Foto: Petri Heiskanen

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im April 2022

Wie werden Verschwörungsmythen in Online-Kommentaren diskutiert? Unter welchen Bedingungen überprüfen Menschen Informationen auf Social Media? Und was passiert, wenn Behörden auf Facebook zu Corona kommunizieren? Mit diesen Themen beschäftigt sich der Forschungsrückblick für den April.

In unserem monatlichen Forschungsrückblick besprechen wir aktuelle Studien zum Thema Wissenschaftskommunikation. Diese Themen erwarten Sie in der aktuellen Ausgabe:

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Covid-Kommunikation auf Facebook

Der Ausbruch der Coronapandemie im Jahr 2020 hat Gesundheitsbehörden vor die Herausforderung gestellt, möglichst schnell akkurate Informationen bereitzustellen und Fragen zu beantworten. Um dies zu ermöglichen hat die dänische Gesundheitsbehörde einen neuen Facebook-Kanal gegründet. Wie die Kommunikation zwischen Bürger*innen und Gesundheitsbehörde ablief, haben Fie Madvig, Marianne Achiam, Rebecca Adler-Nissen, Nicklas Johansen und Louise Whiteley von der Universität Kopenhagen untersucht.

Methode: Im Mittelpunkt der Untersuchung stand die Kommunikation zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes während der Covid-19-Pandemie. Schutzmasken waren Anlass für kontroverse öffentliche Diskussionen und wurden im Vergleich zu anderen Ländern in Dänemark erst spät verpflichtend eingeführt. Ab Juli 2020 empfahl die dänische Gesundheitsbehörde Masken für besondere Situationen, Ende August desselben Jahres wurden sie in öffentlichen Verkehrsmitteln obligatorisch. Eine der Autorinnen der Studie hat als Moderatorin bei der Facebook-Seite der Gesundheitsbehörde gearbeitet und für ihre Masterarbeit geforscht. 

Kritisiert wurde häufig, dass die Gesundheitsbehörde ihre Empfehlungen zum Tragen von Masken immer wieder geändert habe.
Untersucht wurden die 7.895 Interaktionen, die sich auf Facebook-Posts zum Thema Masken bezogen, die zwischen Ende Februar und dem 11. Oktober 2020 veröffentlicht wurden. In einer quantitativen Analyse wurde unter anderem bestimmt, welche Benutzer*innen wie häufig interagierten und wie sich diese im Laufe der Zeit entwickelte. Es wurden 13 häufig kommentierte Posts für die qualitative Untersuchung ausgewählt. Auch Inhalte von Treffen der Wissenschaftler*innen mit Mitarbeiter*innen der Gesundheitsbehörde sind in die Analyse eingeflossen.

Ergebnisse: Ziel der Facebook-Seite der dänischen Gesundheitsbehörde war, auf Grundlage professioneller Expertise und mit eigens angestellten Moderator*innen Fragen zu beantworten und Präsenz zu zeigen. Dafür wurde laut der Forscher*innen ein „beispielloses Budget“ zur Verfügung gestellt. Im Verhältnis zur hohen Nachfrage nach Informationen blieben die Kommunikationskapazitäten jedoch gering. Auf der Facebook-Seite wurde beispielsweise darauf hingewiesen, dass einzelne Bürger*innen in Stoßzeiten nur mit einer begrenzten Anzahl von Antworten rechnen können. Moderator*innen sollten fachliche Fragen, jedoch keine Kommentare zu politischen Entscheidungen beantworten und allgemeine, jedoch keine individuellen Ratschläge geben. Dadurch wurde laut der Forscher*innen eine eingeschränkte Dialogpraxis entwickelt, die von der institutionellen Rolle der Plattform und von Ressourcen-Fragen geprägt ist. 

Die Forscher*innen arbeiteten verschiedene Kommunikationsmuster heraus, darunter „die Suche nach Informationen und Begründungen“: Bürger*innen stellten detaillierte Fragen, um sich in ihrem täglichen Leben an Empfehlungen zu halten. In diesem Fall befand sich die Gesundheitsbehörde in einer klassischen Expert*innenrolle. Andererseits erfuhren die Mitarbeiter*innen der Behörde auf diese Weise, welche Fragen und Bedürfnisse die Bürger*innen hatten. 

