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Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft – ein magisches Dreieck?

Das sektorenübergreifende „We and the City (WAY)“-Projekt hat Leitlinien für die Bürger*innenbeteiligung in der Stadt Speyer entwickelt. Wie der Ko-Kreationsprozess ablief und wie Partizipation künftig gelingen soll, erklären die Projektverantwortlichen im Gastbeitrag.

„We and the City (WAY)“: Im sektorenübergreifenden WAY-Projekt von Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft wurde in einem gemeinsamen Prozess Leitlinien für die mitgestaltende Bürger*innenbeteiligung in der Stadt Speyer entwickelt. Das Pilotprojekt wurde als ein praxisorientiertes Fallbeispiel (sogenannter Use Case) für das an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer angesiedelte Innovationslabor konzipiert und war zugleich die Initialzündung für weitere (Wissens-)Kooperationen in Speyer.

Universität als Akteurin der Stadtgesellschaft positionieren
Die Entwicklung einer Zukunftsagenda für die Stadt Speyer und die Stärkung des lokalen und regionalen Innovationssystems waren die übergeordneten Ziele von WAY. Durch das Projekt wurde die Stadtverwaltung darin unterstützt, sich bürger*innenorientierter auszurichten. Die Universität übernahm eine wichtige Rolle als Mediatorin und Impulsgeberin und sorgte für den Einbezug wissenschaftlicher und fachlicher Expertise aus anderen Kommunen und dem Netzwerk Bürgerbeteiligung in den Prozess. In der frühen Prozessphase wurden zunächst in Workshops mit Mitarbeiter*innen und Führungskräften der Stadtverwaltung wichtige Themenfelder der Stadtentwicklung definiert, konkretisiert und priorisiert – noch ohne die Beteiligung der Bürger*innen.

In diesen Workshops wurde als zentrales Handlungsfeld die Bürger*innenbeteiligung identifiziert. Trotz bereits zahlreicher durchgeführter Beteiligungsvorhaben gab es in der Stadtverwaltung kein zentrales Konzept und keine Anlaufstelle, die zum Thema Beteiligung adressiert werden konnte. So entstand die Idee, die Beteiligungskultur in Speyer zu stärken, indem Bürger*innen in einem ko-kreativen Prozess mit der Universität und Stadtverwaltung Beteiligungsleitlinien entwickeln. Diese sollen als fachbereichs- und ämterübergreifende Standards dienen und verwaltungsintern zu einer verbesserten Koordinierung beitragen.

Der Erarbeitungsprozess der Beteiligungsleitlinien wurde wissenschaftsbasiert erarbeitet. In ihn flossen die Erkenntnisse aus einem Literaturreview und Leitfadeninterviews mit Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung Speyer ein. Abbildung: Universität Speyer

Wissenschaftlich fundierte Basis für Erarbeitungsprozess
Der Erarbeitungsprozess wurde nach sozialwissenschaftlichem Vorgehen gestaltet. Zunächst wurden anhand einer umfassenden Literaturrecherche einschlägige wissenschaftliche und praxisorientierte Publikationen gesichtet. Es schloss sich eine vergleichende Analyse von zehn Beteiligungsleitlinien deutscher Städte an. Diese unterschieden sich hinsichtlich ihres Umfangs, ihrer Regelungstiefe und Perspektiven. Inhaltliche Überschneidungen und Gemeinsamkeiten zeigen sich beispielsweise in Bezug auf Instrumente der Bürger*innenbeteiligung wie Vorhabenliste oder Beteiligungskonzept. Auch waren häufig Grundsätze oder Methoden und Verfahren für die Bürger*innenbeteiligung enthalten.
Die daraus gewonnenen Erkenntnisse wurden in Leitfadeninterviews mit Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung und eines langjährigen, auf Partizipation spezialisierten Dienstleisters der Stadt Speyer vertieft. Ergänzt wurde der wissenschaftliche Ansatz um (ko-)kreative Workshop-Methoden.

