Wissenschaftskommunikation ist in diesem Jahr so präsent in der öffentlichen Debatte wie noch nie. Wir blicken zurück auf die Themen, die die Community neben, trotz und wegen der Corona-Pandemie beschäftigt haben und geben Tipps zum (wieder-)lesen aus der Redaktion. Heute: Januar bis März 2020.
Jahresrückblick #1 – Neue Zielgruppen, Vertrauen in Wissenschaft und ein unbekanntes Virus
Wissenschaftskommunikation außer Haus
„Ich halte es für eine arrogante Einstellung, die Forschung nur auf Veranstaltungen im eigenen Haus zu präsentieren und zu erwarten, dass die Leute auf uns zukommen“, sagte die Soziologin Jutta Allmendinger im ersten Interview des Jahres am 6. Januar. Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) plädierte dafür, wissenschafts- und bildungsferne Zielgruppen stärker als bisher in der Wissenschaftskommunikation zu berücksichtigen: Eine besondere Bedeutung maß sie außerdem der Balance zwischen der notwendigen Vereinfachung in der Kommunikation und der wissenschaftlichen Genauigkeit bei.
„Niemand ist zu dumm, wissenschaftliche Ergebnisse zu verstehen. Wenn es uns misslingt, [diese] verständlich darzustellen, dann sind wir die Dummen.“ – Jutta Allmendinger (@WZB_Berlin) im Gespräch über heutige Ansprüche und Herausforderungen der #Wisskomm. https://t.co/idMF2FzUsk
— Wisskomm-Portal (@wisskomm_de) January 6, 2020
Eine andere Art „Außer-Haus-Wissenschaftskommunikation“ – oder: dahin zu gehen, wo die Leute sind – stellte Julia Lammertz von der Universität Greifswald in einem Interview vor. Für das Projekt „Universität in der Region“ fahren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Vorträgen und Diskussionen in kleinere Städte und Dörfer im weiteren Umland der Hochschule und sammeln dabei teils überraschende Erfahrungen. Der „Kaffeeklatsch mit Wissenschaft“ im Museum für Naturkunde Berlin soll ebenfalls die Hemmschwelle für das Interesse an Forschung senken. Dabei können die Gäste in lockerer Atmosphäre mit Forschenden über deren Arbeit plaudern.
Kanalarbeiten – Twitch, LinkedIn und Tik Tok
Mehr Sichtbarkeit für die Geisteswissenschaften
Die Geisteswissenschaften werden in der Diskussion über Wissenschaftskommunikation oft übersehen. In einem Interview im März stellte Mitherausgeber Sandro Zanetti das Portal „Geschichte der Gegenwart“ vor. Dort ordnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit historisch, philologisch und kulturanalytisch geschultem Blick das aktuelle Zeitgeschehen ein. Reinlesen lohnt sich!
Über den Wandel von Citizen-Science-Beteiligung in geisteswissenschaftlichen Projekten berichtete die Historikerin Kristin Oswald im Gastbeitrag. Durch die zunehmende Automatisierung von Aufgaben durch künstliche Intelligenz rücke bei solcher Zusammenarbeit nun Kreativität, Kontextualisierung und direkte Kommunikation in den Vordergrund.
Methoden statt Fakten
Auch die Naturwissenschaften produzieren entgegen landläufiger Ansicht keine einfachen Fakten. Stattdessen ringen sie mit einer Reihe teils konkurrierender Methoden um Erkenntnisse. Das war das Thema der Ausstellung „Real not Fake – wie Wissenschaft funktioniert“ im Universum Bremen. Im Interview auf Wissenschaftskommunikation.de betont die Kuratorin Kerstin Haller, dass angesichts der medialen Informationsflut alle Menschen eine neue Art von „Scientific Literacy“ bräuchten: nämlich „weniger Faktenwissen und stattdessen ein Gespür dafür, welche Arbeiten methodisch belastbar sind“.
