Simon McGowan ist Science Slam Europameister und forscht an Biokunststoffen. Wie er eine Leidenschaft für Science Slams entwickelte, was er an der Veranstaltung besonders schätzt und warum ihm Schokoriegel bei seinem Vortrag helfen, erzählt er im Interview.
„Mein erster Science Slam war eine ziemliche Katastrophe”
Herr McGowan, Sie sind Bioverfahrenstechniker und forschen an umweltverträglichen Plastikalternativen. Wie entwickelte sich daraus eine Motivation, anderen Menschen von Ihrer Forschung zu erzählen?
Simon McGowan: Dass wir als Menschheit ein Plastikproblem haben, ist klar. Damals, als ich im Studium mit Biokunststoffen in Kontakt gekommen bin, dachte ich: Das könnte die Lösung sein! Ich erinnere mich, wie ich früher auf WG-Partys mit Leuten über die Vor- und Nachteile geredet habe. Häufig haben diese überrascht reagiert, weil sie die Vorteile oft nicht kannten. Da dachte ich, dass ich genau die fünf bis sechs Fakten über Biokunststoffe, die ich gerne auf Partys erzählt habe, auch in einen Science Slam verpuzzlen könnte.
Wieso haben Sie sie sich Science Slams als Format ausgesucht?
Simon McGowan: Von unserer Hochschule wurde jemand gesucht, der bei einem Science Slam mitmachen möchte. Ich hatte mich zunächst nicht getraut, aber ein guter Freund von mir hat sich dafür gemeldet. Als ich ihm bei der Vorbereitung geholfen habe, habe ich eigene Ideen entwickelt und sozusagen passiv Blut geleckt. Ich dachte mir: Jetzt will ich meine Ideen auch umsetzen! Mein erster Science Slam war allerdings eine ziemliche Katastrophe (lacht). Darum habe ich mir vorgenommen, zumindest einen Vortrag zu machen, mit dem ich zufrieden bin. So kann man da unter Umständen ganz schnell reinrutschen.
Was gefällt Ihnen am Format Science Slam?
Simon McGowan: Ich schätze sowohl die Veranstaltung an sich aber auch die Interaktion mit dem Publikum ungemein. Es ist toll, wenn die Leute nach dem Slam zu einem kommen und weitere Fragen stellen. Ich habe das Gefühl, dass so ein Slam schon einen gewissen Impact hat. Die Leute sind danach zwar keine Experten*innen für Biokunststoffe, aber sie wissen zumindest so viel, dass sie mitdiskutieren können. Außerdem genieße ich es, mich mit anderen Wissenschaftler*innen auszutauschen. Zu diesen Veranstaltungen treffen sich immer sechs komplett unterschiedliche Forschende. Ob Politolog*innen oder Mediziner*innen – auf dem Science Slam lernt man immer wieder neue Leute kennen und erweitert dadurch auch sein eigenes Thema. Hinter der Bühne entstehen dann meistens reizvolle Gespräche und auch Netzwerke.
Sie erwähnten, ihr erster Vortrag lief nicht so, wie Sie es sich vorgestellt hatten. Was haben Sie danach anders gemacht?
Simon McGowan: Also ich glaube, ein paar Sachen habe ich auch richtig gemacht. Ich habe zum Beispiel schön veranschaulicht, dass alle Plastiktüten, die im Jahr auf der Erde verbraucht werden, von hier bis zur Sonne reichen würden. Insgesamt war ich aber einfach nur ärgerlich im Kontext auf Plastiktüten und habe keinen positiven Aspekt gezeigt. Ich habe eine Hate-Speech über Plastiktüten auf zehn Minuten verteilt. Ich rate dazu, selbst Themen, die wirklich ernst sind, auf eine lockere Art und Weise zu präsentieren. Mein Tipp ist also: Wähle ein Thema, für das Du brennst. Nimm es nicht zu ernst, auch wenn das Thema ernst ist. Und achte darauf, das Thema stark zu vereinfachen, doch dabei gleichzeitig noch Raum für das „Aber“ zu lassen. Damit meine ich, dass in der Wissenschaft viele Dinge relativ einfach sind – erst die letzten zehn Prozent machen ein Thema kompliziert. Man sollte sich auf die einfachen 90 Prozent konzentrieren – aber auf jeden Fall erwähnen, dass es noch diesen komplizierten Teil gibt.