Als weiteres Muster kristallisierte sich „Feedback ohne Antwort“ heraus. Die meisten Rückmeldungen waren negativ – was auf sozialen Medien zu erwarten gewesen sei, schreiben die Forscher*innen. Kritisiert wurde häufig, dass die Gesundheitsbehörde ihre Empfehlungen zum Tragen von Masken immer wieder geändert habe, was als inkonsistent und inkompetent gewertet wurde. Die Gesundheitsbehörde antwortete mit allgemeinen, nüchternen Informationen, anstatt auf Emotionen einzugehen. Hier zeigen sich laut der Forscher*innen die Grenzen des dialogischen Engagements. 

Statt eines Dialogs zeigte sich laut der Forscher*innen ein chaotischer und fragmentierter Zustand.
Als drittes Kommunikationsmuster arbeiteten sie heraus, dass Bürger*innen Fachwissen für sich selbst beanspruchten, indem sie sich selbst oder andere als konkurrierende Expert*innen zum Thema Mund-Nasen-Schutz positionierten. Einige nahmen Bezug auf wissenschaftliche Studien, interpretierten diese aber falsch. Solche Kommentare und auch offensichtlichere Falschinformationen wurden nicht zensiert, weil die Gesundheitsbehörde den Anschein von Transparenz und Dialog wahren wollte. 

Als viertes Kommunikationsmuster haben die Forscher*innen „das Abladen von Emotionen in unterbrochenen dialogischen Ketten“ identifiziert. Viele Kommentare waren sehr emotional und mit Ausrufezeichen oder Flüchen versehen. Die verantwortlichen Kommentator*innen tauchten oft nur kurz auf, setzten einen Post ab und verschwanden dann wieder. Die Moderator*innen waren darauf trainiert, sich nicht direkt mit negativen Äußerungen auseinanderzusetzen, sondern stattdessen zu reagieren, als ob der*die Benutzer*in um Informationen bittet. Für sie seien persönliche Angriffe und Hassnachrichten sehr belastend gewesen. Statt eines Dialogs zeigte sich laut der Forscher*innen ein chaotischer und fragmentierter Zustand. 

Schlussfolgerungen: Die Forscher*innen arbeiteten aus den untersuchten Interaktionen die Herausforderungen und Widersprüche eines solchen kommunikativen Vorhabens heraus. Sie zeigen, dass unterschiedliche Kommunikationsmuster gleichzeitig existieren können. Die Beantwortung von Bürger*innenfragen sei einerseits eine klassische Top-Down-Verbreitung von Informationen. Gleichzeitig informierten sich auf diese Weise jedoch Expert*innen über Wünsche und Anliegen von Bürger*innen. Die Informationen seien also nicht nur in eine Richtung geflossen.  

Die Auto*innen sind der Meinung, dass Dialog, nicht grundsätzlich die beste Wahl sei. Abhängig von der Situation müsse abgewogen werden, welche Kommunikationsform angemessen sei.

Es zeigt sich, dass häufig Kritik geübt wurde, wenn sich gesundheitliche Empfehlungen änderten. Für die Wissenschaftskommunikation unterstreiche dies die Notwendigkeit, Wissenschaft transparent und als Prozess zu kommunizieren. 

Eine Herausforderung waren Fragen, die politische Entscheidungen berührten und deswegen von den Moderator*innen nicht beantwortet werden sollten. Dass auf solche Kritik nicht eingegangen wurde, sondern allgemeine „Nicht-Antworten“ präsentiert wurden, bezeichnen die Forscher*innen als paternalistische, aber nicht unbedingt schlechte Strategie. Dadurch zeige sich, welche Rollen für die beiden Parteien sinnvoll und möglich seien. 

