Welchen Einfluss hat die Pressearbeit von Hochschulen auf die Berichterstattung über Wissenschaft? Die Kommunikationswissenschaftler Mike S. Schäfer und Daniel Vogler haben das in einer neuen Studie für die Schweiz untersucht. Im Interview erläutern sie ihre Ergebnisse.
Wie viel Pressetext steckt im Wissenschaftsjournalismus?
Herr Schäfer, Herr Vogler, Sie haben in einer neuen Studie untersucht, wie stark der Einfluss von Pressemitteilungen über Wissenschaft auf journalistische Beiträge ist. Warum haben Sie sich mit dem Thema auseinandergesetzt?
Schäfer: Es gibt seit einiger Zeit zwei Entwicklungen, die uns zu denken geben. Zum einen sehen wir eine generelle, strukturelle Krise des Journalismus, in Deutschland genauso wie in der Schweiz und anderen Ländern: Ressourcen schwinden, Formate werden eingestellt oder Redaktionen verkleinert. Deshalb müssen immer weniger Journalistinnen und Journalisten einen immer größeren Output leisten. Dieses Problem trifft stark spezialisierte Ressorts, zu denen auch der Wissenschaftsjournalismus gehört, besonders. Auf der anderen Seite erweitern und professionalisieren wissenschaftliche Einrichtungen seit Jahren ihre strategische Kommunikation. Das Kräfteverhältnis zwischen Wissenschafts-PR und Journalismus verschiebt sich also. Darüber wird seit längerem diskutiert, und unter Stichworten wie „Copy-und-paste-Journalismus“ oder „Churnalism“ wird gemutmaßt, dass als Resultat dieser Verschiebung mehr PR-Inhalte vom Journalismus übernommen werden. Es gibt aber bislang kaum belastbare, längsschnittliche Daten dazu, ob sich das wirklich in der Berichterstattung niederschlägt.
Wie haben Sie das empirisch untersucht?
Vogler: Wir haben uns angesehen, in welchem Umfang Pressemitteilungen – die in der Schweiz auch Medienmitteilungen heißen – in die journalistische Berichterstattung Eingang finden. Dafür haben wir sämtliche Medienmitteilungen der Universität Zürich in den Jahren 2003 bis 2017 mit allen Beiträgen verglichen, die im selben Zeitraum in vier Schweizer Zeitungen erschienen sind und in denen die Uni Zürich erwähnt wurde – in der NZZ, im Blick, dem Tages-Anzeiger und der Sonntagszeitung. Konkret haben wir analysiert, wie viel wörtliche Überschneidung es zwischen den Medienmitteilungen und den journalistischen Artikeln gab. Für dieses automatisierte Verfahren werden alle Texte in Bausteine aus drei Wörtern aufgeteilt und diese miteinander verglichen. Nach demselben Prinzip arbeiten zum Beispiel Plagiats-Programme, mit denen man sehen kann, welche Passagen eines Texts wörtlich aus anderen Werken übernommen wurden. Wir konnten also für jeden Medienbeitrag zeigen, ob und wie stark er auf Inhalten von Pressemitteilungen basiert. Zusätzlich haben wir eine Stichprobe von 2000 Medienbeiträgen manuell untersucht und unter anderem erfasst, ob die Universität Zürich darin positiv oder negativ bewertet wird.
Was war das Ergebnis: In welchem Ausmaß übernehmen Redaktionen den Text aus Pressemitteilungen?
Schäfer: Zunächst einmal war auffällig, dass die Sichtbarkeit der Universität Zürich im untersuchten Zeitraum zugenommen hat. Das heißt, der Anteil der Zeitungsartikel, in denen die Universität überhaupt erwähnt wurde, stieg zwischen 2003 und 2017 an. Und tatsächlich fanden wir auch einen Trend hin zu einer größeren textlichen Übereinstimmung zwischen Medienmitteilungen und Zeitungsartikeln. Der Anteil der Zeitungsberichte, in denen Teile von Pressetexten unverändert übernommen werden, ist also gestiegen. Außerdem können wir zeigen, dass die Universität in den Beiträgen, die auf Medienmitteilungen zurück gehen, signifikant positiver dargestellt wird als in anderen Beiträgen. Was zudem interessant war: Die Zahl der von der Universität verschickten Medienmitteilungen ist ebenfalls gewachsen, sogar in noch größerem Ausmaß als der Einfluss auf die Medientexte. Will sagen: Die Effizienz einzelner Medienmitteilungen hat abgenommen, insgesamt ist ihre Wirkung aber gestiegen.
