Bildschirmfoto: Welt der Werkstoffe

„Ich wollte ein Spiel angehen, weil mir das in der Wissenskommunikation und Lehre gefehlt hat“

Spieler*innen mit fachlichem Vorwissen haben mit dem Point-and-Click-Adventure „Welt der Werkstoffe“ Spaß und müssen Erlerntes einsetzen, wenn sie in Parallelwelten reisen und ihren Professor befreien wollen. Wie der Ingenieur Martin Bonnet auf die Idee des Spiels kam und warum er auch seine Vorlesung bei Youtube frei zur Verfügung stellt, erzählt er im Interview.

Herr Bonnet, Sie kommunizieren über Materialwissenschaften und nutzen dafür unter anderem einen spielerischen Ansatz. Um was geht es Ihnen dabei?

Wir haben in den letzten zwei Jahren ein Point-and-click-Adventure als Serious Game entwickelt. Der Schwerpunkt liegt tatsächlich beim Wort Game, es geht also darum, dass es Freude macht beim Spielen. Es ist kein Gamification-Ansatz, bei dem man mit netten Figuren oder Animationen Dinge ein bisschen interessanter, bunter oder lustiger gestaltet.

Martin Bonnet ist Professor für Ingenieurwesen und geschäftsführender Direktor des Instituts für Werkstoffanwendung an der Technischen Hochschule in Köln. Die Inhalte seiner Lehre stellte er als Youtube Videosfrei zur Verfügung und erreicht damit nicht nur seine eigenen Studierenden. Zudem entwickelte er ein Spiel, mit dem die Studierenden nicht nur Spaß beim Spielen haben, sondern auch das Erlernte sinnvoll kombinieren müssen, um Rätsel zu lösen. Foto: Simon Zimpfer

Andererseits geht es in diesem Spiel darum, knifflige Aufgaben rund um die Welt der Werkstoffe zu lösen. Das kann man aber nur, wenn man tatsächlich die nötigen Kompetenzen einsetzt, die man sich über Lehrvideos, Praktika und Präsenzveranstaltungen angeeignet hat und sie geschickt kombiniert und einsetzt.

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Spiel zu entwickeln?

Ich wollte ein Spiel angehen, weil mir das in der Wissenskommunikation und Lehre gefehlt hat. Ich habe den Studierenden zwar Kapitel für Kapitel den Stoff erklärt, aber am Ende des Semesters wollte ich für mein Fach erreichen, dass die Ingenieur*innen in der Lage sind, für eine bestimmte Anwendung den perfekten Werkstoff auszuwählen und dazu noch zu wissen: Muss ich den irgendwie noch wärmebehandeln oder etwas anderes damit tun? Das heißt, ich muss alles, das an Wissen da ist, übereinander schieben können. Genau das trainieren wir in diesem Spiel. Hier kommt nach und nach Wissen und Kompetenzen dazu, die ich ebenso brauche wie das, was ich zuvor gelernt habe, um die Rätsel lösen zu können.

Mit dieser Idee im Kopf stellte ich einen Antrag beim Stifterverband und erhielt das Fellowship für Hochschullehre. Somit hatte ich ein bisschen Geld in der Hand, das aber noch nicht ausreichte, um ein Spiel zu programmieren. Glücklicherweise bekam ich Unterstützung von Kollegen des Cologne Game Labs. Es ist ebenfalls Teil der Technischen Hochschule in Köln und hier kann man Game Development und Ähnliches studieren. Mit dem Doktoranden Jonas Zimmer, der in dem Bereich aktiv ist und einen direkten Draht zu den Studierenden hat, konnten wir auch studentische Hilfskräfte als Game Artists, Programmierer*innen und so weiter einstellen. Über die letzten zwei Jahre ist so ein recht großes Team entstanden, das das Spiel zu dem gemacht hat, was es heute ist.

Wenn ich Ihr Point-and-click-Adeventure spielen würde, was erwartet mich dann genau?

Wenn Sie da reinklicken, bekommen Sie den Vorspann zu sehen. Es wird die Story eingeleitet und in einem Tutorial-Level die grundlegenden Funktionen dieses Point-and-click-Adventure-Spiels erklärt.

In der Story beginnt alles mit der Studentin Nicole Nickel, die in ihrer Werkstoffkundeklausur sitzt und ihren Augen nicht trauen kann. Professor Bonnet, der sonst eigentlich ein ganz Netter ist, haut auf einmal eine Hammerklausur raus, die man überhaupt nicht bestehen kann. Irgendwie sieht er auch leicht verändert aus. Er hat ein diabolisches Lachen und irgendwas stimmt da nicht. Nach der Klausur geht sie in sein Büro und stellt fest, dass er in einem Spint eingeschlossen ist. Der ist allerdings verschlossen – mit einem futuristischen Metallanalyseschloss. Es stellt sich heraus, dass eine finstere Parallelpersönlichkeit von Professor Bonnet ihn dort eingesperrt hat. In zehn Parallelwelten treibt diese ihr Unwesen, um alle Typen von Professor Bonnet von guter Lehre abzuhalten.

