Mit einem neuen Fellowship-Programm können Wissenschaftsjournalist*innen Kommunikationsformate zu den Fächern Mathematik, Informatik und Physik entwickeln. Die Projektleiterin Anna Maria Hartkopf und der Initiator Günter M. Ziegler, Professor für Mathematik an der Freien Universität Berlin, erklären das Projekt und warum es losgelöst von institutioneller Kommunikation läuft.
„MIP.labor“ – Kommunikationswerkstatt zu Mathematik, Informatik und Physik
Frau Hartkopf, Herr Ziegler, was passiert genau im MIP.labor?
Anna Maria Hartkopf: Das MIP.labor ist eine Ideenwerkstatt zur Wissenschaftskommunikation in den Fächern Mathematik, Informatik und Physik (MIP). Diese Fächer haben wir ausgesucht, weil darin besonders abstrakte Themen bearbeitet werden und weil sie in der medialen Berichterstattung häufig unterrepräsentiert sind. Wir glauben, dass es mit den aktuellen Formaten und Methoden in der Wissenschaftskommunikation schwierig ist, Themen aus diesen Fächern abzubilden. Deshalb muss es neue Formate geben, die im MIP.labor entwickelt werden sollen. Das machen wir aber nicht alleine. Die zentrale und neue Idee des MIP.labor sind die Fellowships für Wissenschaftsjournalist*innen: Ihr Aufenthalt am MIP.labor dauert ein halbes Jahr, in dem die Fellows ein Stipendium erhalten. So können sie sich ganz einem Thema aus dem MIP-Bereich widmen und ein passendes Kommunikationsformat dafür entwickeln. Das MIP.labor ist an der Freien Universität Berlin angesiedelt und wird durch die Klaus Tschira Stiftung gefördert.
Wer ist alles am Projekt beteiligt?
Hartkopf: Das Team besteht aus einem Programmierer, einem Wissenschaftsredakteur, einer Projektassistenz, einer Doktorandin, die sich um die Begleitforschung kümmert, vier studentischen Hilfskräften und mir als Projektkoordinatorin. Wir arbeiten außerdem mit Grafikern und Filmemachern zusammen. Das heißt, die technische Umsetzung müssen die Fellows nicht alleine schaffen, sondern wir unterstützen sie dabei aktiv. Außerdem steht jedem Fellow ein*e Tandempartner*in aus der Forschung zur Seite. Die wissenschaftlichen Tandempartner*innen beraten inhaltlich, geben Orientierung in den Fachgebieten und wissen, wen man für welche Fragen kontaktieren kann oder welche Konferenz man besuchen sollte.
Doch am MIP.labor wird auch geforscht: Um die Formatentwicklung wissenschaftlich zu begleiten, führen wir Wirkungsforschung durch. Dafür ist eine Doktorandin zuständig, die diese Begleitforschung mit fachlicher Unterstützung durchführt. Besonders interessant ist natürlich, welche Formate bei der avisierten Zielgruppe gut oder auch nicht so gut ankommen und was die Gründe dafür sind.
Günter M. Ziegler: Das Projekt ist organisatorisch am Mathematischen Institut der Freien Universität Berlin angesiedelt – konkret in meiner Arbeitsgruppe Diskrete Geometrie. Das ist wichtig, weil es in dem Projekt um die Kommunikation aus den Fächern heraus gehen soll, also nicht um institutionelle Kommunikation oder Projekte der Freien Universität Berlin. Das heißt auch, dass wir die Förderung durch die Klaus Tschira Stiftung direkt am Mathematischen Institut eingeworben haben und das Projekt unabhängig von der Pressestelle der Universität durchführen.
Ihnen ist es also wichtig, die Wissenschaftskommunikation hier klar von der institutionellen Kommunikation zu trennen?
Ziegler: Genau. Wir wollen mit dem Projekt neue Formate der Wissenschaftskommunikation ausprobieren und das ganz unabhängig von anderen Kommunikationszielen. Wir freuen uns sehr, dass die Stiftung uns diesen Freiraum ermöglicht.
Welche inhaltlichen Ziele haben Sie sich für das Projekt vorgenommen?
