Foto: Mario Dobelmann

Wissenskommunikation barrierefrei

Worauf kann man achten, um Fach- und Wissenskommunikation für alle zugänglich zu gestalten? Isabel Rink und Christiane Maaß von der Forschungsstelle Leichte Sprache der Universität Hildesheim geben im Gastbeitrag Tipps und Denkanstöße.

Seit einigen Jahren hat Barrierefreiheit in der Kommunikation Hochkonjunktur, und zwar international wie auch hierzulande. So findet sich das Thema in zahlreichen Leitlinien und Verordnungen wieder, wie etwa

Diese Auflistung zeigt bereits, dass Barrierefreie Kommunikation selbst eine Expertendomäne ist, die Zugänglichkeit in den verschiedenen Bereichen regelt und damit Gleichberechtigung, insbesondere für Personen mit Behinderung, herstellen soll. Besonders in der Wissenskommunikation ist Barrierefreiheit ein bislang wenig berücksichtigtes Thema und dennoch äußerst relevant. Nehmen wir als Beispiel die Berichterstattung in Zeiten des Lockdowns: Hier wurden viele Menschen, die in Teilen den vulnerablen Gruppen zugehören, ausgeschlossen. Insbesondere die Gruppe der Gehörlosen hatte zunächst kaum Zugriff auf die Informationsangebote, weil Gebärdensprachverdolmetschung in den Nachrichten oder bei Pressekonferenzen in Deutschland nicht zum Standard gehört. Wie wollen wir denn die breite Bevölkerung schützen, wenn diese in Teilen nicht einmal Zugriff auf die Informationen hat bzw. diese nicht versteht?

Besonders viel Aufmerksamkeit hat in den vergangenen Jahren in Deutschland die Leichte Sprache auf sich gezogen: Inzwischen hat jede Bundesbehörde auf ihrer Startseite ein Piktogramm zum Angebot in Leichter Sprache verlinkt und auch die Parteien ziehen mit Wahlprogrammen in Leichter Sprache in den Wahlkampf. Aber Barrierefreie Kommunikation ist noch viel mehr. Es eröffnet sich hier ein breites Handlungsfeld von Spezialisierungen und Forschungsansätzen:

  • Übersetzung und Verdolmetschung in Leichte und Einfache Sprache
  • Audiodeskription und Audioeinführung für Blinde und Sehgeschädigte
  • Schriftdolmetschen, also das Verschriftlichen von Reden, Vorträgen und Co  sowie
  • Gebärdensprachverdolmetschung und Untertitelung für Personen mit Hörbehinderung

Dies sind nur einige Beispiele für den dynamischen Bereich der Forschung und Praxis zur Barrierefreien Kommunikation.

Es geht um mehr als nur besseres Verstehen

Barrierefreie Kommunikation ist eigentlich für Nutzerinnen und Nutzer mit Kommunikationsbeeinträchtigung gedacht. Wenn solche barrierefreien Kommunikationsprodukte aber für diese Nutzergruppen zur Verfügung stehen, profitieren stets auch weitere Personenkreise: Auch unterschiedliche Bildungschancen oder einschneidende Lebensereignisse können dazu führen, dass Nutzerinnen und Nutzer besondere Anforderungen an Texte haben – seien diese online oder offline, mündlich oder schriftlich.

Wenn Informationsvermittlung barrierefrei stattfinden soll, so hilft ein Blick in die konkrete Kommunikationssituation: Wie sieht diese aus? Wer kommuniziert mit wem und an welchem Ort. Auf welcher Plattform und mit welchem Endgerät wird der Inhalt gegebenenfalls abgerufen? Verfügt meine Zielgruppe überhaupt über solche Geräte und ist sie eher analog oder digital unterwegs? Es zeigt sich dann, dass es um mehr als nur besseres Verstehen geht.

Auffindbar und wahrnehmbar

Information muss zunächst einmal auffindbar sein. Wer sie gefunden hat, muss sie dann aber auch wahrnehmen können und hier kommen unterschiedliche Nutzungsprofile ins Spiel: Soll die Information über Ohr, Auge oder den Tastsinn in den Kopf gelangen? Und stehen diese Sinneskanäle überhaupt zur Verfügung?

Verständlich

Erst dann stellt sich die Frage der Verständlichkeit und die ist eine echte Herausforderung: Wissenskommunikation ist Expertenkommunikation; die Nutzerinnen und Nutzer sind aber häufig Laien und zusätzlich mag eine Verstehensbeeinträchtigung das Verständnis erschweren. Oft sind Expertinnen und Experten auch ungeübt darin, ihren Gegenstand so zu vermitteln, dass er sich an den Verstehensvoraussetzungen eines heterogenen Publikums orientiert. Hier zeigt sich noch einmal sehr deutlich, dass Barrierefreie Kommunikation uns einiges abverlangt, egal in welchem Feld wir unterwegs sind.

Verknüpfungsfähig

Verstehen passiert nämlich nur dann, wenn die Texte oder Informationen an vorhandene Wissensbestände anknüpfen. Zu viel neue Information kann dazu führen, dass die Nutzerinnen und Nutzer am Ende gar nichts behalten oder entnervt aufgeben. Stichwort: information overload.

