Was bedeutet Corona für Organisatorinnen und Organisatoren von Veranstaltungen mit vielen Partnern und großem Publikum? Wir haben nachgefragt bei den Macherinnen und Machern der Falling Walls Conference, des Forum Wissenschaftskommunikation und der Langen Nacht der Wissenschaften Berlin.
„Eine andauernde Lernreise“ – wenn Großevents ins Digitale umziehen
„Unsere Konferenz basiert auf physischen Begegnungen, bei denen in einer inspirierenden Atmosphäre Wissenschaft vermittelt wird, und das ist alles erst mal vom Tisch gewischt. Was machen wir jetzt?“ Mit dieser Überlegung starteten Felix Rundel, Leiter der Falling Walls Conference, und sein Team im April in eine drastische Um- und Neuorganisation der Veranstaltung. Ganz ähnlich ging es den Veranstaltenden vom Forum Wissenschaftskommunikation. Mitten im Call for Proposals zogen sie – wie der Rest der Community – ins Homeoffice. Trotzdem trafen über 100 Vorschläge für Sessions ein, zum Teil mit aktuellem Bezug zur Wissenschaftskommunikation um Corona. „Als wir das Programm inhaltlich gerade auf die Beine gestellt hatten, wurde eine Veranstaltung vor Ort im Oktober immer unsicherer“, sagt Projektleiterin Hella Grenzebach von Wissenschaft im Dialog*. Eine Analyse unter Berücksichtigung der Veranstaltungshinweise des Robert-Koch-Instituts und die Abstimmung mit den lokalen Partnern in Hannover ergab, dass das Event trotz großzügiger Räumlichkeiten mit maximal 150 statt wie sonst 500 Teilnehmenden stattfinden könnte, allerdings bei fast gleichbleibenden Kosten. „Parallel bekamen wir immer wieder das Feedback, dass es in diesem Jahr besonders großen Gesprächsbedarf in der Community gibt. Deshalb planen wir jetzt eine komplett digitale Variante.“
Noch kürzer war der Vorlauf für die Lange Nacht der Wissenschaften (LNDW) Berlin. Im März sagte der Senat bis auf Weiteres alle Veranstaltungen in öffentlichen Einrichtungen ab – das betraf auch den Termin am 6. Juni. „Mitten in der heißen Vorbereitungsphase mussten wir mit unserem Agenturteam rund 65 teilnehmenden wissenschaftlichen Einrichtungen, den Besucherinnen und Besuchern sowie allen Kooperations- und Werbepartnern die Absage der LNDW mitteilen“, sagt Nicola Rother, Leiterin der Geschäftsstelle der LNDW. „Dann haben wir auf den Pausenknopf gedrückt und gemeinsam mit dem Vorstand überlegt, wie wir mit der Situation umgehen.“ Vor dieser Frage standen und stehen seit dem Frühjahr alle Veranstalter – gerade bei Großveranstaltung hängen daran monatelange Vorbereitungen, Absprachen mit Partnerinstitutionen, die Planung von Personal und Budgets und nicht zuletzt die Erwartungen des Publikums.
Die Lange Nacht der Wissenschaften Berlin versammelt seit 2001 einmal jährlich mehr als 2.000 Events, Lesungen, Vorträge und Performances in über 60 wissenschaftlichen und wissenschaftsnahen Einrichtungen in Berlin und Potsdam. Die Koordination übernimmt die Geschäftsstelle des gleichnamigen Vereins, dessen Mitglieder teilnehmende Institutionen sind. Die Finanzierung läuft vor allem über die Häuser selbst, die ihre Veranstaltungen auch in Eigenregie organisieren, und durch die Ticketerlöse der zuletzt 26.000 Besucherinnen und Besucher sowie mit der Unterstützung von Partnern. In diesem Jahr fand am 6. Juni live lediglich die Sondersendung auf RBB Radio 1 aus dem Naturkundemuseum Berlin statt. Als zusätzliches Format wurde eine zwölfteilige Podcastreihe mit Themen und Impulsen aus den Trägerorganisationen in Kooperation mit dem RBB Inforadio entwickelt und auf der LNDW-Website und über Social Media begleitet.
