Leuchtende Tiere, Gentherapie beim Menschen, Do-it-yourself-Labore – in Science Watch Parties zur Netflix-Serie „Biohackers“ trennen Expert*innen Fakten von Fiktion und erklären Grundlagen der Synthetischen Biologie. Warum sich das Format für die Wissenschaftskommunikation eignet, erzählen die Organisator*innen Louisa Larsen und Jakob Schweizer im Interview.
Science Watch Party: Gemeinsam Serie schauen
Frau Larsen, Herr Schweizer, Sie veranstalteten im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie Science Watch Parties zur Netflix-Serie „Biohackers“. Was ist das für ein Format?
Larsen: Eine Science Watch Party ist eine Online-Veranstaltung, bei der die Teilnehmenden gemeinsam eine Serie schauen und im Anschluss mit anderen Zuschauer*innen und Expert*innen über den Inhalt diskutieren. Wir haben im Rahmen eines solchen Projekts die Netflix-Serie „Biohackers“ geschaut. Zu jeder Science Watch Party luden wir zwei oder drei Expert*innen ein, die Einblicke in die Themen der Serie gaben und die Fragen aus dem Publikum beantworteten.
Schweizer: Der Vorteil einer Science Watch Party ist, dass es ein digitales und damit pandemiekompatibles Wissenschaftskommunikationsformat ist. Das ermöglicht, gemeinsam etwas zu erleben und sich über Wissenschaft auszutauschen, ohne dass man dazu im gleichen Raum sitzen muss.
Wie läuft eine Science Watch Party genau ab?
Larsen: Wir treffen uns mit den Teilnehmenden im Videocall bei Zoom. Im besten Fall haben sie sich bereits die Browsererweiterung „Teleparty“ installiert. Mit diesem Tool kann man parallel auf Netflix streamen. Wenn wir die Teleparty starten, können alle zeitgleich die ausgewählte Folge anschauen. Daneben kann man sich in einem Chat austauschen und Fragen stellen. Das ist, als würde man gemeinsam Serie schauen. Nach zwei Folgen wechseln wir zurück in den Zoom-Call, in dem die anschließende Diskussion der Serieninhalte stattfindet. Dort können die Teilnehmenden ihre Fragen direkt oder im Chat stellen.
Um was geht es in der Serie „Biohackers“ und warum haben sie diese ausgewählt?
Larsen: Die Serie dreht sich um die Medizinstudentin Mia Akerlund, die gerade ihr Studium an der Universität Freiburg beginnt. In der ersten Staffel fängt sie als studentische Hilfskraft bei ihrer Professorin Tanja Lorenz an, die sie ausspionieren möchte. Sie will nämlich Beweise dafür sammeln, dass diese illegale Genexperimente an Embryonen durchgeführt hat. Mia und ihr Zwillingsbruder waren Teil dieser Experimente. Ihr Bruder ist sehr jung daran gestorben. In den Laboren in der Serie wird viel an Synthetischer Biologie geforscht.
Schweizer: Wir haben die Serie ausgesucht, weil sie die Synthetische Biologie in einem Populärmedium thematisiert. Die Science Watch Party fand im Rahmen des Wissenschaftsjahres zum Thema Bioökonomie statt. Ziel der Wissenschaftsjahre ist es, die Öffentlichkeit stärker für Wissenschaft zu interessieren. Bei der Bioökonomie geht es im Wesentlichen darum, die technologischen und industriellen Prozesse, die bisher auf fossilen Rohstoffen basieren, durch Konzepte zu ersetzen, die auf nachwachsende Rohstoffe bauen. Die Synthetische Biologie ist quasi die Grundlagenforschung der Bioökonomie. Beides sind sehr abstrakte Themen, die schwierig zu vermitteln sind.
Welche Themen und Fragen kommen beim Publikum während der Serie und in der anschließenden Diskussion auf?
Schweizer: Gerade in der ersten Staffel gibt es viele Szenen, die Anwendungen der Synthetischen Biologie zeigen. Beispielsweise gab es eine Maus, die mit dem grün fluoreszierenden Protein GFP markiert ist und deshalb grün leuchtet. Daher kamen viele Fragen zu Gentechnik.
Und würden Sie sagen, dass Wissenschaftskommunikation durch Serien gelingen kann?
Larsen: Ja, ich finde schon. Aber weniger durch die Serie allein als durch die Diskussionen im Rahmen einer Science Watch Party. Serien haben einen hohen Unterhaltungswert und bieten damit ein gewisses Vermittlungspotenzial. Gerade in der Pandemie hat sich gezeigt, wie die Nachfrage nach Unterhaltung gestiegen ist. Wir haben uns deshalb bewusst für einen Streaming-Dienst entschieden. Viele Menschen sind dort angemeldet. Man kann ein junges und relativ breites, interessiertes Publikum erreichen. Gerade weil während des Serie-Schauens die Atmosphäre locker war, hatte ich das Gefühl, dass die Hemmungen geringer waren, Fragen zu stellen. Zumal das Format sich nicht nur an Personen richtete, die sich im Bereich der Synthetischen Biologie bereits auskannten. Deswegen denke ich, dass es ein lohnendes Format für die Wissenschaftskommunikation ist.