Bürger*innen sind zentrale Gestalter*innen des Prozesses
Im Mittelpunkt des Prozesses standen die Bürger*innen. Besonders gut gelang die unmittelbare Interaktion und der direkte Austausch in zwei durch das Projektteam der Universität durchgeführten Bürger*innenworkshops. Für den ersten Workshop wurden die Bürger*innen gezielt in die Aula der Universität Speyer eingeladen, um die Universität als Teil der Stadt sichtbarer zu machen. Im methodischen Rahmen eines Worldcafé und einer sich anschließenden Fishbowl-Diskussion konnten die Speyer*innen ihre Erfahrungen und Erwartungen an die Beteiligung in ihrer Stadt einbringen, etwa die frühzeitige Einbeziehung in neue städtische Projekte, die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle bei der Stadtverwaltung und die Nutzung verschiedener medialer Kanäle für die Partizipation.

Pandemiebedingt wurde der Entwurf der Beteiligungsleitlinien erst etwa eineinhalb Jahre später vorgestellt und mit den Bürger*innen in einem zweiten Workshop diskutiert. Methodisch fokussierte sich dieser auf moderierte Gruppendiskussionen des Leitlinienentwurfs. Die Bürger*innen konnten sich direkt im Anschluss an die beiden Workshops an einer ergänzenden Online-Befragung beteiligen und den Entwurf online kommentieren. Das ermöglichte es, auch Bürger*innen zu erreichen, die zuvor nicht an den Workshops teilgenommen hatten. Während die beiden Online-Befragungen bereits konzeptionell als digitale Beteiligungstools geplant waren (Stichwort: E-Partizipation), musste der zweite Bürger*innenworkshop pandemiebedingt digital durchgeführt werden, der auf deutlich geringere Resonanz stieß.

Durch die wechselseitige Zusammenarbeit von Bürger*innen, Stadtverwaltung und Universität konnten passgenaue Empfehlungen für den Inhalt und Umfang der Beteiligungsleitlinien in Speyer formuliert werden. Die Beteiligungsleitlinien sind auf Wunsch der Stadtverwaltung und Bürger*innen so konzipiert, dass sie beiden Akteur*innen als „praktisch nutzbarer“ Leitfaden dienen. Neben Grundsätzen der Bürger*innenbeteiligung in Speyer („Informieren! Beteiligen! Rückmelden!“) sind strategische Ansätze und Maßnahmen zur Verankerung der Bürger*innenbeteiligung (beispielsweise das Schaffen einer Stelle für in der Stadtverwaltung), Regeln zum Ablauf der Bürger*innenbeteiligung (Beteiligungskonzept, Bürger*innenvorschlag) und hilfreiche Handreichungen wie Methodensammlungen und Checklisten enthalten.

Stakeholder ansprechen, Sichtbarkeit erzeugen
Während des gesamten Entwicklungsprozesses der Beteiligungsleitlinien erfolgte eine kontinuierliche Ansprache der Bürger*innen über verschiedene Kanäle. Einen Schwerpunkt bildeten Social Media-Beiträge auf den Facebook- und Twitter-Kanälen der Stadt und der Universität Speyer sowie direkte Mailings an Multiplikator*innen in der Stadtgesellschaft wie Vereinsvorstände, Stadtteilbüros und sich beteiligende Bürger*innen. Die lokalen Printmedien (Tageszeitung, kostenlose Wochenzeitung, digitale Nachrichtenportale) waren durch persönliche Gespräche, Pressemeldungen und ein Pressegespräch eingebunden. Inhaltlich reichten die Postings und Meldungen von Einladungen zu den Beteiligungsformaten über die Veröffentlichung von Arbeitsergebnissen bis hin zu Statements der Oberbürgermeisterin zur Bürger*innenbeteiligung.

Pilotprojekt schafft Vertrauen für weitere Kooperationen
Im Projekt zeigte sich, dass verschiedene Handlungslogiken, Planungshorizonte und die unterschiedlichen Zeitbudgets von Verwaltung und Wissenschaft die Kooperation beeinflussen, insbesondere dann, wenn aufgrund der guten Zusammenarbeit aus dem Kooperationsvorhaben weitere gemeinsame Projekte entwickelt und realisiert werden. Hier gilt es, klare Absprachen zu Anforderungen und Leistungen zu treffen, um vorhandene Ressourcen bestmöglich zu managen. Eine transparente, regelmäßige Kommunikation zwischen den Akteur*innen, die auch Raum für die Ansprache von Problemen lässt, stärkt dabei das gegenseitige Vertrauen. Vor allem ein Mandat der Verwaltungsspitze und das Commitment für das Projekt fördern eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung und sind eine wesentliche Voraussetzung für die nachhaltige Implementierung in die alltäglichen Verwaltungsabläufe.