Was ist, wenn die PR-Texte leicht umgestellt wurden?
Vogler: Wir konnten mit unserer Methode nur exakte Übereinstimmungen von Textstellen nachweisen. Meist waren das einzelne Sätze oder Formulierungen, fast nie die komplette Medienmitteilung. Wenn Redaktionen den Pressetext stark umformuliert oder den Inhalt mit anderen Worten widergegeben haben, konnten wir das mit unserem Verfahren nicht erkennen. Wir sehen demnach nur die Spitze des Eisbergs, nämlich Fälle von wörtlicher Übernahme von Inhalten der Medienmitteilung. Es gibt natürlich noch viele weitere Arten der PR-Arbeit, zum Beispiel persönliche Treffen zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Medien und der Kommunikationsabteilungen. Deren Einfluss konnten wir in dieser Studie nicht abbilden.
Vogler: Überrascht hat uns, dass in der Boulevardzeitung Blick der PR-Einfluss am geringsten war. Am höchsten dagegen war sie beim Tages-Anzeiger, bei dem man von einer mittleren journalistischen Qualität ausgehen würde. Wir interpretieren das so, dass der Boulevard nicht das Zielmedium der Hochschulkommunikation ist und ja in der Regel auch kein ausgeprägtes Wissenschaftsressort hat, das er befüllen muss. Es könnte deshalb sein, dass der Einfluss der Kommunikationsabteilungen auf Tageszeitungen von mittlerer Qualität am größten ist. Denn diese betreiben klassischen Wissenschaftsjournalismus, haben dafür aber weniger Ressourcen zur Verfügung als ein Leitmedium wie die NZZ oder eine wöchentlich erscheinende Zeitung wie die Sonntagszeitung.
Sind die Pressemeldungen vielleicht im untersuchten Zeitraum qualitativ besser geworden oder berücksichtigen nun eher die Bedürfnisse der Journalisten, was den Trend ebenfalls erklären könnte?
Schäfer: Sicher bringt es die zunehmende Professionalisierung der Hochschulkommunikation mit sich, dass die Medienabteilungen immer besseres Material liefern. Mittlerweile haben viele, die dort arbeiten, vorher selbst Erfahrungen im Journalismus gesammelt, und können daher den Redaktionen gut passende Textvorlagen anbieten. Und solche Übernahmen sind sicher nicht in jedem Fall problematisch. Wenn es nur darum geht, mal schnell die Methodik einer komplizierten Studie aus der Pressemeldung zu übernehmen, ist das aus meiner Sicht kein Drama. Man sollte aber nicht vergessen, dass die Hochschulkommunikation unter anderem das Ziel verfolgt, die eigene Organisation positiv darzustellen – was völlig okay ist, das ist ihre Aufgabe. Aber deshalb werden in einer Medienmitteilungen Entwicklungen oder Forschungsergebnisse der eigenen Hochschule systematisch weniger kritisch dargestellt, als es im Journalismus der Fall sein sollte.
Sie haben nur die Pressearbeit der Universität Zürich untersucht. Sind die Ergebnisse denn auf andere, auch kleinere Hochschulen übertragbar?
Schäfer: Die Kommunikationsabteilungen von Hochschulen in Deutschland und auch der Schweiz produzieren mehr Medienmitteilungen – das zeigen auch andere Studien. Dieses Ergebnis lässt sich demnach verallgemeinern. Viele Indikatoren sprechen zudem dafür, dass das nicht nur für große Volluniversitäten wie die Universität Zürich gilt, sondern auch für kleinere Hochschulen und andere wissenschaftliche Einrichtungen. Wir würden aufgrund der aktuellen Ergebnisse vermuten, dass der Einfluss auch anderer Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf den Journalismus gestiegen ist, wenn auch bei ihnen vielleicht andere Medien im Fokus stehen, etwa Regionalzeitungen. Insofern vermuten wir, dass unsere Befunde kein Einzelfall, sondern Symptom eines umfassenderen Trends sind.