Wie Vertrauen entsteht – und warum es wichtig ist
Mit Vertrauen in einem speziellen Zusammenhang, nämlich der „Replikationskrise“ in der Psychologie, beschäftigte sich ein Gastbeitrag von Tobias Wingen und Jana Berkessel. Kern des Problems ist, dass viele Erkenntnisse, die als etabliert gelten, sich in unabhängigen Wiederholungen (Replikationen) von Experimenten nicht erneut zeigen lassen. Das beschädigt Studien zufolge tatsächlich das Vertrauen in die psychologische Forschung stark – selbst wenn man gute Erklärungen dafür liefert.
In eigener Sache: Wissenschaftskommunikation.de direkt ins Postfach
Der 31.01. markiert für die Redaktion die Umsetzung eines schon lange geplanten Vorhabens: Der erste Wisskomm-Newsletter wurde verschickt! Wer wie mittlerweile rund 550 weitere Abonnentinnen und Abonnenten keine spannenden Themen mehr auf dem Portal verpassen möchte, kann sich unter diesem Link anmelden.
Und dann kam Corona
Elf Stunden vor Beginn des Jahres, am 31. Dezember 2019 um 12:50 Uhr, verschickte die dpa die erste deutschsprachige Nachrichtenmeldung über eine „mysteriöse Lungenkrankheit in Zentralchina“. Eine Zeit lang schien die Epidemie weit weg, doch schon bald häuften sich auch in den hiesigen Schlagzeilen Berichte über die Ausbreitung des neuen Coronavirus. Noch Anfang März betrachteten das allerdings viele als „Panikmache“. In einem Interview am 2. März verteidigte der Wissenschaftsjournalist Lars Fischer, der für Spektrum.de die Entwicklung der Pandemie von Anfang an begleitet hat, die mediale Aufmerksamkeit für das Virus. Zugleich kritisierte er jedoch atemlose Kurzmeldungen über immer neue Infektionsherde ohne einordnende Informationen. SARS-Cov-2 sei dennoch „das Thema der Stunde“ – eine Feststellung, die bekanntlich für lange Zeit gültig bleiben sollte.
Die Pandemie beeinflusste auch fast alle Debatten um die Wissenschaftskommunikation in diesem Jahr. Ende März starteten wir deshalb das „Spezial Gesundheitskommunikation“. Es begann als Sammlung älterer Beiträge zur Kommunikation von Gesundheit und Krisen und wird fortlaufend um neuere Artikel und Interviews ergänzt. So sprach der Mediziner Till Koch im Interview am 20. März über seine Erfahrungen mit einem Podcast zu Infektionskrankheiten, dem „Infektiopod“. Die Kommunikationswissenschaftlerin Elena Link erzählte über ihre Forschung dazu, wie Menschen sich über ihre Gesundheitsthemen informieren, welche Quellen sie dafür suchen und berücksichtigen – und welche nicht.
Selten war das Thema #Gesundheitskommunikation so präsent wie jetzt. Deshalb haben wir ins Archiv geschaut und passende Beiträge hierzu gesammelt. Natürlich wird in den nächsten Wochen für Nachschub gesorgt und die Liste ergänzt. #Wisskomm https://t.co/0btcl8411y
— Wisskomm-Portal (@wisskomm_de) March 26, 2020
Corona sollte auch über die medizinische Information der Bevölkerung hinaus noch eine wichtige Rolle für die Wissenschaftskommunikation spielen, vor allem durch die fast völlige Einstellung von Präsenzformaten zur Wissensvermittlung und der Suche nach digitalen Alternativen. Mehr dazu lesen Sie im zweiten Teil unseres Jahresrückblicks, der kommende Woche erscheint.
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Jahresrückblick #2 – Gesundheitskommunikation, Vertrauen, junge Zielgruppen und digitale Lösungen
Jahresrückblick #3 – Alles digital, Journalismus und Corona, #FactoryWisskomm
Jahresrückblick #4 – Politik, Diversität und das Wissenschaftsbarometer