Ziegler: Wenn man sich die gesellschaftliche Perspektive anschaut, dann sind aktuell natürlich Themen rund um Corona, Klimawandel oder Nachhaltigkeit von Interesse. Das sind am Ende auch MIP-Themen. Epidemiemodellierung oder Aerosolforschung kommen ohne Mathematik bzw. Physik nicht aus. Das heißt aber auch, dass man auf der Suche nach kommunizierbaren Mathematikthemen oft bei anwendungsorientierten Themen landet. Im MIP.labor wollen wir auch andere Wege gehen, wollen auch grundlegende Fragen aus den Fächern Mathematik, Informatik und Physik aufwerfen und erfahrbar machen, die vielleicht nicht von Anfang an den Stempel „Nützlichkeit“ oder „Anwendung“ tragen. Gerade in ihrer Abstraktheit liegt die Herausforderung. Wir wollen aus den Kernbereichen der Fächer erzählen, was in der Wissenschaftskommunikation so selten stattfindet.
Und wie entstehen die Projektideen für die einzelnen Fellowships?
Hartkopf: Die Wissenschaftsjournalist*innen bewerben sich bei uns bereits mit einer Projektskizze. Sie umreißt entweder ein konkretes Thema, in das sich die Kandidat*innen tiefer einarbeiten möchten, oder schon den Entwurf eines Formats, das inhaltlich befüllt und weiterentwickelt werden soll. Die Vorgabe ist: Es soll ein Thema sein, das sich noch nicht im Fokus der Wissenschaftskommunikation befindet. Wir möchten den Fellows die Möglichkeit eröffnen, an einem Projekt zu arbeiten, das sie interessiert, für das aber „draußen in der Praxis“ die Recherchezeit nicht reicht. Durch die Zeit und Freiheit am MIP.labor können die Fellows tiefer in ihre Themen einsteigen und den wissenschaftlichen Prozess der Grundlagenforschung von innen kennenlernen.
Warum haben Sie sich für ein Projekt mit journalistischem Ansatz entschieden?
Hartkopf: Das war eine eher politische Entscheidung. Der Wissenschaftsjournalismus hat es im Moment nicht leicht. Seit Jahren werden Stellen in den Redaktionen gestrichen. Auch die Trennung zwischen Wissenschaftskommunikation-PR und Wissenschaftsjournalismus verschwimmt immer mehr. Wir wollen mit unserem Projekt ein Zeichen dafür setzen, dass unabhängiger Wissenschaftsjournalismus wichtig ist und diesen fördern. Gerade in den Fächern, auf die sich das MIP.labor konzentriert, ist es schwierig, den kritischen Blick von außen zu wahren und die Forschung fundiert zu kommentieren. Das ist aber für uns eine der Hauptfunktionen des Journalismus.
Welche Wirkung erhoffen Sie sich von dem Projekt für den Wissenschaftsjournalismus?
Ziegler: In den Vorbesprechungen haben wir die Beobachtung gemacht, dass etwa die Journalist*innen in unserem Projektbeirat die Befürchtung hatten, dass sich keine Wissenschaftler*innen für das Projekt finden würden. Von Forschungsseite war die Befürchtung genau andersherum. Es geht also gerade darum, Menschen aus Journalismus und Wissenschaft zusammenzubringen. Dann können wir hoffentlich auch mit Befürchtungen wie diesen aufräumen.
Wo werden die Ergebnisse veröffentlicht?
Hartkopf: Das hängt vor allem vom Format ab. Wir freuen uns natürlich, wenn die Fellows ihre Kontakte in Redaktionen nutzen, um die Ergebnisse dort anzubieten. Gleichzeitig haben wir auch im Beirat einige Journalist*innen, die dabei sicher unterstützen würden. Da sind wir also ganz offen.
Was sind jetzt die nächsten Schritte?
Hartkopf: Wir sind kurz vor dem Start. Bis zum 15. Mai können sich Interessierte melden und für ein Fellowship in der ersten Runde bewerben. Im Juni wollen wir dann loslegen und die ersten Tandems in die Arbeitsphase schicken. Dabei sind wir aber recht flexibel und zum Beispiel auch offen für Teilzeit-Fellowships, wenn jemand etwa andere Verpflichtungen hat, die nicht für ein halbes Jahr pausiert werden können. Wir freuen uns also auf Bewerbungen. Am 5. Mai um 12 Uhr veranstalten wir außerdem einen Lunchtalk auf Twitter-Spaces. Dabei beantworten wir gerne Fragen und stellen das Projekt vor.
* Wissenschaft im Dialog ist einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.