf ab, die Rolle von Studierenden als Vermittler*innen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu stärken. Durch die Arbeit an einem Projekt, welches sie öffentlich präsentieren, bekommen sie nicht nur theoretisches Wissen, sondern können direkt praktische Erfahrungen in der Wissenschaftskommunikation sammeln. Dabei treten die Studierenden in Kontakt mit Fachfremden, aber auch mit Expert*innen verschiedener Disziplinen. Damit werden sie zum Bindeglied zwischen Universität und Öffentlichkeit. Wir kooperieren mit folgenden Forschungseinrichtungen:
- Berlin Laboratory for innovative X-ray Technologies (BLiX), Technische Universität Berlin
- Arbeitsgruppe Neue Materialien, Humboldt Universität Berlin
- Computing Education Research Group, Freie Universität Berlin
- Arbeitslehre/Technik und Partizipation (ARTE), Technische Universität Berlin
- BESSY II, Helmholtz-Zentrum Berlin
Zielgruppe:
Studierende aller Fachrichtungen erarbeiten in interdisziplinären Teams die zielgruppengerechten Vermittlung eines wissenschaftlichen Themas. Die Zielgruppen der Projekte können Schüler*innen, Studierende, aber auch Besucher*innen verschiedener Veranstaltungen, wie z.B. der Langen Nacht der Wissenschaft oder Musikfestivals sein.
Team:
Prof. Birgit Kanngießer, Prof. Saskia Fischer, Prof. Liudger Dienel, Prof. Ralf Romeike, Prof. Jan Lüning, Dr. Robert Richter, Andrea Heilrath, Clara Rodríguez Roca-Sastre, Tobias Schubert, Enya Blohm-Sievers, Charlotte Maurer, Lysanne Passek, Niklas Schneider, Lena Kocutar, Victoria Martínez
Träger/Budget:
Das Projekt ist ein von der Berlin University Alliance (BUA) gefördertes “Experimentallabor Wissenschaftskommunikation”, das 2021 mit einem Budget von 600.000€ bewilligt wurde. Die BUA ist gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Land Berlin im Rahmen der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern. Das Projekt sitzt an der Technischen Universität Berlin, der Freien Universität Berlin und der Humboldt Universität zu Berlin.
Daten zur Zielerreichung:
In den Vorgängerprojekten lab:present und lab:prepare haben etwa 100 Studierende Wissenschaft öffentlich präsentiert. Einige Eckdaten sind in einer Veröffentlichung (PDF: SEFI-Bericht) zu finden.
Während der Laufzeit des neuen Projekts 10/2021 – 03/2024 werden Studierendenbefragungen durchgeführt, die Kooperationen mit Wissenschaftler*innen evaluiert und öffentliche Präsentationen dokumentiert.