Sollten sich Forschende in ihrer Kommunikation mehr auf Evidenz und weniger auf Storytelling fokussieren? Das fordert ein Beitrag auf Nature.com und stellt fünf Regeln für Evidenzkommunikation vor. Hans Peter Peters plädiert im Gastbeitrag dafür, das differenzierter zu sehen, sieht aber auch zwei wesentliche Probleme bei Storys.
Wahrheit oder Wirkung?
Im Jahr 2007 wurden zwei bemerkenswerte Meinungsbeiträge zur Frage evidenzbasierter Wissenschaftskommunikation veröffentlicht, deren Autoren ganz unterschiedliche Standpunkte vertraten: Matthew Nisbet und Chris Mooneys „ Framing Science“ sowie Baruch Fischhoffs „ Nonpersuasive Communication about Matters of Greatest Urgency: Climate Change“. Pointiert zusammengefasst meinen Nisbet und Mooney, dass die Wissenschaft sich nicht auf die öffentliche Kommunikation detaillierter Evidenz beschränken sollte, sondern dass es vielmehr auf angemessenes „Framing“ (Deutungsmuster) ankomme, um Fehlinterpretationen durch die Bevölkerung zu vermeiden. Fischhoff plädiert demgegenüber dafür, auf die Kraft der Evidenz und die Vernunft der Laien-Bevölkerung zu vertrauen und den Adressatinnen und Adressaten durch Vermittlung von Evidenz eigene Meinungsbildung zu ermöglichen.
Drei Dilemmas in Kommunikationssituationen
Ein empirisches Dilemma besteht außerdem darin, dass man meist gar nicht genau wissen kann, ob die gewählte persuasive Strategie im Hinblick auf die gewünschten Wirkungen tatsächlich effizient ist. Framing ist eine dezidierte Form der Bedeutungskonstruktion, die auf der einen Seite potenziell persuasiv wirksam ist und auf der anderen Seite wegen dieses offenkundigen Persuasionscharakters bei einem Teil des Publikums Ablehnung der Evidenz provoziert und zu Misstrauen gegen den Kommunikator oder die Kommunikatorin führt. Der Industrieberater Hans-Christian Röglin formulierte es 1990 bei einem Umwelt-Symposium der Firma Bayer so: „Wer Akzeptanz will, darf sie nicht wollen!“ Und das gilt meines Erachtens nicht nur für die Akzeptanz der Chemieindustrie, sondern auch für Evidenzkommunikation über Klimawandel und Corona-Pandemie, also überall da, wo man bei einem Teil der Bevölkerung mit Skepsis gegen kommunizierte Inhalte und ihre praktischen Implikationen rechnen muss.
Für dieses komplizierte Problemfeld machen Michael Blastland et al. in ihrem Nature-Artikel „Five rules for evidence communication“ einen sinnvollen Vorschlag. Er entspricht im Wesentlichen der persuasionskritischen Position Fischhoffs und seinem Vertrauen in die Fähigkeit und Bereitschaft von Laien, mit gut erklärter wissenschaftlicher Evidenz sinnvoll umzugehen. Die Autorinnen und Autoren weisen auf die Bedeutung des Kommunikationskontextes hin und auf die Tatsache, dass Laien nicht nur die Validität wissenschaftlicher Evidenz beurteilen (was nur bis zu einem gewissen Grad möglich ist), sondern auch die Vertrauenswürdigkeit der Wissenschaft und des Risikomanagements elaborieren.
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