In ein Dilemma brachte Moderator*innen auch die Frage, welche Kommentare gelöscht werden sollen.
Die Forscher*innen überlegen, dass es eine wichtige emotionale Funktion für Menschen haben könnte, emotionalen Kommentare auf Facebook zu verfassen, und regen weitere Forschung dazu an, wie verschiedene Nutzer*innnengruppen solche Phänomene erleben. 

In ein Dilemma brachte Moderator*innen auch die Frage, welche Kommentare gelöscht werden sollen. Denn einerseits will die Gesundheitsbehörde glaubwürdig erscheinen und keine Falschnachrichten verbreiten, aber auch nicht den Anschein dialogischer Offenheit verlieren. Die Forscher*innen spekulieren, dass dabei dekontextualisierte wissenschaftliche Aussagen noch besorgniserregender sein könnten als offensichtliche Falschaussagen und Verschwörungsmythen.  Wichtig sei laut der Forscher*innen, an die „schweigende Mehrheit“ zu erinnern, die sich informiert und die Diskussionen ignoriert. Auf diese Weise erreicht die Gesundheitsbehörde also ihr Ziel. Die Forscher*innen überlegen, ob das „anarchische Blubbern“ im Kommentar-Thread eventuell ein angemessener Preis für die große Reichweite und Bürger*innen-Nähe der Facebook-Seite sein könnte. 

Die Forscher*innen stellten fest, dass die Moderator*innen keine Kapazitäten hatten, sich mit Forschung zu Wissenschaftskommunikation zu beschäftigen. Entscheidungen seien intuitiv und auf der Grundlage von Erfahrungswissen getroffen worden – wobei unklar sei, ob eine langsamere, forschungsbasierte Kommunikationsgestaltung in so einem Notfall effizienter gewesen wäre. Im Allgemeinen aber plädieren die Forscher*innen für die Einbettung von Forschungsprozessen in die Entwicklung von lokalen Wissenschafts- und Gesundheitskommunikationsprojekten.

Einschränkungen: Die Fallstudie bezieht sich auf einen bestimmten Zeitraum und ein konkretes Thema. Die Forscher*innen betonten, dass die Ergebnisse kontextabhängig seien. So hätten sich beispielsweise nach Ablauf des Untersuchungszeitraumes die Interaktionen auf der Facebook-Seite verändert, als die Covid-19-Impfstoffe eingeführt wurden. Trolle und systematischere Verbreitung von Falschinformationen hätten die Moderator*innen dadurch vor neue Herausforderungen stellt. 

Madvig, F., Achiam, M., Adler-Nissen, R., Johansen, N., Whiteley, L. (2022) Coming Closer to Citizens? Frustrated Dialogue on the Danish Health Authority’s Facebook Page During COVID-19. Frontiers in Communication. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fcomm.2022.822471/full

Verschiedene Wahrheiten: Kommentare zu Verschwörungsmythen

Verschwörungsmythen und deren politische und soziale Auswirkungen werden in der Wissenschaft und in den Medien intensiv diskutiert. Immer wieder wird die Sorge geäußert, dass die Auflösung einer „gemeinsamen Wahrheit“ zu gesellschaftlicher Polarisierung führt. Welche Gedanken aber haben Menschen außerhalb von akademischen und journalistischen Fachkreisen zu diesen Fragen? Das haben Jaron Harambam von der Vrije Universiteit Amsterdam sowie Kamile Grusauskaite und Lars de Wildt von der Katholieke Universiteit im belgischen Leuven am Beispiel von Kommentaren unter einem Interview auf einer niederländischen Nachrichtenplattform analysiert. 

Methode: Die Forscher*innen haben eine qualitative Inhaltsanalyse von 522 Kommentaren zu einem Interview durchgeführt, das im Mai 2020 auf NU.nl, der größten Online-Nachrichtenplattform der Niederlande, veröffentlicht wurde. In dem Interview sprach Jaron Harambam, der Hauptautor der vorliegenden Studie, über Verschwörungsmythen und die Frage, ob man sich mit deren Anhänger*innen auseinandersetzen sollte. NU.nl ziehe ein bunt gemischtes Publikum an, wodurch die Stichprobe geeignet sei, einen Überblick über die Vielfalt öffentlicher Meinungen zu erhalten, argumentieren die Autor*innen. Sie orientierten sich bei ihrer Analyse lose am Ansatz der Grounded Theory, entwickelten ihre theoretischen Annahmen also aus dem vorliegenden Material heraus. Zuerst haben sie nach häufig auftretenden Themen und Mustern gesucht, um daraus allgemeinere Konzepte abzuleiten. 