Auf der Spielebene wird man durch ein Portal in diese einzelnen Welten oder auch Level teleportiert und muss dort Aufgaben lösen. Ziel ist es, den jeweiligen Professor Bonnet dazu zu verhelfen, dass er wieder gute Lehre machen kann. Am Ende jedes Levels bekommt man eine Metallzutat, die man hinterher braucht, um den eigentlichen Professor Bonnet aus dem Spind zu befreien, in dem er eingeschlossen ist.

Wollten Sie mit diesem spielerischen Ansatz den Spaß am Lernen steigern?

Ja, aber nicht nur Spaß. Es gibt noch weitere Vorteile. Das Erlernte könnte ich auch mit Übungsaufgaben abfragen und die Studierenden müssten viel schreiben. Ich habe jedes Jahr ein paar Hundert Studierende, denen ich aus Zeitgründen keine zehn Übungen übers Semester geben könnte. Alleine für die Korrektur bräuchte ich einen riesen Mitarbeiter*innenstab und es würde ewig dauert bis zu einer Rückmeldung. Vorteil bei diesem Spiel ist: ich bekomme immer eine sofortige Rückmeldung. Und ich kann mich hier frei bewegen. Niemand schaut mir über die Schulter und der Professor liest auch nicht den Unsinn, den ich da gerade geschrieben habe. Ich darf hier Fehler machen und manchmal ist es vielleicht sogar ganz lustig, wenn ich Fehler mache. Aus den Ergebnissen lerne ich und kann dann trotzdem weiter machen. Das ist eine ganz andere Art zu lernen.

„Vorteil bei diesem Spiel ist: ich bekomme immer eine sofortige Rückmeldung.“ Martin Bonnet
 Und weil das Spiel in dieser Fantasiewelt ist und eine gewisse Abstraktion hat, muss ich tatsächlich eine Transferleistung erbringen, was meines Erachtens hilft, zu einem richtigen Verständnis des Stoffes zu kommen.

Das klingt so, als wäre das Spiel für Ihre Studierenden gedacht, die Ihre Vorlesung besucht haben. Wenn jemand nicht bei Ihnen studiert und dennoch spielen will, weiß die Person ja gar nicht, was sie braucht?

Das ist richtig und dafür ist es auch tatsächlich nicht gedacht. Das Spiel ist eine Open Educational Ressource. Es liegt auf der Webseite Welt-der-Werkstoffe.de zum Online-Spielen.

In Deutschland studieren wahrscheinlich gerade 70 000 Ingenieur*innen in den ersten Semestern. Meine Kolleg*innen vermitteln ja dieselben Inhalte in ähnlicher Form. Zudem habe ich vor neun Jahren angefangen, meine Vorlesung in Lehrvideos zu transferieren. Die stehen auch auf Youtube für den Rest der Welt zur Verfügung. An den Klickzahlen der Videos und der Reaktion per Post und Mail sehe ich, dass nicht nur „meine“ Student*innen die aufgezeichneten Vorlesungsvideos ansehen. Die Leute lernen mit meinen Unterlagen, um sich auf die Prüfung vorzubereiten.

Wie ist das Feedback zum Spiel und wie geht es weiter?

In diesem Jahr haben wir den deutschen Computerspiele-Preis für das beste Serious Game gewonnen, da gab es natürlich gleich eine riesen Party – wenn auch zu Lockdown-Zeiten auf Distanz.

Damit war auch ein Preisgeld verbunden, das uns die Möglichkeit gibt, weiter daran zu arbeiten. Wir haben eine Idee in Anlehnung an Exitgames: Wenn ich da nicht weiterkomme, erhalte ich Hinweis-Karten. Ganz so weit würden wir jetzt nicht gehen wollen, aber unsere Idee wäre, dass man tatsächlich auf einen Hilfe-Button drücken kann. Hier öffnet sich dann eine Seite, auf der man erst einmal Ausschnitte aus Videos empfohlen bekommt, die man sich noch mal anschauen kann oder dass es vielleicht schon einen praktischen Tipp bekommt wie „Guck doch mal auf dem Schreibtisch des Professors nach, da könnte vielleicht etwas Hilfreiches liegen“. So wollen wir ein bisschen auf die Sprünge helfen, ohne direkt die Lösung vorzugeben. Aber eigentlich ist es ja auch keine Katastrophe, wenn ich zum Beispiel Level 3 nicht schaffe, denn ich kann ja trotzdem in Level 4 gehen.

Sie haben bereits vor Jahren Ihre Vorlesung aufgezeichnet und frei zur Verfügung gestellt. Warum?

