Wenn sie nicht zu Nanomaterialien forscht, setzt sich Jess Wade für mehr Repräsentation in der Wikipedia ein. Seit drei Jahren schreibt sie jeden Tag einen Artikel über eine Frau, die in den MINT-Fächern forscht. Im Interview erzählt sie von ihrem Engagement.
Die Physikerin, die Wikipedia diverser macht
Frau Wade, wie viele Wikipedia-Artikel über Frauen in der Wissenschaft haben Sie schon geschrieben?
Etwa 1.200 Stück.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
2017 habe ich ein Buch gelesen, das für mich sehr wichtig war: „Inferior“ von der Wissenschaftsjournalistin Angela Saini. Darin schreibt sie darüber, wie Frauen in der Forschung als minderwertig gegenüber Männern dargestellt werden. Dieses Buch war wie eine Aufforderung für mich, mich mehr für Gleichberechtigung einzusetzen. Ungefähr in derselben Zeit habe ich eine Wissenschaftshistorikerin kennengelernt, die für die Wikipedia schreibt. Sie hat mir erzählt, wie wichtig Wikipedia für unsere Gesellschaft ist, und auch, welche Themen dort einfach fehlen. Das liegt daran, dass Wikipedia am Anfang eine sehr weiße, männliche Community hatte.
Und dann haben Sie mit dem Schreiben begonnen?
Ich habe mich erst einmal damit beschäftigt, wie Artikel auf Wikipedia verfasst werden. Es gibt „Editathons“ für alle, die mehr darüber lernen möchten. Da habe ich teilgenommen. Das war Ende 2017, und am Silvesterabend dachte ich: Wenn ich wirklich etwas ändern möchte, muss ich das ernster angehen. Also habe ich beschlossen, dass ich eine Wikipedia-Seite pro Tag schreiben werde. Damit habe ich angefangen und immer noch nicht aufgehört.
Hatten Sie je Schwierigkeiten, Ideen für neue Artikel zu bekommen?
Sie sind Post-Doc in der Materialwissenschaft. Wie schaffen Sie das neben Ihrer Forschung?
Die Artikel schreibe ich nachts. Tatsächlich hat die Lockdown-Zeit meine Abende kaum verändert. Ich arbeite einfach an Wikipedia-Artikeln. Tagsüber und am Wochenende bin ich im Labor, sitze an meinen Experimenten und meiner Forschung. Dann komme ich nach Hause, esse zu Abend und danach schreibe ich.
Woran forschen Sie bei Ihrer Arbeit?
Ich arbeite an neuen Materialien für elektronische Geräte. Vor allem interessieren mich polymerbasierte Materialien, die wir so manipulieren können, dass sich ihre optischen und elektronischen Eigenschaften verändern. Das könnte nützlich für Smartphone- oder TV-Displays werden.
Sie sind Physikerin und Ihr Feld ist traditionell eher männlich geprägt. Wie erleben Sie das bei Ihrer Forschung?
Ich war auf einer Mädchenschule und schon im Physikkurs ist mir aufgefallen, dass der viel leerer war als zum Beispiel mein Kunstunterricht. Dann habe ich mit dem Studium begonnen und wenn ich mich am Physik-Institut umschaue, oder eigentlich an jedem Physik-Institut in Großbritannien, sind die Meisten der Leute dort Männer. Und fast alle sind weiß.
Das hat Sie vermutlich sehr geärgert.
Ja, das hat mich frustriert, aufgeregt, aber es hat mich auch motiviert weiterzumachen. Ich will weiter daran arbeiten, etwas zu verändern. Ich habe viele Schwarze Kolleginnen und Kollegen und deren Eindruck ist, sie werden nur zu Konferenzen eingeladen, auf denen sie darüber sprechen sollen, wie es ist, ein Schwarzer Wissenschaftler zu sein. Es geht nie um die Forschung, an der sie arbeiten.
Welche Erfahrungen machen Sie noch als Frau in der Physik?
Glauben Sie, Ihr Engagement hat Ihrer wissenschaftlichen Arbeit geschadet?