Fragwürdige Schlussfolgerungen, Falschaussagen, vermeintliche Expertinnen und Experten – Wie kann die Qualität von Wissenschaftskommunikation gesichert werden? Wir plädieren aus psychologischer Perspektive für stärkere soziale Normen im Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.
Die Wissenschaftskommunikation braucht einen Ehrenkodex
Die Corona-Krise bedeutet für die Wissenschaftskommunikation eine Zäsur. Einerseits bekommen Wissenschaftlerinnen Wissenschaftler viel Aufmerksamkeit: Ihre Ergebnisse werden leidenschaftlich diskutiert und kommunizierende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erhalten Auszeichnungen mit großem öffentlichen Ansehen. Andererseits bringt die Pandemie auch zweifelhafte Kommunikation zum Vorschein – im Namen der Wissenschaft wird nicht selten Fragwürdiges oder gar gefährliche Falschinformationen verbreitet. Das offenbart, dass Wissenschaftskommunikation nicht automatisch gute Wissenschaftskommunikation ist.
Wie kann Wissenschaftskommunikation verbessert werden, ohne zusätzliche Hürden aufzubauen und Spontanität und Geschwindigkeit zu gefährden? Wir glauben, dass es besonders wichtig ist, klare und starke Normen für Wissenschaftskommunikation zu etablieren. Für Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler ist es fast eine Binsenweisheit, dass sozial geteilte, also im Konsens einer Community etablierte Regeln und Erwartungen einen starken Einfluss darauf haben, wie sich Menschen verhalten: Normen geben zunächst eine Anleitung für gute Praxis vor. Darüber hinaus erlauben sie, unser eigenes Verhalten und das anderer Menschen zu bewerten. Schließlich können sie dazu führen, dass wir unser Verhalten entsprechend der Normen ändern.
Hierbei ist es hilfreich, zwischen injunktiven und deskriptiven sozialen Normen zu unterscheiden. Injunktive Normen beschreiben subjektive Erwartungen darüber, was die Gemeinschaft gut oder schlecht findet. In der wissenschaftlichen Community gibt es beispielsweise allgemein bekannte, sehr explizite und genaue Regeln darüber, was gute Wissenschaft ausmacht. Gute wissenschaftliche Praxis wird unter anderem durch Fachgesellschaften definiert und bereits im Studium vermittelt. Auch wenn es bereits gute Ansätze für Teilbereiche der Wissenschaftskommunikation gibt, wie die Leitlinien für gute Wissenschafts-PR, fehlt es unseres Erachtens nicht nur an klar formulierten Standards, sondern auch an einem breiten Konsens über solche Qualitätsnormen.
Normen identifizieren
Um bewusst Normen für Wissenschaftskommunikation zu etablieren, sollte also zunächst ein Konsens darüber entstehen, welche Normen idealerweise vorherrschen sollten. Die Leitlinien für gute Wissenschafts-PR und die darauf aufbauende Checkliste dafür, sind ein guter erster Ansatzpunkt, da sie bereits als Konsens eines überinstitutionellen Arbeitskreises erarbeitet wurden. Zudem sprechen sie ein breites Spektrum an Aspekten guter Wissenschaftskommunikation an. Ein Beispiel ist transparente Darstellung der verwendeten Methodik, ein anderes die Offenlegung von möglichen Interessenkonflikten.
Allerdings fokussieren die Leitlinien auf das Format der Pressemeldung und der daraus resultierenden Kommunikation mit Pressevertreterinnen und Pressevertretern. Diese Kommunikationsform ist für wissenschaftliche Institutionen zweifelsohne sehr wichtig. Die Landschaft von Wissenschaftskommunikation hat sich in den letzten Jahren aber stark verändert. Durch die steigende Beliebtheit sozialer Medien, Podcasts, Science Slams und Co kommunizieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunehmend direkt mit der Öffentlichkeit. Außerdem wird mutmaßlich der größte Teil von wissenschaftlichen Inhalten in journalistischen Angeboten ohne institutionelle Beteiligung kommuniziert, zum Beispiel durch Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oder durch eigenständige Aufbereitung von wissenschaftlichen Inhalten durch Wissenschaftsjournalistinnen und Wissenschaftsjournalisten. Auch für diese Arten der Kommunikation bedarf es eines umfassenden Katalogs von Qualitätsstandards. Im Folgenden geben wir drei Beispiele für mögliche Erweiterungen auf beliebte Kontexte der Wissenschaftskommunikation.
