Je nach Situation drücken sich Menschen unterschiedlich aus. Sie passen Wortwahl, den Satzbau, Betonung oder Lautstärke der Umgebung und ihrem Gegenüber an. Über die Bedeutung dieser unterschiedlichen Register des Sprechens und ihre Rolle in der Wissenschaftskommunikation spricht die Linguistin Anke Lüdeling.
„Wichtig ist das Vertrauen in die eigene sprachliche Erfahrung“
Frau Lüdeling, Sie forschen zum Thema „Register“. Den Begriff kennen einige vielleicht aus dem Orgelbau, wo er verschiedene Klangfarben beschreibt. Aber was kann man sich in der Linguistik darunter vorstellen?
Mit Register meinen wir intraindividuelle Variationen, die sich durch situative und funktionale Unterschiede begründen lassen. Das klingt kompliziert, also noch mal im Detail: Es gibt Personengruppen, die regional bedingte Varietäten – also Dialekte – oder sozial bedingte Ausprägungen ihrer Sprache sprechen. Uns interessieren aber nicht so sehr Gruppenunterschiede, sondern vielmehr die Variation innerhalb jedes einzelnen Menschen. Uns aber interessiert, wie einzelne Menschen in unterschiedlichen Situationen oder Funktionen sprechen. Sprecher*innen variieren ihre Sprache ständig – je nachdem, mit wem und aus welchem Grund sie sprechen. Das betrifft den Textaufbau, syntaktische Unterschiede, also den Satzbau, sowie subtile morphologische und lexikalische Unterschiede, also die Struktur und Verwendung von Wörtern. Es geht aber auch um die Lautung, also beispielsweise, wie schnell oder wie laut man spricht. Unterschiede sind fast immer quantitativ. Das bedeutet, dass man nicht ganz andere Dinge tut, sondern nur in anderen Häufigkeiten. Wenn ich dieses Interview führe oder eine Vorlesung halte, spreche ich anders, als wenn ich mit einem kleinen Kind spreche. Ich weiß als Sprecherin, dass das nicht angemessen wäre. Und genauso wenig wäre es angemessen, mit einem Vierjährigen zu sprechen wie in einer Vorlesung.
Das klingt nach einem Wissen, das man sich im Laufe der Zeit aneignet. Kann man lernen, diese Register bewusst zu bedienen?
Das ist eine der schwierigsten Fragen: Wie erwerbe ich Wissen über die Angemessenheit in bestimmten Registern? Es gibt sicherlich explizite Regeln, die früh erlernt werden. Zum Beispiel, dass man die Lehrerin siezen muss. In der ersten Schulklasse kriegen Kinder das oft noch nicht so richtig hin und sagen dann: „Du, Frau so und so“. Dann lernen sie langsam, dass Personen in bestimmten Situationen gesiezt werden. Dieses Wissen können sie bewusst einsetzen und man kann es sogar teilweise explizit vermitteln. Die allermeisten Register aber erwerben wir implizit dadurch, dass wir in einer Situation merken, was andere machen. Dabei gibt es subtile Unterschiede. Man hat nicht drei oder sieben verschiedene Register, sondern beliebig fein unterscheidbare.
In der Wissenschaft lernt man bestimmte Fachsprachen. Sind das auch Register?
Ja, genau. Das ist natürlich nicht ein einziges Register. Auch im akademischen Leben gibt es zig unterschiedliche Situationen. Wir merken bei unseren Studierenden, dass sie das in den ersten Semestern erst lernen müssen. Was wird auf welche Weise verhandelt und mitgeteilt? Welche Art von Neutralität muss ich wahren? Welche Art der Präsentation von Evidenz kann ich bringen? Es geht dabei nicht nur um Inhalte, sondern auch um die Art, wie wir sie präsentieren. Sehr oft sind die ersten Hausarbeiten sehr journalistisch. Dann muss man den Studierenden beibringen, dass diese Art von Textsorte nicht das ist, was wir in dieser Situation brauchen.
