Wie wird Geschichte auf Instagram und TikTok erzählt? Social Media History erforscht diese Frage gemeinsam mit Bürger*innen. Warum Mitinitiator Christian Bunnenberg mit diesem Projekt die medienhistorische Kompetenz von Menschen stärken möchte, erklärt er im Interview.
„Partizipative Projekte sind keine gängige Methode der Geschichtswissenschaft“
Herr Bunnenberg, im Projekt Social Media History erforschen Sie gemeinsam mit Bürger*innen, wie Geschichte auf TikTok und Instagram erzählt wird. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Die Idee ist nach einer Twitterdiskussion zusammen mit den Kollegen Thorsten Logge und Nils Steffen entstanden, wo wir über ein geschichtsbezogenes Format auf TikTok diskutierten und feststellten: Geschichte findet auch auf dieser Plattform statt, aber wie? Dazu passend gab es eine Ausschreibung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit der Förderlinie zu Projekten zur Bürger*innenforschung. Da fiel die Entscheidung, dass wir zu dem Thema gemeinsam mit Bürger*innen ein Projekt starten möchten.
Warum haben Sie sich diese beiden Plattformen herausgesucht?
Wir haben uns Instagram und TikTok herausgegriffen, weil dort zu dem Zeitpunkt, als wir den Antrag geschrieben haben, wenige Institutionen und Akteure der Geschichtskultur, wie Gedenkstätten, Museen oder Hochschulprojekte präsent waren. Aktiv waren damals eher freie Projekte, die nicht an die akademische Geschichtswissenschaft angeschlossen sind. Wir wollen analysieren: Wer erstellt auf diesen Plattformen unter welchen ästhetischen Bedingungen Geschichte? Es geht um die Erschließung und Untersuchung von medialen, ästhetischen Narrativen und technischen Spezifika dieser Plattform und wie diese zusammenspielen. Das möchten wir mit Bürger*innen untersuchen, die nicht mit einem wissenschaftlich analytischen Blick auf diese ganzen Angebote schauen, sondern diese als Teil ihres Alltags nutzen. Sie konsumieren oder produzieren vielleicht sogar geschichtsbezogene Inhalte über diese Kanäle.
Was ist methodisch besonders bei Social Media History?
Partizipative Projekte sind keine gängige Methode der Geschichtswissenschaft.
Die gängige Herangehensweise ist: Ich habe eine historische Fragestellung, gehe ins Archiv, suche mir Quellen raus, habe mir Methoden und Theorien entwickelt und versuche mir ein Phänomen der Vergangenheit zu erklären. Und genau das machen wir nicht. Wir schauen mit Bürger*innen gemeinsam Geschichte an, die in der Gegenwart stattfindet. Wir möchten analysieren, selber tätig werden und experimentieren. Das ist für die Geschichtswissenschaft nicht alltäglich.
Social Media History
Im Projekt Social Media History erforschen Christian Bunnenberg von der Ruhr-Universität Bochum, Thorsten Logge und Nils Steffen vom Arbeitsbereich Public History, an der Universität Hamburg wie Geschichte auf den Plattformen TikTok und Instagram erzählt wird. Gemeinsam mit Bürger*innen werden bereits vorhandene Formate auf diesen Plattformen analysiert und eigene Inhalte erstellt. Ziel ist, die Medienkompetenz der Teilnehmer*innen zu fördern und öffentlich zugängliche Schulungsmaterialien zu entwickeln. Der Verein Kulturpixel e.V. berät die Forschenden in der Zusammenarbeit mit den Bürger*innen und bei der Ausrichtung der Workshops.
Geschichte ist nicht gleich Vergangenheit. Denn Geschichte ist zeit- und perspektiv- gebundenes Sprechen über die Vergangenheit. Das heißt, jede Gegenwart hat Fragen an die Vergangenheit und beantwortet sich diese Fragen aus ihrer Jetzt-Perspektive heraus. Die Vergangenheit verändert sich also nicht, aber ihre Deutung kann sich verändern. Das ist erst mal positiv, weil uns die Arbeit nicht ausgeht. Es ist aber auch sehr herausfordernd, weil immer beachtet werden muss, wie Gesellschaften mit Vergangenheiten umgehen. Die Frage ist ja, woher Menschen ihr Wissen über die Vergangenheit beziehen. Die Masse dessen, was wir glauben über die Vergangenheit zu wissen, ist medial geprägt. Historische Romane, Filme, Werbung, Spielzeug. Alleine die Playmobil Ritterburg gibt ja schon bestimmte Vorstellung von dem Mittelalter.
Die Beschäftigung mit Vergangenheit ist immer ein Orientierungsbedürfnis. Ich muss mich in meiner Gegenwart orientieren für die Zukunft und schaue deswegen zurück. Und das findet auch in den sozialen Medien statt.
Was ist das Ziel von Social Media History?