Ergebnisse: Die Forscher*innen arbeiteten aus einem breiten Spektrum an Meinungsäußerungen vier Schlüsselthemen herausgearbeitet, darunter den „Habitus des Misstrauens“ („Habitus of distrust“): ein tiefsitzendes Misstrauen gegenüber Eliten, Institutionen und „offiziellen Wahrheiten“. Einige Kommentator*innen sehen diese Einstellung als irrational, paranoid und gefährlich an, andere beurteilen sie als legitim oder sogar nützlich – denn Misstrauen sei in der heutigen, korrupten Welt eine logische Haltung. Expert*innen-Wissen als einzig gültige Wahrheit anzusehen, sei töricht. Schließlich sei auch die Einsicht, dass die Erde rund ist, in früheren Zeiten als Verschwörungstheorie abgetan worden. Auch von Staaten verbreitete Unwahrheiten wie die angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak werden als Argumente angeführt, dass man nicht alles glauben solle, was vom „Mainstream“ vertreten werde. Ihren Habitus des Misstrauens veranschaulichen Kommentator*innen oft als Folge schlechter, persönlicher Erfahrungen. 

Einige Kommentator*innen kritisieren, alternative Ansichten würden vorschnell als Verschwörungstheorien abgetan.
Das zweite Schlüsselthema bezieht sich auf die Akteur*innen: Wer sollte in der öffentlichen Debatte mitreden? Viele Diskussionsteilnehmer*innen argumentierten, dass man Expert*innen (Akademiker*innen, Politiker*innen, Journalist*innen) zuhören sollte, da sie über Fachwissen verfügen, während Anhänger*innen von Verschwörungsmythen irrational und uninformiert seien. Andere argumentierten, dass die breitere Öffentlichkeit den engen Expert*innenblick erweitern könne: Lai*innen seien im Gegensatz zu Expert*innen kreativer, unabhängig und unvoreingenommen. Einige Kommentator*innen kritisieren, alternative Ansichten würden vorschnell als Verschwörungstheorien abgetan. 

Das dritte von den Autor*innen identifizierte Schlüsselthema bezieht sich auf die Frage, welche Wege der Wissensgenerierung zugelassen werden. Für einige Kommentator*innen ist nur Expert*innenenwissen legitim, weil es nach strengen methodischen Verfahren generiert wird und auf Fakten basiert. Andere Kommentator*innen jedoch betonen den Wert von Intuition und Erfahrung als Wege der Wissensproduktion. Wenn man etwas nicht messen oder verstehen könne, bedeute es nicht, dass es nicht wahr sei. Wissenschaft eröffne eine wichtige, aber begrenzte Perspektive. 

Das vierte Schlüsselthema kreist um die möglichen Konsequenzen, wenn Anhänger*innen von Verschwörungsmythen im Diskurs Raum gegeben wird. Einige Kommentator*innen argumentieren, dass dies gefährlichen Fanatiker*innen und Uninformierten eine Bühne gebe, ihre Ansichten legitimiere und zu gesellschaftlichen Spannungen führe. Auch wurde gefragt, wie Menschen noch miteinander sprechen können, wenn sie sich nicht mehr auf eine grundlegende gemeinsame Realität einigen können. Andere Kommentator*innen argumentieren, dass Stigmatisierung und gesellschaftliche Ausgrenzung erst recht zu Entfremdung und Radikalisierung führten. Eine offene Konfrontation unterschiedlicher Ideen hingegen sorge dazu, dass man voneinander lernen könne. 

