Grafik: Svenja Kröner

Bei den Expertinnen und Experten im Wohnzimmer

Seit April lädt das Projekt „Wissenschaft fürs Wohnzimmer“ wöchentlich zum digitalen Plausch über Wissenschafts- und Klimawandelthemen bei Youtube ein. Wie das Format funktioniert, wen es erreicht und wie politisch es dabei werden darf, erzählen Matthias Wietz und Miriam Seifert von „AWIs4Future“.

Frau Seifert, Herr Wietz, woher kommt die Idee zu „Wissenschaft fürs Wohnzimmer“?

Seifert: Die Gruppe AWIs4Future wurde von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Alfred-Wegener-Instituts als Regionalgruppe von Scientists4Future gegründet, um die Klimaschutzbewegung Fridays4Future zu unterstützen. Die Politik hat immer wieder gefordert: Lasst mal die Expertinnen und Experten reden, und das sind wir. Wir forschen alle irgendwie im Zusammenhang zum Thema Klimawandel und wollen unser Wissen mit der Öffentlichkeit teilen. So haben wir letztes Jahr schon angefangen, Vorträge zu halten und bei den Demonstrationen über unsere Forschung zu sprechen, und dann kam Corona. Wir haben uns dann gleich entschlossen ein Streamingformat aufzusetzen, auch um zu zeigen, dass wir abends ganz normal im Wohnzimmer sitzen und durch den „gemeinsamen Feierabend“ an die Menschen heranrücken – ähnlich zum Kneipenformat „Science Goes Public“.

Wie läuft eine Folge „Wissenschaft fürs Wohnzimmer“ ab?

Miriam Seifert ist Meeresbiologin und Doktorandin am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Dort arbeitet sie mit einem biogeochemischen Ozeanmodell an der Simulation von marinem Algenwachstum und wie dieses vom Klimawandel beeinflusst wird. Foto: privat

Seifert: Einmal pro Woche laden wir die Leute im Livestream in unsere Wohnzimmer ein und sprechen über unsere Forschung. Zu sehen sind dabei immer vier bis fünf Forscherinnen und Forscher von denen ein bis zwei einen Vortrag halten sowie zwei bis drei zur Moderation und Diskussion. 20.30 Uhr hat sich dabei als gute Zeit erwiesen, weil die Leute dann auch zu Hause sind und wir sie wiederum in ihren Wohnzimmern erreichen. Es gibt immer eine Präsentation von etwa 30 Minuten, im Anschluss eine Diskussion und im ganzen Verlauf beantworten wir Fragen. Die kann jeder direkt über die Chatfunktion stellen, die es im Livemodus bei Youtube gibt. So wollen wir alle Fragen des Publikums direkt beantworten.

Wen möchten Sie mit dem Format erreichen?

Wietz: Am liebsten möchten wir natürlich diejenigen erreichen, die noch nicht so den Bezug zur Wissenschaft haben und vielleicht skeptisch sind, weil sie nicht wissen, was wir genau machen. Darum laden wir auch nicht in unser Büro, sondern ins Wohnzimmer ein, zu einem Gespräch in lockerer Atmosphäre. Wir setzen unsere Vorträge bewusst so auf, dass sie für alle verständlich sind. Trotzdem erreichen wir natürlich primär Leute, die sowieso an den Themen Klimawandel und Umwelt interessiert sind.

Wie wird das Format bisher angenommen?

Matthias Wietz ist Meeresbiologe mit Schwerpunkt Marine Mikrobiologie am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Max-Planck-Institut Bremen. Matthias erforscht, wie sich mikrobielle Gemeinschaften in der Arktis über die Jahreszeiten und Jahre verändern, und welche Rolle der Klimawandel dabei spielt. Foto: privat

Wietz: Zahlenmäßig hatten wir am Anfang rund 80 Zuschauerinnen und Zuschauern im Livestream. Jetzt, wo alle wieder mehr unterwegs sind, liegen wir bei etwa 50 Personen live. Dazu kommen aber noch diejenigen, die das Video dann im Nachhinein anschauen. Nach etwa zwei Monaten liegen die Abrufe der Videos bei etwa 300 bis 500. Das finden wir schon richtig gut.

Seifert: Vor allem die Abrufe im Nachhinein motivieren uns auch weiterzumachen. Das bedeutet ja, dass die Themen relevant sind und online kontinuierlich abgerufen werden. Auch im Chat bekommen wir immer wieder positive Rückmeldungen zu den Vorträgen.

Wer ist alles an einer Folge beteiligt – vor und hinter den Kulissen?

Wietz: Wir sind ein etwa zehnköpfiges Projektteam und jede Folge wird von vier bis fünf Leuten begleitet. Eine oder einer von uns organisiert die Verlinkung zu Youtube und startet den Stream. Parallel zum Vortrag und der Diskussion organisieren wir im internen Chat die Beantwortung der Fragen und wohin die Moderation als Nächstes gehen soll. Das ist sehr hilfreich und die Leute bekommen das gar nicht unbedingt mit. Unser Team besteht aus Leuten von AWIs4Future  sowie weiteren Expertinnen und Experten vom AWI oder auch von anderen Instituten. Wir sind gut vernetzt und wollen in Zukunft auch noch mehr Leute von anderen Institutionen einbinden.

Welche Tipps würden Sie anderen Forschenden für ähnliche Projekte mitgeben?

Seifert: Der erste Tipp ist: Wenn man eine Idee hat, einfach machen. Und die lockeren Diskussionsrunden kommen als Format auch sehr gut an. Also lieber weniger steife Vorträge und mehr offene Gespräche. Außerdem kommen ansprechende Fotos in den Präsentationen immer sehr gut an. Da haben wir in den AWI-Projekten den Vorteil, dass wir da auf einen großen Pool zurückgreifen können.

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Werdet ihr von der Kommunikationsabteilung am AWI bei dem Projekt unterstützt?

Seifert: Eigentlich organisieren wir das Projekt komplett autark, sowohl inhaltlich als auch technisch. Trotzdem haben wir hier und da mal nachgefragt. Die Kolleginnen und Kollegen aus der Kommunikationsabteilung sind auch privat an AWIs4Future interessiert und so haben wir die Möglichkeit, sie jederzeit anzusprechen.

Wietz: Trotzdem ist wichtig, dass wir eine eigenständige Gruppe sind und nicht für das AWI allgemein sprechen. Wir sind zwar alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, agieren jedoch als Privatpersonen, weil sich das Institut politisch nicht äußern kann. Indirekt bekommen wir jedoch viel Zuspruch für die Gruppe und auch das Projekt – von den Kolleginnen und Kollegen bis hin zur Institutsleitung.

Sehen Sie sich denn selbst als politische Gruppe?

Wietz: Da sind wir auch innerhalb von AWIs4Future noch mitten in der Diskussion, wie politisch wir sein möchten und welche Aktionen wir unterstützen. Einige sind sehr politisch und zum Beispiel auch bei Extinction Rebellion aktiv. Mögliche Aktionen des zivilen Ungehorsams geschehen aber als persönliche Initiative und nicht im Namen von AWIs4Future.

Seifert: Wir sind auf jeden Fall eine Regionalgruppe von Scientists4Future und weil die sich politisch positionieren, sind wir auch ein Stück weit politisch. Da unterstützen wir dann zum Beispiel wissenschaftsbasierte Petitionen, sind auf Demos unterwegs oder diskutieren eben jetzt im Wohnzimmer.