Die Robert-Bosch-Stiftung hat mit „Mensch Wissenschaft!“ ein zweitägiges Dialogformat für Hochschulen entwickelt. Dazu gibt es jetzt einen detaillierten Leitfaden, der zusammenfasst, wie es funktioniert, wofür man es einsetzen kann und welchen Nutzen es hat. Ein Ausblick darauf im Interview.
„Ein Modellformat für die Third Mission“
Frau Kessel, die Robert-Bosch-Stiftung hat heute den Leitfaden zum Projekt „Mensch Wissenschaft! Miteinander reden, voneinander lernen“ veröffentlicht. Worum geht es dabei genau?
Kessel: „Mensch Wissenschaft!“ sind zwei halbe Tage, an denen Bürgerinnen und Bürger mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf Augenhöhe ins Gespräch kommen. Die Veranstaltung mit Formaten wie Gesprächsrunden, Vorträgen und Workshops haben wir zweimal durchgeführt und daraus ein Rezept oder einen Baukasten für Dialogprojekte formuliert, den wir jetzt in einem Leitfaden veröffentlicht haben. Dieser soll vor allem Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen als Vorlage dienen, um Veranstaltungen dieser Art durchzuführen.
Woher kam die Idee für das Projekt und was sind die Ziele?
Kessel: Wir gehen bei der Robert-Bosch-Stiftung von der Annahme aus, dass Wissenschaft vor allem dann eine Wirkung in der Gesellschaft entfaltet, wenn gegenseitiges Vertrauen besteht. Und dazu gehört nicht nur, wissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln, sondern auch Wissen über Wissenschaft selbst – und auch die Sicht der Gesellschaft an die Wissenschaft zurückzuspielen. Dafür haben wir verschiedene Pilotprojekte gefördert und eins davon war „Mensch Wissenschaft!“. Wir wollten überprüfen, was dabei gut funktioniert, und haben vor, während und nach der Veranstaltung die Teilnehmenden befragt. Was wir dabei gelernt haben, wollen wir nun auch anderen zur Verfügung stellen.
Wer steckt hinter dem Projekt?
Kessel: Zum einen das Team von der Robert-Bosch-Stiftung, zum anderen haben wir eine Menge Menschen dazugeholt, die uns geholfen haben: eine Agentur für Marketing und Kommunikation, ein Institut für Kommunikation und Analyse, ein Meinungsforschungsinstitut. Bei der zweiten Veranstaltung in Stuttgart haben wir dann auch die beiden Universitäten mit eingebunden. Da sind schon einige Leute zusammengekommen.
Herr Bäumer, was war dabei Ihre Rolle als Wissenschaftler?
Bäumer: Ich habe einen Schwerpunkt beigesteuert: das Thema Radfahren in Stuttgart. Dabei habe ich zuerst einen kurzen Vortrag von zwanzig Minuten gehalten und dann Fragen ans Publikum gestellt, etwa, ob sie das relevant finden oder wo sie weiteren Forschungsbedarf sehen. Dabei wusste ich gar nicht, wer davon vielleicht Kollege oder Kollegin aus der Wissenschaft ist. Außerdem habe ich an den anderen Gruppen- und Gesprächsrunden teilgenommen.
Wie haben Sie diese Gespräche erlebt?
Bäumer: Nach einer Aufwärmphase zeigte das Publikum sehr großes Interesse und stieg ernsthaft in die Forschungsfragen ein, um weitere Impulse zu geben. Es war also weniger wie eine Lehrveranstaltung, bei der ich etwas erzähle und die anderen etwas lernen, sondern ein offener Dialog. Dabei gab es auch kritische Stimmen, die neue Standpunkte eingebracht oder meine Forschung hinterfragt haben. Das war auch ganz anders als bei einer wissenschaftlichen Konferenz, wo man meist wohlwollende Neutralität oder auch Zustimmung von Fachkolleginnen und -kollegen bekommt. Natürlich war hier eine gewisse Verzerrung drin, weil die Leute sich das Schwerpunktthema selbst aussuchen konnten und somit das Thema Radfahren in Stuttgart auch meist eher positiv gesehen haben, aber eben auch Kritikpunkte hatten.
Was sind die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Prozess?
Bäumer: Für meine Forschung habe ich konkrete Hinweise bekommen, wo es in Stuttgart im Bereich Radfahren noch hakt. Im Anschluss habe ich dann einen Kontakt zum Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club aufgebaut, um weiteres Feedback zu bekommen. Außerdem wollten wir mit einigen Teilnehmenden eine Art Stammtisch organisieren, um an dem Thema dranzubleiben. Das ist jetzt durch Corona aber erstmal nicht passiert.
Was hat denn organisatorisch gut funktioniert und was eher nicht?