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass sich die öffentliche Meinung komplexer und nuancierter darstelle, als es „elitäre Vorstellungen von Postfaktizität“ zulassen, schreiben die Autor*innen. Es gehe in den Online-Diskussionen weniger und ein „jenseits von Wahrheit“ als um eine Auseinandersetzung mit der Wahrheit: Wer darf darüber entscheiden, was wahr ist und wie Wahrheit produziert wird? Darf man „offizielles“ Wissen anzweifeln? Als größte Meinungsverschiedenheit der Kommentator*innen kristallisiere sich ein Phänomen heraus, das die Autor*innen Poly-Wahrheit (Poly-Truth) nennen. Es geht dabei um die Frage, ob unterschiedliche Akteur*innen und Wissensformen wertgeschätzt werden.

Die Ergebnisse der Studie zeichnen ein vielschichtiges Bild von öffentlichen Meinungen gegenüber Wissensproduktion.
 

Die Ergebnisse der Studie zeichnen ein vielschichtiges Bild von öffentlichen Meinungen gegenüber Wissensproduktion. Unter anderem zeigt sich, dass es Menschen gibt, die wissenschaftliches Wissen schätzen und ernst nehmen, aber gleichzeitig andere Formen von Wissensgewinnung in ihre Überlegungen einbeziehen.

Im akademischen Diskurs würden Unterscheidungen zwischen Fakten und Nicht-Fakten (Werte, Gefühle, Meinungen) hochgehalten, schreiben die Autor*innen. Postfaktizität werde als eines der wichtigsten gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit dargestellt. Gleichzeitig werde die Pluralität von Meinungen als Kernelement offener, demokratischer Gesellschaften angesehen. Darin sehen die Autor*innen Konfliktpotenzial. Sie argumentieren, dass die vorherrschende akademische Unterscheidung zwischen irrationalen Verschwörungstheorien und rationaler Wissenschaft auch als Grenzziehung angesehen werden könne, die die epistemische Autorität der Wissenschaft aufrechterhält. In diesem Zusammenhang stelle sich die Frage, welche politischen und gesellschaftlichen Folgen eine Abwertung von nichtwissenschaftlichem Wissen hat und welche Möglichkeiten des Umgangs mit „alternativen Wissensformen“ denkbar sind. 

Einschränkungen: Untersucht wurden Kommentare unter einem einzelnen Online-Artikel zu Verschwörungstheorien. Möglicherweise entwickeln sich Leser*innen-Diskussionen zu anderen Artikeln mit demselben Thema anders. Wer sich an den Diskussionen beteiligt und ob diese Meinungen tatsächlich einen Querschnitt der Bevölkerung repräsentieren, kann nicht überprüft werden.

Harambam, J., Grusauskaite, K., de Wild, L. (2022) Poly-truth, or the limits of pluralism Popular debates on conspiracy theories in a post-truth era, Public Understanding of Science 1–15, https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/09636625221092145

Was motiviert zum Corona-Fact-Checking?

Falschinformationen können fatale Folgen haben – beispielsweise, wenn Menschen in der Coronapandemie irreführenden Gesundheitsratschlägen folgen. Welche Faktoren aber tragen dazu bei, dass Menschen Informationen auf Social Media überprüfen? Das hat Yanqing Sun von der Hunan-Universität in China am Beispiel von Nachrichten zu Covid-19 auf Facebook untersucht. 

Methode: Die Kommunikationswissenschaftlerin geht davon aus, dass Menschen die Informationen eines Post in sozialen Netzwerken eher überprüfen möchten, wenn sie glauben, dass es sich um eine Falschnachricht handelt, die ein Gefahrenpotenzial für andere Menschen darstellt. Für die Überprüfung, so vermutet die Autorin, würden sie menschliche Quellen (z.B. Freund*innen oder Bekannte) oder institutionelle Quellen (z.B. Suchmaschinen, medizinische Fachportale oder Fact-Checking-Seiten) befragen. Je schwerwiegender Menschen die Falschnachrichten bewerteten, desto größere Angst verspürten sie. Größere Angst wiederum führe dazu, dass Menschen die Informationen eher überprüfen wollten. Wer glaube, dass andere Menschen besonders empfänglich für Falschinformationen sind oder von diesen beeinflusst werden, habe mehr Angst und dadurch auch eine stärkere Absicht, die fraglichen Informationen zu überprüfen. Wer glaube, dass ein solches Fact-Checking effektiv ist und annehme, selbst etwas ändern zu können (Selbstwirksamkeit) vertrete eher die Absicht, Falschinformationen zu korrigieren. 