Sie haben mal in einem Interview gesagt, dass Sie sich in der Coronakrise über den „pseudowissenschaftlichen Unsinn“, der verbreitet wurde, sehr geärgert haben, weil er das Gefühl für Wissenschaft zerstören würde. Denken Sie, dass Sie mit ihren Vorträgen den Zuhöhrer*innen dieses Gefühl für Wissenschaft vermitteln können?
Simon McGowan: Ich versuche es auf jeden Fall und sehe auch genau das immer mehr als meinen Schwerpunkt. Viele von diesen Missverständnissen über die Wissenschaft entstehen dadurch, dass Leute denken, was ein*e Wissenschaftler*in sagt habe unwiderrufliche Gültigkeit. So einfach ist es aber nicht. Denn Wissenschaft ist ja eben nur der Versuch, etwas zu beschreiben, Wissenschaft entwickelt sich weiter. Das ist es, was die Arbeit von Forscher*innen ausmacht: Thesen aufstellen, sie wieder verwerfen, verbessern und schauen, ob es neue Erkenntnisse gibt. Wissenschaftler*innen können sich auch irren. Darum ist es mir wichtig, dies auch so zu kommunizieren und zu vermitteln, dass Wissenschaft ein Prozess ist, der sich immer weiterentwickelt. Und dass Wissenschaftler*innen ganz normale Leute sind.
Sie haben auch gesagt, wenn Sie König von Deutschland wären, würden Sie manche Plastikprodukte komplett verbieten, beispielsweise Wäscheklammern. Ist es auch eines ihrer Ziele, Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren, um eine Veränderung anzustoßen?
Simon McGowan: Ich glaube, ja. Ich wünsche mir, dass mein Vortrag für den einen oder anderen so eine Art Initialzündung ist. Nur mit einer gewissen Anzahl von Grundinformationen kann ein Mensch vernünftig über etwas nachdenken oder mitreden. Nehmen wir das Thema Wäscheklammern. Viele Leute haben die Idee, abbaubare Wäscheklammern aus Biokunststoffen könnten doch eine nachhaltige Alternative zu Wäscheklammern aus herkömmlichem Plastik sein. Dieses Problem ist aber anders schon besser gelöst, denn Wäscheklammern funktionieren total super aus Holz. Ein anderes Beispiel wäre die Plastiktüte. Es ist egal, aus welchem Material sie gemacht wird. Wenn ich jetzt eine Einwegtüte aus Biokunststoff herstelle, dann ist das nicht die richtige Lösung. Stattdessen müssen wir die Plastiktüte wegkriegen. Wenn ich also gefragt werde, ob Biokunststoffe gut sind, gibt es darauf keine klare Antwort. Es kommt auf den Kontext an. Ich glaube, das gilt für ganz viele Themen. Dieses Big Picture versuche ich immer mehr in Vorträge einzubauen, gerade auch bei der Kinderuni.
Die Kinderuni hat eine ganz andere Zielgruppe. Worauf achten Sie bei Ihren Vorträgen für Kinder?
Simon McGowan: Erst mal, dass ich den Vortrag möglichst kindgerecht und einfach halte – das ist auch ein Prinzip vom Science Slam, aber bei Kindervorlesungen versuche ich es noch einfacher zu halten. Wichtig ist, den Kindern nicht nur trocken das Problem und die passende Lösung zu präsentieren. Dem, was die Kinder selbst einbringen, möchte ich bei solchen Veranstaltungen Raum geben. Darum plane ich viel Zeit für sie ein und lasse sie zu Wort kommen. Meistens muss ich das irgendwann unterbrechen, weil so viele Kinder teilen möchten, was ihnen zum Thema Plastik durch den Kopf geht. Ganz viele Beiträge sind unglaublich spannend. Manche Ideen sind auch ein bisschen verrückt, aber das müssen Ideen auch mal sein. Über diese Interaktion sprechen die Kinder auch selbst weitere Probleme an, die ich in meinem Vortrag noch nicht erwähnt hatte. Kinder sind ganz tolle Zuhörer*innen, ganz tolle Mitmacher*innen und haben eine ganz besondere Begeisterungsfähigkeit. Da entsteht eine besondere Energie.