„Unser langjähriger Partner, die Wirtschaftsförderung Berlin Partner, hat uns nach der Absage angeboten, uns weiter zu unterstützen und mit uns über mögliche digitale Alternativen nachgedacht“, sagt Nicola Rother. „Dabei sind wir relativ schnell auf das Format Podcast bekommen.“ Dieses hätten sie gewählt, um über die gesamte Zeit bis zur nächsten Langen Nacht immer wieder präsent zu sein, und weil über die ARD-Mediathek noch mehr Menschen erreicht werden können, als sonst die Veranstaltung besucht hätten. „Es ist sicher nicht zu vergleichen mit einer Präsenzveranstaltung, auch nicht in finanzieller Hinsicht“, sagt Rother. „Aber sowohl die Sondersendung als auch der Podcast haben uns eine Sichtbarkeit verschafft, mit der wir in Anbetracht der Umstände sehr zufrieden sind.“
Keine Copy-Paste-Version
Ein Fazit, auf das auch Felix Rundel hofft, für den die Veranstaltungsphase des digitalen Programms gerade erst beginnt. „Die erste Entscheidung war, dass wir keine Copy-Paste-Version der analogen Falling Walls Conference im digitalen Raum machen wollen.“ Schnell war außerdem klar, dass „Falling Walls Remote“ kein hybrides Programm aus Präsenzveranstaltungen und digitalen Anteilen werden sollte. So wollte man vermeiden, bei einer zweiten Welle noch einmal alles umplanen zu müssen. „Stattdessen haben wir uns gefragt: Wie müssen wir den Programmumfang zeitlich und inhaltlich verändern, damit es für die digitalen Nutzungsgewohnheiten funktioniert und die Leute nicht mittendrin weglaufen?“ Die inhaltliche Zielrichtung – bahnbrechende Forschung zu präsentieren – sollte sich dabei im Wesentlichen nicht verändern.
Die Falling Walls Conference präsentiert seit 2009 jährlich zum Jahrestag des Mauerfalls wissenschaftliche Durchbrüche, die das Potenzial haben, die Welt und das gesellschaftliche Leben zu verändern. Die Vortragenden werden normalerweise in einem strengen Kuratierungsprozess ausgewählt und präsentieren ihre Inhalte bei einer zweitägigen Konferenz mit begleitenden Digitalangeboten wie Livestream, Videobibliothek und Co. In diesem Jahr gibt es stattdessen ein weltweites Nominierungsverfahren für Durchbruchsansätze in zehn Kategorien und eine mehrstufige Kommunikationskampagne im Vorfeld. Die Konferenz selbst findet in jeweils zwei Stunden an sechs Tagen im November (4. bis 9.) digital statt, mit Finale und Verkündung der „Breakthroughs of the Year“ am 9. November. Alle Falling Walls Programme sind eingebettet in die Berlin Science Week, die als hybride Form mit stark digitalem Fokus vom 1. bis 10. November stattfindet.
Um Durchbrüche zu identifizieren, ändere sich aber in diesem Jahr das Suchmuster, sagt Rundel: „Statt eines zentralen Auswahlprozesses stellen wir dieses Jahr eine enge Zusammenarbeit mit unserem internationalen Netzwerk in den Vordergrund.“ Ausgewählte Forschende und Wissenschaftsinstitutionen werden gebeten, Videomaterial zu den Durchbrüchen, um die es in den Konferenzbeiträgen klassischerweise geht, bereitzustellen. Auf verschiedenen Kanälen werden die Inhalte über einen Zeitraum von mehreren Wochen ausgespielt und zudem auf dem stark ausgebauten Programmportal online gebündelt. Hierhin sollen an den sechs Konferenztagen auch die Teilnehmenden gelotst werden. Für den Austausch zwischen den Teilnehmenden sollen interaktive Sessions und ein Matchmaking-Tool angeboten werden, beispielsweise über ein Format namens „Virtual Braindates“. „Das ist wie ein intellektuelles Tinder, bei dem man sich über Interessen zusammenfinden kann, um kompakte Gespräche zu führen“, erklärt Rundel.
Unterstützt wird das Team der Falling Walls Conference dabei von Medienpartnern. Mit einer Digitalagentur wird noch an den technischen Fragen getüftelt. „Wichtig ist uns“, so Rundel, „dass wir nachhaltige Kontakte knüpfen, die uns über die diesjährige Konferenz hinaus erhalten bleiben. Außerdem sollen die Registrierungen möglichst einfach sein und die Programme möglichst gebündelt bleiben.“
Die Kunst der virtuellen Kaffeepause
Diese Kriterien sind auch für das Forum Wissenschaftskommunikation wichtig. Nach Recherchen und Teilnahmen an anderen virtuellen Konferenzen fiel die Wahl auf einen Anbieter, bei dem alle Bestandteile der Tagung mit einem Zugang erreicht werden können.