Ich merke immer wieder, dass Studierende, wenn sie zum ersten Mal in die Kolloquien kommen, mit großen Augen dasitzen. Sie hören, wie man einander auf konstruktive und kooperative Weise kritisieren kann. Auch, wie man Kritik umgeht, gehört zu den akademischen Registern. Dieses Wissen erwerben Studierende in den Seminaren, aber sie lernen auch sehr viel voneinander. Das ist übrigens etwas, was während Corona weitgehend wegfällt.
Ist eine Herausforderung für Wissenschaftskommunikation, die im akademischen Betrieb erlernten Register wieder zu verlassen und andere zu bedienen?
Sie sagen, dass wir unser Registerwissen in verschiedenen Situationen automatisch anwenden. Kann es also auch in der Wissenschaftskommunikation helfen, auf die eigene Intuition zu vertrauen?
Wichtig ist das Vertrauen in die eigene sprachliche Erfahrung. Auch in der Wissenschaftskommunikation gibt es viele Register. Habe ich zwei Minuten im Radio oder ein längeres Interview? Spreche ich mit einem Zeitungsredakteur, der nur oberflächlich ins Thema einsteigen möchte? Bei einem öffentlichen Vortrag verwende ich weniger Fachbegriffe und erkläre mehr. Ich mache jeweils verschiedene Annahmen darüber, wer meine Hörer*innen sind und was sie interessieren könnte. Aber natürlich kann ich dabei total falsch liegen. Und dann scheitere ich zumindest bei einem Teil des Publikums. Aus diesen Erfahrungen kann ich dann lernen.
Sie forschen im Sonderforschungsbereich „Register“ der Humboldt-Universität zu unterschiedlichen Aspekten des Themas. Können Sie einen Einblick in Ihre Arbeit geben?
Wie sieht Ihre experimentelle Forschung aus?
In einem Experiment sitzen sich beispielsweise zwei Proband*innen gegenüber, die einander nicht kennen. Gemeinsam müssen sie Unterschiede zwischen Bildern finden – ohne jeweils zu wissen, was die andere Person sieht. Einmal sitzen die Proband*innen einer Person gegenüber, deren Muttersprache Deutsch ist, und beim zweiten Mal einer Person, die gut Deutsch spricht, aber einen deutlichen englischen Akzent hat. Uns interessiert, wie Proband*innen ihre Sprache verändern. Sprechen sie langsamer oder deutlicher?
Was haben Sie herausgefunden?
Wir haben bisher nur wenige Ergebnisse, da wir durch Corona schwieriger experimentell arbeiten konnten. Aber was wir sehen, ist, dass es leichte Unterschiede gibt. Es gab in den 70er- und 80er-Jahren schon Forschung zu dem, was man damals „Gastarbeiterdeutsch“ nannte. Damals gab es Studien, in denen gezeigt wurde, dass Menschen, die mit Personen sprechen, die nicht so gut Deutsch konnten, langsamer werden, repetitiv sind, auch manchmal lauter reden. Jetzt gucken wir uns eine Person an, die eine Prestigesprache, also Englisch, als erste Sprache hat. Das Prestige spielt eine riesige Rolle – und auch, dass die Person schon relativ gut Deutsch spricht. Trotzdem finden wir leichte Veränderungen, aber die sind sehr subtil.
Was wären interessante Fragestellungen in Bezug auf Register und Wissenschaftskommunikation?
Ich würde auch sehr gerne weiter an der Veränderung von Wissenschaftssprache forschen. Unser Korpus endet im Jahr 1914. Man könnte weitermachen und zum Beispiel gucken, wie sich das mit dem neuen Sprachenwechsel hin zum Englischen verschiebt.
Interessant ist natürlich auch die Rezeption. Wann funktioniert Kommunikation, wann funktioniert sie nicht? Woran liegt es, wenn sich in einer Vorlesung niemand beteiligt oder jemand eine schlechte Klausuren schreibt? Liegt es daran, dass Leute keine Lust haben oder aufgeregt sind? Es kann hundert Gründe geben. Einer könnte eben auch sein, dass ich mit meiner Ansprache das falsche Register gewählt habe.
Sollte das Thema Registerwissen eine größere Rolle in der Wissenschaftskommunikation spielen?