Um ihre Thesen zu überprüfen, führte Yanqing Sun ein Online-Experiment mit 400 US-Amerikaner*innen durch, die über Amazon Mechanical Turk (MTurk) rekrutiert wurden. Vier zufällig generierte Gruppen bekamen jeweils einen Facebook-Post mit einer Falschnachricht und zwei dazugehörige Kommentare zu lesen, die die Informationen korrigierten. In einer der Falschnachrichten ging es um die angebliche Wirksamkeit von Hydroxychloroquin, in der zweiten um die von Vitamin C als Schutz vor Corona. In der dritten Falschnachricht wurde behauptet, dass Knoblauch zur Vorbeugung einer Covid-19-Infektion helfe und in der vierten, dass Schuhe das Virus verbreiteten. In den Kommentaren zu den ersten beiden Posts hieß es, dass dies gravierende Falschinformationen seien, für die andere Menschen sehr empfänglich seien. Die Kommentare zu den anderen Post suggerierten, dass diese Falschnachrichten nicht so gravierend seien und andere Menschen weniger wahrscheinlich daran glauben würden.  

Aus den Ergebnissen lässt sich schließen, dass Menschen Fakten eher überprüfen, wenn sie glauben, dass von ihnen eine Gefahr für andere ausgeht und dass andere ihnen Glauben schenken könnten.
Die Teilnehmer*innen des Experiments sollten beantworten, für wie schwerwiegend sie die jeweiligen Falschnachrichten hielten und dazu, für wie wahrscheinlich sie es hielten, dass andere Menschen durch die Informationen beeinflusst werden. Sie wurden gefragt, ob sie sich „erschrocken“ oder „ängstlich“ fühlen und ob sie die Absicht hätten, die Informationen zu überprüfen – und wenn ja: auf welchem Wege. Außerdem wurde überprüft, ob sie Fact Checking für effektiv halten und ob sie glauben, selbst einen Unterschied machen zu können. Dazu sollten sie angeben, inwiefern sie Aussagen wie „Korrektur wirkt gegen Fehlinformationen“ und „Ich bin in der Lage, diese Informationen in sozialen Medien zu korrigieren“ zustimmen. 

Ergebnisse: Es zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen den vier Gruppen. Bei der Hydroxychloroquin- und der Vitamin-C-Falschnachricht gingen die Befragten von einem stärkeren Einfluss und einer höheren Empfänglichkeit anderer Menschen aus als bei der Knoblauch- und der Schuh-Falschnachricht. Anders als angenommen führte die Wahrnehmung einer potenziell gefährlicheren Falschnachricht (z.B. Hydroxychloroquin) nicht zu einer signifikant stärkeren Absicht, die Informationen zu überprüfen als bei einer potenziell weniger gefährlichen Falschnachricht (z.B. Knoblauch). Es bestätigte sich hingegen, dass eine als stärker wahrgenommene Gefährdung mit einem höheren Maß an Angst einhergeht. Wer von einer stärkeren Bedrohung durch die Falschinformation ausging und andere Menschen für empfänglicher hielt, zeigte stärkere Absichten, die Informationen durch institutionelle Quellen zu überprüfen – nicht jedoch durch menschliche. Befragte, die stärker davon ausgingen, die Information könnte andere Menschen gefährden, hatten auch mehr Angst. Wer glaubte, dass Fact Checking etwas bringt und eine stärkere Selbstwirksamkeit zeigte, hatte eher die Absicht, Falschinformationen mithilfe von institutionellen Quellen zu überprüfen und zu korrigieren. Für die Absicht eines Fact Checkings mithilfe menschlicher Quellen galt das nicht. 