Die offene, kreative und vertrauensvolle Zusammenarbeit in WAY förderte zudem den Aufbau eines tragfähigen lokalen Netzwerkes von Universität, Stadtverwaltung und Zivilgesellschaft, aus dem heraus neue Kooperationen entstanden. Beispielweise wirkte das Team des Innovationslabors auf Einladung der Stadtverwaltung am Beteiligungsformat Runder Tisch Nachhaltiges Speyer mit, wurde für die Begleitung der Fortschreibung des städtischen Klimaschutzkonzeptes angefragt und gestaltete einen Workshop zur Weiterentwicklung des bestehenden Fördervereins der Universität, der die Zusammenarbeit von Stadt und Universität stärken soll. Mit Akteur*innen der (organisierten) Zivilgesellschaft wie dem lokalen Bürger*innenfernsehen und zwei Bürger*innenvereinen oder im Rahmen des Media:Tor, einem geplanten Ort der digitalen Teilhabe in zentraler Innenstadtlage, sind weitere Kooperationen entstanden.

Wie geht es nun weiter? Nach dem Beschluss der Beteiligungsleitlinien im September 2021 durch den Speyerer Stadtrat ist die nachhaltige Implementierung durch die Stadtverwaltung ein wesentlicher nächster Schritt. Hierfür ist unter anderem die Schaffung einer Stelle für Bürger*innenbeteiligung in der Stadtverwaltung beabsichtigt und im aktuellen Haushaltsplan 2022 enthalten. Ein gemeinsames „Testen und Üben“ der Beteiligungsleitlinien an einem Vorhaben wird derzeit erörtert. Ebenso ist eine zukünftige Evaluierung der Beteiligungsleitlinien als Arbeitsauftrag an die Stadtverwaltung in diesen formuliert.

Das Wissen aus dem WAY-Projekt soll – wie auch in diesem Gastbeitrag – mit Verwaltungspraktiker*innen und der Wissenschaftscommunity weiter geteilt werden. Auch ist ein Werkstattbericht angedacht, der als Inspiration dienen oder direkt zum Nachahmen einladen soll.

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.


Projektsteckbrief

Das Kooperationsvorhaben „We and the City (WAY)“ wurde von der Stadt Speyer und dem Projekt „Wissens- und Ideentransfer für Innovation in der Verwaltung (WITI)“ der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer konzipiert und realisiert. Das WITI-Projekt unter Leitung von Prof. Dr. Michael Hölscher (Lehrstuhl für Hochschul- und Wissenschaftsmanagement) hat ein wissenschaftsbasiertes Innovationslabor für die öffentliche Verwaltung an der Universität aufgebaut, das die sektorenübergreifende Zusammenarbeit der öffentlichen Verwaltung mit Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft unterstützt.

Träger: 

Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, gefördert durch Bundesministerium für Bildung und Forschung und Gemeinsame Wissenschaftskonferenz („Innovative Hochschule“) sowie Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. und Dieter Schwarz Stiftung („Innovation Hubs@Campus“)

Budget/Finanzierung: 

15.000€ zzgl. Eigenmittel

Ziele: 

  • Gestaltung eines verbindlichen Rahmens der Bürger*innenbeteiligung in Speyer
  • Förderung der Beteiligungskultur in Speyer und Stärkung des Vertrauens in die Stadtverwaltung
  • Stadtverwaltung bürger*innenorientierter weiterentwickeln
  • Profilschärfung und Ausbau Transferkapazitäten der Universität Speyer

Zielgruppen: 

  • Bürger*innen (nicht-/organisierte Zivilgesellschaft) in Speyer
  • Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung Speyer

Laufzeit:

April 2019 bis September 2021

Zahlen zur Zielerreichung:

  • etwa 500 Bürger*innen brachten sich bei den Umfragen und Workshops im Prozess ein
  • rund 20 Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung waren aktiv am Prozess beteiligt
  • Beschluss der Leitlinien zur mitgestaltenden Beteiligung der Bürgerschaft der Stadt Speyer durch den Stadtrat
  • Schaffung einer Stelle für Bürger*innenbeteiligung in der Stadtverwaltung (2022 haushaltsrechtlich verankert)