Akzeptabel

Und schließlich müssen die Texte akzeptabel sein. Sind sie übergriffig oder asymmetrisch, unfreundlich oder machen sie die Nutzerinnen und Nutzer klein, dann werden sie aus der Hand gelegt oder treffen auf Abwehr. Ein erhobener Zeigefinger führt eher nicht dazu, dass sie der Information Folge leisten.

Nur wenn Texte alle diese Eigenschaften haben, sie also auffindbar, wahrnehmbar, verständlich, verknüpfungsfähig und akzeptabel sind, dann sind sie dazu geeignet, dass die Nutzerinnen und Nutzer auf ihrer Basis handeln können.

Die Nutzerinnen und Nutzer unterscheiden sich nun nicht nur bezüglich der Sinne, mit denen sie Informationen aufnehmen können, sondern auch bezüglich der Gesamtkapazität, die sie für den Verstehensprozess zur Verfügung haben. Texte, die übermäßig auf diese Verstehenskapazität zugreifen, sind nutzlos. Sie überfordern das Publikum.

Die Forschung im Bereich der Barrierefreien Kommunikation hat nun zum Gegenstand zu ermitteln, wie es um die Verstehensressource unterschiedlicher Nutzergruppen bestellt ist und an welchen Stellen der Verstehensprozess durch bestimmte Texteigenschaften gestützt werden kann.

Schlüsselfrage: Wer sind die Nutzerinnen und Nutzer und was bedeutet das für die Barrierefreiheit der Kommunikation?

Wir müssen uns fragen, wer die Zielgruppen sind. Hier liegt der Fokus der Rechtsetzung auf Personen mit Kommunikationsbehinderungen, denn diese haben ein Recht auf Barrierefreie Kommunikation. Aber es zeigt sich, dass im Grunde jede Person auf Kommunikationsbarrieren trifft: Wenn Information zu fachlich ist, wenn sie in lauter Umgebung über den Audiokanal präsentiert wird, wenn sie nur auf einem Kanal zur Verfügung steht, den man gar nicht nutzt.

Lassen Sie uns diesen letzten Punkt noch einmal in den Blick nehmen: Fast 100 Prozent der Deutschen sind online. Das betrifft aber nicht die Gruppe der Senioren; bei Personen im Alter ab 74 Jahren ist nur noch die Hälfte online und große Teile dieser Onliner nutzen das Internet nur sporadisch und begrenzt auf wenige Plattformen. In Einrichtungen der Pflege und Sorge gibt es meist nicht einmal W-Lan. In Bezug auf die neuen Medien ist hier noch Brachland. Wenn Sie in Richtung dieser Gruppen ausschließlich online kommunizieren, scheitern Sie schon auf der untersten Ebene, nämlich der Auffindbarkeit.

So nutzen Sie Strategien der Barrierefreien Kommunikation

Damit kommen wir zu der Frage: Wie kann ich Information so vermitteln, dass sie in möglichst viele Köpfe hineingeht? Hier einige Ratschläge:

  • Auffindbarkeit: Welche Plattformen benutzen die Personen, die Sie erreichen möchten? Facebook? Instagram? Die Homepage Ihrer Institution? Bücher, Broschüren oder Zeitschriften? Flyer und wenn ja, wo sind diese zu platzieren? Denken Sie daran: Informationen, die nicht gefunden werden, werden auch nicht rezipiert.
  • Wahrnehmbarkeit: Mehrere Sinne adressieren und einzelne Sinne nicht zu stark beanspruchen! Verzichten Sie auf das Kleingedruckte. Gibt es eine Audiospur, die Sie vielleicht per QR-Code in einem gedruckten Angebot zugänglich machen können? Verwenden Sie Bilder und strukturieren Sie das Angebot so, dass einem Hauptinformationen, wie etwa die Textfunktion – Was ist das Ziel des Texts? Soll er warnen, informieren, instruieren, unterweisen, unterhalten, …? – oder die Hauptaussage, entgegenspringen.
  • Verständlichkeit: Dünnen Sie die Information um Nebenschauplätze aus. Experten bringen häufig zu viele Details auf den Tisch, weil sie zu tief im Gegenstand stecken. Orientieren Sie sich an der Sprache Ihrer Nutzerinnen und Nutzer: Alltagsnah statt fachlich. Sätze mit wenigen Aussagen. Erläuterung fachlicher Gegenstände und Begriffe.
  • Verknüpfungsfähigkeit: Für die Informationserschließung braucht es Sprach-, Diskurs- und Weltwissen. Das heißt: Ihr Gegenüber braucht ein Vorwissen über den Gegenstand und Ankerpunkte, um es in seinen oder ihren Wissenshorizont einzuordnen. Liefern Sie solche Ankerpunkte, zum Beispielüber Vergleiche, anschauliche Beispiele und eine Darstellungsweise, die vom Allgemeinen zum Spezifischen geht.
  • Akzeptabilität: Sie sind der Experte oder die Expertin – klar. Aber machen Sie Ihr Gegenüber nicht klein. Nutzerinnen und Nutzer reagieren oft sensibel auf Übergriffigkeiten.

Während wir hier gemeinsam an diesem Text brüten, hoffen wir, dass uns der Leser beziehungsweise die Leserin noch folgen kann und möchte 😉

Weitere Ressourcen mit Tipps und Informationen zur barrierefreien Kommunikation sind hier zu finden:

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.