Schlussfolgerungen: Aus den Ergebnissen lässt sich schließen, dass Menschen Fakten eher überprüfen, wenn sie glauben, dass von ihnen eine Gefahr für andere ausgeht und dass andere ihnen Glauben schenken könnten. Das führt dazu, dass sie die Informationen mithilfe von institutionellen Quellen, aber nicht mithilfe von menschlichen Quellen wie Freund*innen oder Familienmitgliedern überprüfen wollen. Ein Grund dafür könnte laut der Autorin sein, dass Menschen bei der Überprüfung von Fakten größeres Vertrauen in professionelle medizinische Einrichtungen, journalistische Medien oder Websites haben als in andere Menschen.

Es zeige sich, dass die Entscheidung, verdächtige Informationen zu überprüfen, nicht nur eine rationale Überlegung, sondern auch ein Ergebnis affektiver Reaktionen wie Angst sei.
Es zeige sich, dass die Entscheidung, verdächtige Informationen zu überprüfen, nicht nur eine rationale Überlegung, sondern auch ein Ergebnis affektiver Reaktionen wie Angst sei. Yanqing Sun vermutet, dass Menschen Falschnachrichten korrigieren wollen, um eigenen Ängsten entgegenzuwirken. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass korrigierende Kommentare andere Menschen motivieren, selbst Fakten zu checken. 

Außerdem ließe sich daraus ableiten, dass in der Wissenschaftskommunikation nicht nur Bemühungen von Wissenschaftler*innen und Journalist*innen, sondern auch das Engagement der breiten Öffentlichkeit eine Rolle spielt. Für die Gesundheits- und Wissenschaftskommunikation ließe sich schlussfolgern, dass Menschen zum Überprüfen von Quellen motiviert werden könnten, indem aufgezeigt wird, dass Falschnachrichten andere Menschen gefährden können und das andere Menschen empfänglich für diese Art von Informationen sind. Yanqing Sun schreibt, es könne möglicherweise zielführend sein, an die gemeinsame Verantwortung zur Widerlegung von Falschinformationen zu appellieren.

Einschränkungen: In der Studie wurden Verhaltensabsichten von Menschen abgefragt. Ob sie tatsächlich Informationen überprüfen und wie sie das tun, müsste in weiteren Studien überprüft werden. Eine weitere Einschränkung ist die Zusammensetzung der Stichprobe, die im Vergleich zur gesamten US-Bevölkerung überdurchschnittlich viele weiße, männliche und formal gebildete Teilnehmer aufwies. Überprüft wurden die Thesen zudem nur an einem einzelnen Themenbereich. 

Sun, Y. (2022) Verification Upon Exposure to COVID-19 Misinformation: Predictors, Outcomes, and the Mediating Role of Verification, Science Communication, https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/10755470221088927

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Welchen Einfluss hat Sprache auf das Bild von Klimaforschung? Das haben Angelina Grien und Robert MacNeil von der University of Sydney am Beispiel der Berichterstattung über zwei Klimaexperten in der konservativen Zeitung The Australian untersucht. Einer der beiden vertritt den wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel, der andere ist ein prominenter Skeptiker dieses Konsens. Die Studienautor*innen stellen fest, dass zum Beispiel durch die Verwendung von akademischen Titeln und die Wahl von Verben (beispielsweise „sagte“, „beklagte“ oder „warnte“) unterschiedliche Wirkungen erzielt werden. Beim Konsens-Vertreter wurden weniger häufig neutrale Verben verwendet als beim anderen Experten, wodurch er im Vergleich alarmistischer und weniger glaubwürdig erschien. Die Forscher*innen schlussfolgern, dass bestimmte semantische Strukturen, die in der konservativen Klimaberichterstattung verwendet werden, auch in einer unpolitischen Analyse von Klimaproblemen möglicherweise zu reaktionären Schlussfolgerungen führen können.