Quellenangaben
Güte der Evidenz
Auch wenn Quellen angegeben werden, haben Leserinnen und Leser oft nicht die Zeit oder die Expertise, die Güte der Quellen oder der Datenlage nachzuvollziehen. Dies geht über die in den Leitlinien erwähnte Besprechung des Studiendesigns hinaus: Es verlangt von den Kommunizierenden, die Erkenntnisse zu kontextualisieren. Wie viele Studien gibt es zu diesem Thema bereits? Wie unsicher ist die Befundlage? Innerhalb der Wissenschaftscommunity ist klar, dass eine einzelne Studie meist nur ein kleines Puzzleteil darstellt und entsprechend interpretiert werden sollte. Dieser Eigenschaft des Forschungsprozesses sollte auch die Wissenschaftskommunikation Rechnung tragen. Das Publikum kommt damit wahrscheinlich besser zurecht, als viele möglicherweise erwarten. Eine aktuelle Studie deutet an, dass eine unsichere Datenlage das Vertrauen in wissenschaftliche Ergebnisse nicht verringert.
Trennung von Ergebnissen, Interpretation und Meinung
Normen etablieren
Ein zweites zentrales Problem scheint uns, dass die Leitlinien vor allem unter kommunizierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern noch relativ wenig bekannt sind. Das liegt möglicherweise auch daran, dass die Leitlinien in erster Linie gegenüber Institutionen kommuniziert werden, aber oft nicht gegenüber einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Zumindest ging es uns so, dass wir explizit nach Richtlinien suchen mussten und mehr oder weniger zufällig von der Existenz der Leitlinien in einer freiwilligen Fortbildung erfuhren. Normen können sich allerdings nur etablieren, wenn sie von einer breiten Mehrheit wahrgenommen und für wichtig erachtet werden. Das könnte zum Beispiel dadurch erreicht werden, dass entsprechende Kriterien bei der Vergabe von Preisen für Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus explizit herangezogen werden. Außerdem ist die Etablierung der Normen wahrscheinlicher, je mehr Menschen das entsprechende Verhalten honorieren. Die Etablierung der Normen für Wissenschaftskommunikation sollte also über die Community der Wissenschaftskommunikation hinausgehen und auch auf die Öffentlichkeit übergreifen, um qualitativ hochwertige Wissenschaftskommunikation zu fördern.
Auch wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermehrt selbst mit der Öffentlichkeit in Dialog treten spielen Journalistinnen und Journalisten in der Wissenschaftskommunikation nach wie vor die wichtigste Rolle. Daher ist es wichtig, dass die Normen für gute Wissenschaftskommunikation auch bei Journalistinnen und Journalisten etabliert werden. Sie könnten eine korrigierende oder unterstützende Funktion einnehmen, beispielsweise explizit nach Quellen für Aussagen verlangen und sollten in der Berichterstattung Platz für Literaturverweise einplanen. In Interviews könnten sie stärker auf die Trennung von Fakten und Meinung achten. Schließlich kann eine Sensibilisierung für gute
Wissenschaftskommunikation auch dazu beitragen, unbeabsichtigte Fehler, wie das Drängen auf Zuspitzung und spannende Aussagen, zu vermeiden.
Fazit
Auch ein „Ehrenkodex“ für Wissenschaftskommunikation wird die Verbreitung von Falschinformationen und Verschwörungserzählungen nicht eliminieren. Klare Normen für Wissenschaftskommunikation können aber helfen, vertrauenswürdige wissenschaftliche Informationen leichter erkennbar zu machen. Dies könnte letztendlich dazu beitragen, dass Falschinformationen weniger Glauben geschenkt wird. Auch wenn es bereits Bemühungen gibt, Qualitätskriterien für Wissenschaftskommunikation zu formulieren, sollten diese Bestrebungen aus psychologischer Sicht noch intensiviert werden. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Journalistinnen und Journalisten betreiben schon sehr gute Wissenschaftskommunikation. Es bedarf allerdings eines umfassenderen Katalogs und einer stärkeren Verbindlichkeit dieser Qualitätsmerkmale. Zudem sollte ihre Sichtbarkeit nicht nur gegenüber den Akteurinnen und Akteure der Wissenschaftskommunikation, sondern auch gegenüber den Rezipientinnen und Rezipienten gesteigert werden. Aus unserer Sicht ist sind starke Normen eine Voraussetzung dafür, gute Wissenschaftskommunikation in der Breite zu fördern.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.