Bei einem ihrer Science Slams haben Sie sich einen Schokoriegel in die Hosentasche gesteckt, um Unterschiede in der Warmformbeständigkeit von Kunststoffen zu verdeutlichen. Wie kommen Sie auf solche Ideen?
Simon McGowan: Es hatte vermutlich mit einem Schokoriegel zu tun, den ich mal in einer Hosentasche vergessen habe (lacht). Das sind so Ideen, die ganz spontan aus Jux und Tollerei entstehen und viel mit natürlichen Aha-Effekten zu tun haben. In meinem Science Slam geht es um Biokunststoffe, die eine sehr schlechte Warmformbeständigkeit haben. Als ich vor Jahren angefangen habe, damit zu arbeiten und mit Kolleg*innen über deren Verwendung nachgedacht habe, fiel uns plötzlich auf, dass man sie theoretisch gar nicht in Verbindung mit kochendem Wasser verwenden könnte. Also sind wir alle in die Küche gerannt, haben Bauteile aus Biokunststoff genommen und diese in kochendes Wasser gehalten. Da haben sich die Bauteile total verformt. Das fanden wir alle unglaublich spannend. Diesen Aha-Effekt wollte ich in meinen Science Slam einbauen und so entstand die Idee mit dem Schokoriegel, weil der in der warmen Hosentasche auch die Form verliert. Anschließend tauche ich auf der Bühne auch Bioplastik in heißes Wasser und zeige die Verformung. Besonders Kindergruppen finden diesen Versuch total faszinierend – das ist dieselbe Faszination wie bei uns Forschenden. Man muss es schaffen, diese Faszination mitzunehmen. Da kann dann auch mal ein Schokoriegel helfen.
Wie bekommen Sie Ihre Forschung und Ihre Wisskomm-Projekte alle unter einen Hut? Erhalten Sie Unterstützung von Ihrem Arbeitgeber?
Simon McGowan: Ich habe zum Glück eine Institutsleitung, die das sehr gerne mitträgt und diese Art der Wissenschaftskommunikation schätzt. Bei uns hat in dieser Hinsicht ein Umdenken stattgefunden. Die Institutsleitung sieht, dass man sich als Forschender oder als Institut an der Wissenschaftskommunikation beteiligen muss. Ich denke,Wissenschaftskommunikation muss eine Voraussetzung für Forschende sein. Wenn beispielsweise Anfragen von Schulklassen kommen, müssen wir uns auch die Zeit nehmen, ihre Fragen vernünftig zu beantworten.
Welche Wisskomm-Projekte planen Sie für die Zukunft?
Simon McGowan: Vor einiger Zeit haben wir am Institut angefangen, Webinare, also Kurzvorträge von etwa 30 Minuten zu einer bestimmten Frage, aufzuzeichnen. Ursprünglich waren diese eher für ein Fachpublikum gedacht, aber nun möchten wir auch Webinare machen, die für Fachfremde interessant sind. Als Nächstes planen wir außerdem Webinare für Schüler*innen, die wir in einer Mediathek zur Verfügung stellen möchten. Im Rahmen des Hochschulwettbewerbs im Wissenschaftsjahr 2020|21 zum Thema Bioökonomie haben wir eine App entwickelt haben wir eine App entwickelt, die Verbraucher*innen bei der korrekten Entsorgung von Plastikprodukten unterstützen soll. Dieses Projekt möchten wir weiter ausbauen und für Wissenschaftskommunikation nutzen. Die App soll zusätzliche Informationen über den verwendeten Kunststoff geben und bewerten, ob das Produkt vernünftig eingepackt wurde, ganz unabhängig von Biokunststoffen.