„Künstliche Intelligenz wird Schüler*innen in Zukunft beschäftigen“
Wie finden lernende Algorithmen in der Verhaltensbiologie Anwendung? Das entdecken Schüler*innen im „KILab“. Wie dabei eine besondere Symbiose zwischen Schule und Forschung gelingt, verrät Laborleiter Marvin Henrich im Interview.
Lena Schwenker ist Ernährungswissenschaftlerin und Molekularbiologin. Sie arbeitet als Wissenschaftskommunikatorin bei Helmholtz Munich. Als Praktikantin am NaWik war sie 2022 Teil der Online-Redaktion für Wissenschaftskommunikation.de.
Elena Grunow studiert Crossmedia-Redaktion an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Als Praktikantin am NaWik war sie Teil der Online-Redaktion für Wissenschaftskommunikation.de.
Herr Henrich, im KILab lernen Schüler*innen am angewandten Beispiel der Verhaltensbiologie eine künstliche Intelligenz zu programmieren. Was ist die Idee hinter dem Projekt? Ein Schüler*innenlabor ist zunächst ein außerschulischer Lernort. Es bietet Platz für Themen, die in der Schule aufgrund von Kosten-, Zeit- und Personalmangel nur schwer aufgegriffen werden können. Künstliche Intelligenz wird Schüler*innen in Zukunft beschäftigen und dennoch wird im Unterricht noch nicht ausreichend darüber gesprochen. Hinter dem Schüler*innenlabor steht die Idee, Schüler*innen die Methode der KI an einem Beispiel näherzubringen, das sich gut in den Unterricht integrieren lässt. Da wir die Abteilung für Didaktik der Biowissenschaften sind, lag es nahe, ein Beispiel aus der Biologie zu wählen. Im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Verhaltensbiologie hatten wir große Datenmengen von Tiervideos generiert, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz ausgewertet werden sollten. Diese Problematik ließ sich sehr gut mit der Idee des Schüler*innenlabors verknüpfen.
Wenn man als Schüler*in das KILab besucht, wie sieht ein Tag dort konkret aus?
„Wir möchten mit dem KILab authentische Forschungseinblicke gewähren.“Marvin Henrich
Das KILab findet in Präsenz an der Universität Frankfurt statt. Die Schulklassen reisen meist um neun Uhr morgens an und bleiben für etwa sechs Stunden – ein guter Tagesausflug also. Uns ist wichtig den Forschungsprozess, der bei uns in der Abteilung der Biowissenschaften stattgefunden hat, abzubilden. Also werden die Schüler*innen zunächst mit dem Problem konfrontiert, dass klassische Verhaltensbiologie viele Stunden an Tierbeobachtungen voraussetzt, um valide Aussagen treffen zu können. In den Videos, die dazu aufgezeichnet werden, analysieren Verhaltensbiolog*innen die Körperpositionen der Tiere und ziehen daraus Rückschlüsse auf Verhaltensweisen. Es ist eine große Herausforderung, die dabei entstehenden Datenmengen händisch auszuwerten. Folglich überlegen die Schüler*innen, wie künstliche Intelligenz als Lösung für dieses Problem dienen könnte. Unsere Benutzeroberfläche führt die Schüler*innen dazu durch die Prozessphasen des Algorithmus zur Bilderkennung, einzelne Schritte programmieren sie auch selbst. Abschließend steht die Qualität der künstlichen Intelligenz im Fokus und wir thematisieren limitierende Faktoren der Technologie, beispielsweise eine hohe Spezifität der Bilderkennung für bestimmte Tierarten. Hierfür vergleichen die Schüler*innen eine KI, die auf wenigen Stunden Training beruht, mit einer KI, die über Monate oder Jahre trainiert wurde.
Gleichzeitig bringen Sie so den Schüler*innen also auch wissenschaftliches Arbeiten näher?
Ja, genau. Wir möchten mit dem KILab authentische Forschungseinblicke gewähren. Um den Schüler*innen wissenschaftliches Arbeiten am Thema Verhaltensbiologie zu zeigen, arbeiten sie mit der gleichen KI, die auch die Forscher*innen unserer Abteilung verwenden. Diese Symbiose ist das, was das KILab besonders macht.