Frustration. Meine Lehrveranstaltung war eigentlich immer sehr gut evaluiert, die Studierenden fanden das super und gut erklärt. Aber die Ergebnisse in den Prüfungen waren nicht so prickelnd. Die Durchfallquote lag um die 40 Prozent. Wenn ich die Leute dann in Bachelorarbeiten betreut habe, musste ich feststellen, dass Dinge, die ich vermittelt hatte, doch nicht hängen geblieben sind. Ich habe ziemlich gekämpft, aber irgendwie hat es einfach nicht so richtig gefruchtet, – aber mich dafür gefrustet. Dann bin ich auf die Suche nach Alternativen gegangen.

Ich habe mich mit einer Hochschuldidakt zusammengetan, die mir das Konzept „Flipped Classroom“ vorgeschlagen hat. Davon hatte ich im Leben noch nichts gehört, dachte aber, dass es ein riesen Fortschritt sein könnte. Warum sollten 500 Studierende in die Straßenbahn steigen und an die Hochschule kommen, nur um mir zuzuhören? Wenn, dann können wir die Zeit doch eigentlich in Interaktionen auch sinnvoller nutzen. Das Problem ist ja, wenn sie hier sind, hören sie mir zu; wenn sie zu Hause sind und Sachen nacharbeiten oder Übungsaufgaben lösen, stehen sie ohne Hilfe da und können es mit niemandem diskutieren. Das wollten wir umdrehen. Den reinen Input können sie sich anhören, wann und wo, so häufig und in dem Tempo, wie sie wollen. In Präsenz wollen wir die Sachen dann wirklich anwenden.

Welche Rückmeldungen haben Sie zu den Lehrinhalten erhalten und welche Lehren konnten Sie daraus ziehen?

Ich habe anfangs natürlich auch Fehler gemacht. So habe ich den Stoff einer Doppelstunde in Videos gepackt, die etwa eine Stunde lang waren. Das war, wie ich hinterher gelernt habe, viel zu lang. Außerdem war es so aufgenommen, dass ich nicht zu sehen war. Die Studierenden meldeten zurück, dass sie sich das aber durchaus wünschten. Es war sehr, sehr viel Arbeit, das komplette Set an Videos erst mal aufzuzeichnen und ich war wenig motiviert, das noch einmal in die Hand zu nehmen.

Dann hatte ich die Anfrage, ein Lehrbuch zu schreiben. Da dachte ich, das ist eine gute Gelegenheit: Ich gehe sowieso alles noch einmal durch, arbeite es erneut auf und bringe einen neuen roten Faden rein. Daher wurden die Inhalte dann doch noch einmal mit dem Medienbüro der Hochschule zusammen als Videos produzieren. Als ich die Lehrvideos hatte, war ich so stolz und zufrieden, dass ich sie auch dem Rest der Welt zeigen wollte und sie bei Youtube hochgeladen habe. Womit ich nicht gerechnet hatte ist, dass das tatsächlich irgendjemand anderes neben meinen Studierenden interessieren würde. Nach ein paar Wochen waren auf einmal 1000 Abonnenten da, dabei habe ich nur ein paar Hundert Student*innen. Das hat sich so fortgesetzt und mittlerweile sind es 28 500 Abonnent*innen, die regelmäßig auf diesen Kanal zugreifen und sich die Videos anschauen. Das ist für irgendeinen Comedian auf Youtube nicht viel, aber im Educational Bereich ist das doch eine recht hohe Anzahl von Nutzer*innen.

Und wie findet das Kollegium Ihren Ansatz?

Das hat sich sehr stark gewandelt. Anfangs wurde ich beschmunzelt nach dem Motto „Das soll jetzt seriös sein?“. Als ich dann einen Lehrpreis bekommen habe, dann noch einen und dann noch den Landes-Lehrpreis, wurden dann immer mehr darauf aufmerksam. Ich habe inzwischen auch Kolleg*innen der eigenen Hochschule, aber auch von ganz anderen Universitäten gecoacht.

„Es muss zur Person passen. Es gibt Leute, die sich echt schwer damit tun, vor einer Kamera zu stehen. Daran muss man auch Spaß haben.“ Martin Bonnet

Was sind die drei häufigsten Tipps oder die wichtigsten Punkte, die Sie weitergeben?
Das Erste, was ich immer sage ist: Es muss zur Person passen. Es gibt Leute, die sich echt schwer damit tun, vor einer Kamera zu stehen. Daran muss man auch Spaß haben.

Dann gibt es natürlich noch die üblichen Fehler: es nicht zu lang zu machen. Eine viertel Stunde war damals das Maß der Dinge, heute spricht man eher von sieben Minuten.

Je nachdem, wie man es gestaltet, muss es natürlich auch zu dem Fach passen. Meine Präsenzveranstaltungen finden häufig im Labor statt, wo wir Sachen testen und kaputt machen, um die vermittelten Inhalte zu verstehen. In der Mathematik hingegen können auch in einer Großveranstaltung kleine Übungen gerechnet werden. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, wie man eine Präsenzveranstaltung gestaltet.