Wie wird Impfskepsis durch Diskussionen auf Twitter verstärkt? Um das zu untersuchen, hat ein Forschungsteam um Fulian Yin von der Communication University of China mehr als 19 Millionen Twitter-Nachrichten gesammelt und ausgewertet, die von November 2020 bis April 2021 weltweit gepostet wurden. Ihre Analyse zeigt unter anderem, wie sich die Themen, die sich aufs Impfen beziehen, im Laufe der Zeit verschieben. Anfangs standen potenzielle Nebenwirkungen im Fokus, später werden Politik und Impfstoffdiplomatie die dominierende Themen. Letzteres bezeichnet den Einsatz von Impfstoffen in diplomatischen Beziehungen – zum Beispiel, um den eigenen politischen? Einfluss zu erhöhen. Auch Diskussionen um die Wirksamkeit von Impfstoffen gegenüber neuen Virusvarianten seien stark ausgeprägt und erhöhten die Impfskepsis. Die Forscher*innen empfehlen Regierungen, gezielt Vertrauen in Impfungen aufzubauen und international zusammenzuarbeiten. Gerade Länder, in denen Impfstoffe knapp sind, müsse mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Auf welche Weise können Erdbebenrisiken kommuniziert werden? Ein Team von Forscher*innen um Lucia Savadori von Universität Trient in Italien hat untersucht, ob Vergleiche mit anderen bekannten Ereignissen bei der Kommunikation helfen können. Es zeigte sich: Wenn Menschen Vergleiche präsentiert wurden, war ihre Sensibilität der Risikowahrnehmung höher, als wenn sie nur einen reinen Wahrscheinlichkeitswert erfuhren. Laut der Forscher*innen deckt sich das mit der These, dass Menschen solche Werte besser verstehen, wenn ihnen Referenzdaten zur Verfügung gestellt werden.

Passend zum aktuellen Schwerpunktthema auf Wissenschaftskommunikation.dewidmet das Journal of Science Communication partizipativer Wissenschaftskommunikation eine Sonderausgabe. Präsentiert werden Praxisbeispiele, Studien und Essays mit Einblicken in verschiedene Länder. Fallstudien zeigen, wie verschiedene Zielgruppen – von Schüler*innen über indigene Gruppen bis hin zu Landwirt*innen – einbezogen werden. Die Themen reichen von Meeresforschung über Gesundheitskommunikation, Klimawandel, Energiewende bis hin zu städtischer Biodiversität.

Ist Vertrauen im Kampf gegen Covid-19 ein zweischneidiges Schwert? Jon Reiersen, Kristin Roll, Jesse Dylan Williams und Michael Carlsson von der University of South-Eastern Norway in Kongsberg schreiben, dass Vertrauen in die Gesellschaft zwar zur Akzeptanz von öffentlichen Maßnahmen führen könne. Gleichzeitig, so argumentieren die Wissenschaftler*innen, könne das aber die Risikowahrnehmung beeinflussen. Wer glaube, dass die Regierung die Krise kompetent manage, erachte womöglich individuelle Schutzmaßnahmen als weniger wichtig. Wer davon überzeugt sei, dass alle Menschen vertrauenswürdig seien, sähe sie womöglich weniger als Gefahr. Auf Grundlage von Daten aus 127 Ländern hat das Forschungsteam festgestellt, dass die Zahl der Covid-19-Todesfälle mit dem Vertrauen in die Regierung und dem Vertrauen in die Wissenschaft abnimmt, während sie mit dem sozialen Vertrauen zunimmt.

Was motiviert Menschen, Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie zu befolgen? Das haben Lilian Kojan, Laura Burbach, Martina Ziefle und André Calero Valdez von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen und der Universität zu Lübeck an einer repräsentativen deutschen Stichprobe untersucht. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass der einflussreichste Faktor die wahrgenommene Wirksamkeit der Maßnahmen ist. Danach folgten normative Überzeugungen wie beispielsweise die eigene moralische Verpflichtung, die Verbreitung des Coronavirus zu verhindern, und die Wahrnehmung der „Kosten“ für das jeweilige Verhalten. Die Ergebnisse legen nahe, dass Kommunikationsstrategien rund um Covid-19 die Wirksamkeit von Maßnahmen betonen und ans Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen appellieren sollten.