Kessel: Wir haben „Mensch Wissenschaft!“ zweimal durchgeführt und dabei schon von der Veranstaltung in Essen gelernt und manches in Stuttgart anders gemacht. Beispielsweise haben wir in Essen mit einem allgemeineren Format angefangen und in Stuttgart gleich mit den Themenworkshops. Das hat viel besser geklappt, weil man zu einem konkreten Thema besser ins Gespräch kommt und dann im Anschluss auch besser auf der Metaebene diskutieren kann. Etwa über Wissenschaftsfreiheit, Finanzierung oder Glaubwürdigkeit. In Essen haben wir außerdem zuerst die Forschenden und die anderen Bürgerinnen und Bürger untereinander sprechen lassen, bevor es gemeinsame Workshops gab. Das haben wir in Stuttgart nicht mehr gemacht, weil es überhaupt keinen Mehrwert gebracht hat. Außerdem nehmen wir viele Details mit, etwa, keine Titel auf die Namensschilder zu schreiben, um nicht gleich zu verraten, in welcher Rolle jemand teilnimmt. Sinnvoll ist auch, die Kleingruppen immer wieder neu zu bilden, damit sich verschiedene Perspektiven begegnen. Oder dass man genug Pausen lässt, damit auch Raum für private Gespräche außerhalb der Gruppen bleibt, etwa am Kaffeetisch
Bäumer: Wichtig ist auch eine gute Moderation. Zum Beispiel war die Rollenverteilung zu Beginn der Schwerpunktgruppe nicht so ganz klar und es hilft zu wissen, wer die Führung übernimmt. Schön wäre auch gewesen, Fragen der Teilnehmenden im Vorfeld zu haben, um sich besser darauf vorbereiten zu können. Gut war dagegen zum Beispiel eine kurze Stillarbeit nach dem Vortrag, damit auch die Leiseren im Publikum ihre Gedanken sammeln können, bevor die Schnellsprecher loslegen. Und auch das gesamte Setting mit einladenden Räumen und den verschiedenen Gesprächskonstellationen hat für mich sehr gut funktioniert. Durch den schnellen Wechsel der Gruppen mit kleinen Aufgaben konnte man innerhalb kürzester Zeit jede Person ansprechen. Schön war auch, dass die Teilnehmenden selbst ihre Ergebnisse dann wieder im Plenum vorgestellt haben.
Wie haben Sie die Teilnehmenden für das Projekt gewonnen?
Kessel: In Essen haben wir die Forschenden direkt angeschrieben. In Stuttgart sind wir dann über die Hochschule gegangen und das hat besser geklappt. So war klar, dass das Rektorat das Projekt auch unterstützt. Für die anderen Teilnehmenden sind wir erstmals über ein Meinungsforschungsinstitut gegangen, das die Personen telefonisch kontaktiert und als Anreiz eine kleine Aufwandsentschädigung angeboten hat. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, in Fußgängerzonen oder über Vereine Menschen anzusprechen. Da hätten wir dann statt dem finanziellen einen hohen personellen Aufwand gehabt. Das mussten wir abwägen.
Bäumer: In beiden Fällen erreicht man ja eigentlich nur Personen, die der Wissenschaft ohnehin aufgeschlossen gegenüber stehen. Hier frage ich mich, wie man vielleicht noch andere Gruppen erreichen kann und ob das überhaupt für so ein Format sinnvoll ist.
Kessel: Was man auch noch verbessern könnte, wäre, Vermittlerinnen und Vermittler aus Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation dazuzuholen. Sie haben eine wichtige Rolle an der Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft und könnten bestimmt auch bei diesem Format die Diskussionen gut unterstützen.
Welche Tipps würden Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen für ein solches Format mitgeben?
Bäumer: Man sollte sich Gedanken über die Zielgruppe machen und welche Fragen sie vielleicht haben. Es ist nicht so zielführend, einfach zu referieren und alles zu erklären, was man macht. Gut ist auch, sich Fragen zu überlegen, die man an die Teilnehmenden hat, und wie man die Diskussion starten kann, etwa durch kontroverse Thesen. So habe ich sehr gute Gespräche geführt, viel wohlwollendes Interesse erfahren und gemerkt, dass mein Forschungsthema selbst wertgeschätzt wird. Das hat mich sehr motiviert und ich würde auf jeden Fall wieder an einem solchen Format teilnehmen. Schwierig wird es wohl aber bei abstrakteren Themen oder der Grundlagenforschung. Da muss man abwägen, ob sich das Format überhaupt lohnt.
Kessel: Viele praktische Erkenntnisse haben wir in dem Leitfaden zu „Mensch Wissenschaft!“ schon aufgeschrieben. Insgesamt lohnt es sich sehr, um die eigene Institution noch mehr mit der Öffentlichkeit, vor allem auch lokal und regional, in Kontakt zu bringen. Es ist ein Modellformat für die Third Mission einer Hochschule und kann diese stärken. Ein Knackpunkt ist, dass das Format mit zwei halben Tagen sehr umfassend ist. Das Feedback zeigt aber, dass die Länge möglich und auch nötig ist, wenn man wirklich ins Gespräch einsteigen möchte und es sich an einem Freitagnachmittag und Samstagmorgen auch mit Berufstätigen gut machen lässt.