Das Forum Wissenschaftskommunikation ist seit 2008 jeden Herbst in einer anderen Stadt zu Gast und mit 500 Teilnehmenden die größte Fachtagung der Community. Statt eines mehrspurigen, kompakten Programms von Montag bis Mittwoch Mittag wird es nun vom 5. bis 7. Oktober jeweils ein halbtägiges Onlineprogramm geben. Die Sessions dauern 45 statt 90 Minuten und finden via Videokonferenz statt. Auf einer „Multimediawand“ sowie in Blitzlicht und Expertentalks präsentieren die Unterstützer und Aussteller sich und ihre Arbeit und können mit den Teilnehmenden ins Gespräch kommen. Die Plattform wird insgesamt vier Wochen – zwei Wochen vor und nach der Veranstaltung – verfügbar sein. Zusätzlich werden virtuelle Meetingräume angeboten, in denen sich die Teilnehmenden mit Avataren gegenübertreten können.
Vernetzungsmöglichkeiten wie die virtuellen Kaffeepausen mit Leben zu füllen, ist eine Kunst. Diese Angebote auch digital beizubehalten, war dem Veranstaltungsteam um Hella Grenzebach aber aus zwei Gründen wichtig: „Das Forum Wissenschaftskommunikation lebt von den persönlichen Begegnungen und der Vernetzung der Teilnehmenden. Das wollten wir, so gut es geht, weiterhin ermöglichen.“ Doch auch für die Aussteller sei es natürlich etwas ganz anderes, als bei einer Veranstaltung vor Ort präsent zu sein. „Trotzdem haben einige sofort zugesagt, auch im digitalen Raum dabei zu sein. Andere überlegen noch.“ Die Entscheidung habe sowohl inhaltlich als auch finanziell Gewicht für die Organisation, sagt Hella Grenzebach.
Der Ressourcenbedarf bleibt gleich, ist aber anders verteilt
Eine digitale Veranstaltung – da sind sich die Teams der Falling Walls Conference und des Forums Wissenschaftskommunikation einig – verursacht in der Summe fast die gleichen Kosten wie eine Veranstaltung vor Ort. Denn was man an Raumtechnik, Tagungsunterlagen und Catering spart, gibt man für Konferenztools, Dienstleister und Programmierung wieder aus. Auch die personellen Ressourcen schätzen beide Teams in etwa gleich hoch ein – vielleicht braucht es sogar noch ein paar Leute mehr für den technischen Support.
Im Projektmanagement kann auf viele Routinen aus den Vorjahren nicht zurückgegriffen werden. „Wir sind immer noch dabei, kontinuierlich alles auf dieses neue Produkt umzustellen“, sagt Felix Rundel. Zu klären seien vor allem redaktionelle und Produktionsfragen, etwa, zu welchem Grad vorproduziert werden sollte und welche Programmpunkte live stattfinden sollen. „Insgesamt war eine fast komplette Umstrukturierung der Prozesse im Team notwendig – eine andauernde Lernreise“, so Rundel.
Das Beste aus beiden Welten nutzen
Dieses Ziel gilt auch für das Forum Wissenschaftskommunikation. „Langfristig“, da ist sich Hella Grenzebach sicher, „ist das Forum eine Tagung, auf der sich echte Menschen mit echten Menschen treffen wollen.“ Sie geht aber davon aus, dass die Veranstaltung auch weiterhin mehr digitale Komponenten haben wird. „In diesem Jahr ist es noch gar nicht möglich, die ganze Palette an verfügbaren Tools für die digitale Zusammenarbeit zu nutzen. Wir sind sehr gespannt auf das Experiment „Forum Digital“ und das Feedback aus der Community sowie die Evaluation in diesem Jahr.“ Ähnlich sieht es auch Felix Rundel für die Falling Walls Conference: „Ich wünsche mir, dass wir im Digitalbereich dazu lernen, Infrastrukturen und Kompetenzen aufbauen.“ Trotzdem hofft er, im nächsten Jahr auch wieder analoge Veranstaltungen durchführen zu können. „Dann wollen wir das Beste aus beiden Welten – analog und digital – verbinden und so den menschlichen Austausch ermöglichen, während wir gleichzeitig von Reichweite bis Interaktion all die positiven Aspekte des Digitalmodells ausnutzen.“ Dabei erhoffen sich die Organisationsteams aller drei Veranstaltungen auch Tipps und Erfahrungen aus der Community der Wissenschaftskommunikation. Denn auch wenn im nächsten Jahr große Veranstaltungen wieder möglich sein sollten, kann mindestens ein Back-up nicht schaden – oder gleich ein Plan für eine digital-analoge Hybridvariante.
*Wissenschaft im Dialog ist einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.