Schweizer: Meiner Meinung nach ist es eine gute Strategie zu schauen, welche Formate gerade im Trend liegen und sie für die Wissenschaftskommunikation zu nutzen. Ich würde daher sagen, dass sich auch Serien eignen können. Gleichzeitig war die Serie „Biohackers“ für mich eine Enttäuschung, weil Wissenschaftler*innen vorwiegend als Bösewichte gezeichnet und wissenschaftliche Fakten nur angerissen oder falsch dargestellt wurden. Wir mussten an einigen Stellen einen ziemlichen Spagat zwischen der Serie und der anschließenden Diskussion hinlegen. Hier könnten die Produzent*innen mutiger sein und mehr auf die Realität der Wissenschaft eingehen.
Leuchtende Tiere, gentechnisch verändertes Essen, musizierende Pflanzen, Home-Office-Labore, Gentherapie beim Menschen, verbotene Experimente – wie viel Fakt und wie viel Fiktion steckt in der Serie?
Schweizer: Das war für uns einer der zentralen Punkte. Gerade in der ersten Staffel gab es sehr viele Bezüge zur aktuellen Forschung. Das waren aber meistens nur bestimmte Stichpunkte wie die Geneditierungs-Methode CRISPR-Cas oder GFP. Das konnten wir in unserer Diskussion aufgreifen und erklären. Dabei konnten wir auch eine Einschätzung geben, wie realistisch das ist, was in der Serie dargestellt wird. Die meisten Methoden gibt es in der Realität, sie wurden in der Serie aber sehr überspitzt dargestellt. Das war für uns eine Steilvorlage, um Dinge klarzustellen und zu erklären.
Gentechnik und Gentherapie als Horrorszenario: Wie beeinflussen solche Erzählungen die Wahrnehmung von Wissenschaft und Forschung die Öffentlichkeit?
Wie haben Sie die Expert*innen ausgewählt, die an der Diskussion teilnahmen?
Larsen: Wir haben am Haus der Wissenschaft Braunschweig und in der German Association for Synthetic Biology (GASB) die Serie – nicht nur einmal – angesehen und Themen identifiziert, die wir ansprechen wollten. Die Anfragen liefen dann primär über die GASB, weil sie über ein riesiges Netzwerk an Wissenschaftler*innen verfügen.
Schweizer: Als Mitglied der GASB bin ich unsere Kontakte durchgegangen und habe überlegt, wer zu unseren Themen passen könnte. Die Synthetische Biologie ist divers: Die Grundlagenforschung ist sehr interdisziplinär von Biologie, Physik, Chemie bis hin zu Informatik und Ingenieurwissenschaften. Sie bietet auch Potenzial für die angewandte Forschung, daher kennen wir Menschen, die Start-ups gegründet haben. Diese verschiedenen Arbeitsfelder haben wir auch bei der Expert*innenauswahl abgebildet. Es waren auch ein Bioethiker, Wissenschaftsjournalist*innen wie Janina Otto und Volker Stollorz des Science Media Center, der Kriminalbiologe Mark Benecke oder der Science-Youtuber Doktor Whatson bei den Veranstaltungen dabei.
Was war das Ziel Ihrer Science Watch Parties?
Larsen: Das Ziel der Science Watch Parties war, dass sich die Zuschauer*innen mit Wissenschaft und den Themen Bioökonomie und Synthetischer Biologie auseinandersetzen. Das Format sollte auch dazu beitragen, die Wissenschaftsdarstellung in Serien oder Unterhaltungsmedien zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen, sodass auch die Wissenschaftsmündigkeit gefördert wird. Und natürlich wollten wir, dass die Teilnehmenden die Science Watch Parties als spannendes Format bewerten, das Spaß macht.
Wen erreichen Sie mit dem Format?
Larsen: Pro Veranstaltung haben 28 bis 85 Personen teilgenommen. Insgesamt waren es knapp 280 Teilnehmende an sechs Science Watch Parties. Zusätzlich kann man sie auf YouTube nachschauen. Dort haben sie zusammen über 600 Klicks. Unsere Auswertung hat ergeben, dass wir viele wissenschaftsinteressierte Menschen erreicht haben – vor allem Wissenschaftler*innen und Studierende. Das Alter der Kernzielgruppe lag zwischen 18 und 35 Jahren. Je nach Thema der Science Watch Party war die Zielgruppe aber auch breiter. Geplant war es als ein niedrigschwelliges Format, das viele Menschen anspricht, die sich für Wissenschaft interessieren.