„Bei vielen anderen Lehrangeboten werden die Möglichkeiten und Grenzen von KI nur theoretisch besprochen.“Marvin Henrich
Sie haben schon andere Schüler*innenlabore wie das Labor Neurowissenschaften betreut. Was ist das Besondere am KILab?
Eine Gemeinsamkeit der Schüler*innenlabore ist die Authentizität der Angebote. Die Schüler*innen kommen mit Originalmaterial aus der Forschung in Kontakt, im Fall des KILabs mit Videoaufnahmen von Tieren. Künftig möchten wir auch eine Intensivwoche anbieten, in der Schüler*innen im Zoo eigenes Videomaterial von Tieren generieren. Das Besondere am KILab ist, dass KI an einem realen Anwendungsbeispiel erprobt wird, ohne dass die Schüler*innen Vorkenntnisse im Programmieren haben müssen. Bei vielen anderen Lehrangeboten werden die Möglichkeiten und Grenzen von KI nur theoretisch besprochen.
Wie schaffen Sie es die Schüler*innen zu motivieren?
Schüler*innen sind dann motiviert, wenn sie etwas interessiert.
„Unser Konzept, künstliche Intelligenz anhand eines konkreten Anwendungsbeispiels zu vermitteln, wird von den Teilnehmer*innen sehr gut angenommen. “Marvin Henrich
Dieses Interesse versuchen wir zu schüren, indem wir eine hochmoderne Ausrüstung an der Universität zur Verfügung stellen. Zudem ist die Thematik der künstlichen Intelligenz hochaktuell. Verhaltensbiologie sorgt bereits im Unterricht für große Begeisterung, weil es den Kontakt zum Tier gibt und es etwas Greifbares ist.
Wie erreichen Sie die Zielgruppe der Lehrer*innen und Schüler*innen?
Nur wenige Schüler*innen informieren sich selbst über aktuelle Angebote, darum sprechen wir hauptsächlich die Lehrkräfte an. Wir haben Partnerschulen, die mit der Universität kooperieren und unsere Angebote als erstes nutzen dürfen. Natürlich arbeiten wir auch mit Verteilerlisten von Lehrkräften, die bereits im Rahmen anderer Angebote bei uns waren. Oft bringen sie Vertrauen in unsere Programme mit und kommen gerne wieder. Im regionalen Raum wollen wir die Schulen über Flyer und Infomails erreichen.
Das KILab ist im Oktober 2021 gestartet. Welche Reaktionen gab es bisher zum Projekt?
„Ein gutes Schüler*innenlabor steht und fällt mit einem Konzept, das in den Regelunterricht integriert werden kann.“Marvin Henrich
Bedingt durch die Kontaktbeschränkungen an der Universität konnte die Durchführung erst zum April uneingeschränkt starten. Über die ersten Besuche von Schülergruppen haben wir uns sehr gefreut und auch die Reaktionen der Teilnehmer*innen sind bisher positiv. Unser Konzept, künstliche Intelligenz anhand eines konkreten Anwendungsbeispiels zu vermitteln, wird dabei sehr gut angenommen und als hilfreich bewertet. Außerdem findet das konkrete Beispiel der Verhaltensbiologie bei den Schüler*innen Anklang, da sie den Bezug zum Regelunterricht feststellen.
Worauf sollte ich achten, wenn ich selbst ein Schüler*innenlabor starten möchte?
Zunächst braucht man natürlich personelle Ressourcen. Ein Schüler*innenlabor ist immer mit Konzeption und Durchführung verbunden. Ein gutes Schüler*innenlabor steht und fällt mit einem Konzept, das in den Regelunterricht integriert werden kann.Wenn ein Thema überhaupt nicht in den Lehrplan passt, haben Lehrkräfte Schwierigkeiten das Gelernte anzuwenden und den Besuch des Labors zu rechtfertigen. Deshalb ist bei uns der Fokus auf die Verhaltensbiologie so wichtig. Am besten stellt man den Lehrkräften auch Material für die Vor- und Nachbereitung zur Verfügung. Außerdem würde ich finanzielle Mittel berücksichtigen, beispielsweise um Versuchsmaterial anzuschaffen oder eine Infrastruktur einzurichten.