Wir möchten in vier Workshops Materialien entwickeln, mit denen Menschen Wissen an die Hand bekommen, um Geschichte oder die Angebote, die sie in sozialen Medien haben, kritisch reflektieren und bewerten zu können. Es ist wichtig, nicht alles zu glauben, was in den sozialen Medien bereitgestellt wird, sondern hinter diese Mechanismen schauen zu können. Dabei sollte man sich überlegen: Hier gibt es ein Angebot, das sich über Vergangenheit äußert. Was möchte dieses Angebot mir erzählen und warum? Orientiert es sich an den Standards der historisch-politischen Bildung, den geschichtswissenschaftlichen Methoden und geschichtsdidaktischen Prinzipien oder ist es Unterhaltungshistoriografie. Es ist immer eine Interpretation, das weiß ich, weil sie zeit- und perspektiv gebunden ist. Gleichzeitig sollen sich Menschen selber kritisch und reflektiert in Beziehung zu diesen Angeboten setzen können und nicht gleich aus Reflex ablehnen oder unkritisch konsumieren. Die Materialien werden durch die Hamburg Open Online University und die Landeszentrale für politische Bildung öffentlich zugänglich sein.
Können Sie diese „kritische Reflexion“ an einem Beispiel erklären?
Die sozialen Medien eröffnen plötzlich Möglichkeiten für sehr viele Menschen, Geschichte wahrzunehmen. Zudem sind wir nicht mehr nur Konsument*innen, sondern können auch Produzent*innen sein – sogar relativ niedrigschwellig. Jede*r kann seine Interpretationen und Deutungsangebote erst mal zu Markte tragen. Am Beispiel des Instagram-Kanals „IchbinSophieScholl“ zeigt sich das Problem, dass die öffentlich-rechtlichen Sender, die es anbieten, selbst nicht entschieden darüber sind, ob das Format nun Unterhaltungshistoriografie ist – was es ja eigentlich ist – oder Geschichtsschreibung? Das ist es nicht. Oder ist es historisch politische Bildung? Das würde es gerne sein. Das Projekt ist es aber nicht, weil es geschichtswissenschaftliche und -didaktische Standards und Prinzipien nicht einhält.
Es funktioniert aber nicht zu sagen, „IchbinSophieScholl“ sei schlecht, schaut euch das nicht an. Wir müssen verstehen, wie Geschichte funktioniert und darüber in einen Diskurs kommen. Es geht darum, dass die Nutzer*innen so mündig sind, um beispielsweise bei „IchbinSophieScholl“ zu hinterfragen: Das ist eine emotionale Inszenierung, die ich erst mal auf mich wirken lassen kann. Aber warum bin ich jetzt eigentlich emotional involviert? Warum machen die das? Dann kann ich mir das Angebot gerne nächsten Tag wieder „reflektiert“ anschauen und mich unterhalten lassen.
Sie erwähnten, dass Sie gemeinsam mit den Teilnehmer*innen Materialien entwickeln möchten, die später auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Wie genau wird dies ablaufen?
Design Thinking
Design Thinking ist eine systematische Herangehensweise, um Probleme aus verschiedenen Lebensbereichen zu lösen. Die Methode stammt aus den USA und geht auf die drei Professoren Terry Winograd, Larry Leifer und David Kelley von der Stanford University in Kalifornien zurück. Anders als beim Brainstormen, steht beim Design Thinking im Vordergrund die Bedürfnisse der Zielgruppe zu beobachten und zu verstehen. Aus den Ideen werden Prototypen entwickelt und getestet, was im Vergleich zum Brainstormen zu anwendungsorientierten Lösungen führen soll.
Was finden Sie herausfordernd bei dem Projekt?
Es ist sehr arbeitsintensiv, was die Absprachen zwischen den drei Projektpartnern, der Universität Hamburg, der Ruhr-Universität Bochum und dem Verein Kulturpixel, angeht.
Zudem ist die Bürger*innenbeteiligung in der Geschichtswissenschaft kein gängiges Modell, deswegen können wir nur auf wenig Vorwissen zurückgreifen. Hier unterstützen uns die Kolleg*innen von Kulturpixel, die große Expertise im Bereich der politischen Bildung haben. Sie helfen uns dabei, die Workshops zu planen, besonders im Hinblick auf die Frage, wie eine produktive Zusammenarbeit mit den Teilnehmer*innen gelingen kann.
Was hoffen Sie, mit Social Media History erreichen zu können?
Mein Traum ist, dass wir Erkenntnisse erlangen, wie wir besser mit Menschen in Kontakt kommen, wie wir Bürger*innen in Projekte einbinden können, wie eine Ansprache erfolgen sollte und wie man Interesse wecken kann. Auf der anderen Seite hoffe ich, Transparenz darüber herstellen zu können, wie Historiker*innen eigentlich arbeiten und zu Erkenntnissen kommen. Wir versuchen zu vermitteln, dass es in der Wissenschaft