Die td-net Toolbox sammelt Werkzeuge für das transdisziplinäre Arbeiten. Warum die Koproduktion von Wissen wichtig ist, um nachhaltige Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu finden und welche Herausforderungen es dabei zu überwinden gilt, erklärt der Umweltwissenschaftler Christian Pohl im Interview.
„Das Wissen liegt nicht bei der Wissenschaft allein“
Mit der td-net Toolbox haben Sie Methoden und Werkzeuge für die Koproduktion von Wissen erarbeitet. An wen richtet sich die Toolbox?
Die td-net Toolbox ist für Personen gedacht, die inter- und transdisziplinäre Projekte leiten und durchführen. Sie soll sie dabei unterstützen, einen Prozess der Wissenskoproduktion zu gestalten. Gut funktioniert sie für Personen, die schon mehrere solcher Prozesse begleitet haben und bereits die Herausforderungen kennen. Innerhalb der Toolbox können sie ausgehend von den Herausforderungen entsprechende Methoden suchen und an ihre Situation und den Kontext anpassen.
Was versteht man unter Transdisziplinarität?
Verschiedene Gruppen verstehen darunter Unterschiedliches. In der deutschsprachigen Nachhaltigkeitscommunity ist damit gemeint, dass im Vergleich zu disziplinärer Forschung das Ziel nicht die Produktion von neuem Wissen ist, sondern das gleichzeitige Produzieren von Wissen und gesellschaftlichen Lösungen zu Nachhaltigkeitsproblemen. Diese Gleichzeitigkeit ist dabei entscheidend. Das Erarbeiten von Lösungen braucht viele verschiedene Disziplinen und unterschiedliche gesellschaftliche Interessensgruppen.
Warum ist die Zusammenarbeit von Forscher*innen unterschiedlicher Disziplinen, Praxisakteur*innen und Menschen aus der Zivilgesellschaft wichtig, um gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen?
Der systemische Ansatz der Nachhaltigkeitsforschung besagt, dass man Umweltprobleme nur lösen kann, wenn man versucht, die ganze Komplexität des Systems einzubeziehen. Sonst führt das nur zu partiellen Lösungen, die wiederum Probleme an anderen Stellen kreieren. Wenn ich beispielsweise alles nur mit Blick auf das Klima optimiere, schaffe ich womöglich soziale Konflikte. Um das in den Griff zu kriegen, braucht man viele verschiedene Disziplinen innerhalb der Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften sowie technische und juristische Disziplinen.
Man will aber nicht nur die Komplexität von Nachhaltigkeitslösungen in den Griff bekommen, sondern auch den Brückenschlag von der Forschung in die Praxis schaffen. Dazu benötigt man neben wissenschaftlichen auch gesellschaftliche und Praxisakteur*innen. Das Wissen liegt nicht bei der Wissenschaft allein.
Was sind Herausforderungen bei inter- oder transdisziplinären Koproduktionsprozessen?
Beteiligung schafft Erwartungen, die im Laufe des Prozesses enttäuscht werden können. Wenn man etwas verändern will, muss man bestehende Machtstrukturen herausfordern. Außerdem sind verschiedene Vorurteile und Rollen zu klären und unterschiedliche Weltsichten abzustimmen. So entstehen Herausforderungen, die man in anderen Forschungsvorhaben nicht hat. Häufig bleibt Wissenschaft in ihrer Blase. In transdisziplinären Projekten prallen zwangsläufig verschiedene solcher Blasen aufeinander. Zuletzt stellt sich die Frage, wann die Wissenschaft sich zurückzieht und es Zeit ist, den Prozess ganz den Praxisakteur*innen zu übergeben.
Könnten Sie ein Beispiel für einen solchen Interessenkonflikt nennen?
Ein Konflikt ist beispielsweise die Frage, was man überhaupt mit „mehr Nachhaltigkeit“ meint. Dazu gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse wie Ökobilanzen. Es gibt ethische Prinzipien. Dazu kommen normative Vorstellungen und Praxiswissen. Dabei kommt es zu Aushandlungsprozessen oder -kämpfen zwischen verschiedenen Vorstellungen: Bedeutet mehr Nachhaltigkeit eine stärkere Ressourcenschonung oder mehr Gleichheit und mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen? Das kann niemand alleine entscheiden, man muss diese Aushandlungen aber wissensbasiert unterfüttern.
Welche Methoden enthält die td-net Toolbox, um den verschiedenen Herausforderungen transdisziplinärer Projekte zu begegnen?
In der Toolbox kann man entlang von Herausforderungen nach Methoden suchen, um das Bedürfnis der Leute mit dem passenden Format zu verknüpfen. Grob strukturiert findet man verschiedene Themenfelder, beispielsweise wie man Rollen und Erwartungen identifiziert oder mit normativen Fragen umgeht. Wenn man auf die Seite kommt und beispielsweise ein Problem mit Differenzen und Spannungen im Projekt hat, findet man unter diesem Punkt weitere Felder, die helfen sollen, das Problem zu sortieren. Man soll sich fragen, um was es genau geht: Gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen und Meinungen zum Thema? Oder geht es um Machtfragen?
Klickt man dann auf die Rubrik „Mit Macht umgehen“ erhält man Methodenvorschläge wie den Forschungsmarktplatz. Die Unterseite liefert dann eine Formatbeschreibung und erklärt, was die Methode kann, wie sie schrittweise funktioniert, für welche Situationen sie sich eignet, welche Rolle die Teilnehmenden einnehmen und wie verschiedene Denkstile integriert werden oder eben nicht. Teils liefern die Methodensteckbriefe auch weiterführende Links zu Publikationen.
Welche Kriterien treffen Sie für die Auswahl von Methoden?
Welche Anforderungen stellen Sie an die Methoden, die Sie in die Toolbox aufnehmen?
Unser Hauptkriterium war, Methoden ohne großen technischen Anspruch zu sammeln, damit sie einfach angewendet werden können. Sie sollen soziale Interaktion und Reflexion verschiedener Positionen, Wertvorstellungen, Erwartungen und Machtverhältnisse ermöglichen und sichtbar machen. Die Tools sollen den Arbeitsprozess der Gruppe unterstützen. Sie sollen ermöglichen zu schauen, bei welchen Fragen ein Konsens und wo Dissens besteht. Es muss nicht immer Konsens geben. Dissens sollte man nicht unterdrücken, sondern mit ihm arbeiten können. Es geht darum, verschiedene Denkstile zu integrieren. Wenn es gar nicht darum geht, verschiedene Sichtweisen abzuwägen, wäre das ein Ausschlusskriterium für die Methode. Wir haben immer alle Methoden ausprobiert, bevor wir sie aufgenommen haben. Das ist dann keine tolle Empirie, sondern basiert auf unseren Erfahrungswerten.
Wir fordern unsere Community dazu auf, uns Anwendungsbeispiele und Praxiserfahrungen zu schreiben und veröffentlichen sie auf unserer Website. Dabei geht es uns sowohl um positive als auch negative Erfahrungen mit den Methoden.
Ein weiterer Teil des Projekts ist, eine Community-of-Practice zu etablieren. Was ist damit gemeint und welches Ziel geht damit einher?
Dabei geht es darum, dass sich Leute, die mit den gleichen Werkzeugen oder an denselben Themen arbeiten, zusammensetzen und sich über ihre Erfahrungen austauschen. Wir sind gerade dabei, eine solche Community-of-Practice aufzubauen. Die Leute, die Teil davon sind, kommen teils aus der Wissenschaft, aus der Moderation oder sind freiberuflich tätig. Mit Autor*innen arbeiten wir Wissen zu Methoden so auf, dass wir es in der Toolbox anderen zugänglich machen können. Entdecker*innen testen mit uns die Methoden und teilen ihre Erfahrungen. Die Herausgeber*innen prüfen sie und sind für die Qualitätssicherung des Webportals verantwortlich.
Ob die Anwendung eines Tools für den weiteren Projektverlauf lohnt, hängt auch davon ab, wie die Methode an den jeweiligen Kontext angepasst wird. Dazu braucht es auch Weiterentwicklungen und Kombinationen von Methoden – aber auch eine passende Grundhaltung und Reflexivität. Um sich dafür Kompetenzen anzueignen, ist Erfahrungsaustausch sehr wichtig. Den pflegen wir beispielsweise in Workshops.
Sie sagten, dass sich die td-net Toolbox vor allem an erfahrene Personen richtet. Gibt es auch Inhalte, die für Menschen interessant sind, die bisher noch keine inter- und transdisziplinäre Projekte durchgeführt haben?
Für Personen, die neu auf diesem Feld sind, gibt die Toolbox Einblicke in die verschiedenen Methoden und auch Herausforderungen, die in inter- und transdisziplinären Projekten aufkommen. Sie können das auch gegenüber Vorgesetzten und Förderern verwenden, um zu zeigen, dass Koproduktion von Wissen nicht einfach ein Workshop ist, den man mal macht, sondern dass viel mehr hinter dem Prozess steckt.