Eignet sich Storytelling als Werkzeug in der Klimabildung? Im Gastbeitrag befasst sich die Umweltwissenschaftlerin und Buchautorin Denise Müller-Dum mit der Frage, wie Geschichten die Kommunikation rund um das Thema Klimawandel bereichern können.
Storytelling in der Klimabildung
Ende vergangenen Jahres machte Italien Schlagzeilen mit der Ankündigung, das Thema Klimawandel in den Schulunterricht zu integrieren. Tatsächlich gibt es in vielen Ländern im Rahmen der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) Bestrebungen dieser Art, so auch in Deutschland. In der UNESCO-Roadmap zur Umsetzung des Weltaktionsprogramms BNE heißt es: „Eine nachhaltige Entwicklung erfordert eine Änderung unserer Denk- und Handlungsweisen. Bildung spielt für diese Veränderung eine entscheidende Rolle.“ Klimabildung ist also nicht nur Wissensvermittlung, sondern sie will Menschen auch dazu bringen, ihr Verhalten zu ändern. Natürlich sollen Kinder und Erwachsene Ursachen und Auswirkungen der globalen Erwärmung kennen und verstehen. Auch glaubt eine erschreckende Zahl von Leuten immer noch nicht an einen menschengemachten Klimawandel. Hier Klarheit über den Stand der Forschung zu schaffen, ist sicherlich eine Aufgabe von Bildung. Eine weitere ist es, wissenschaftlich fundierte Ideen zu einer nachhaltigen Lebensweise zu vermitteln und Menschen zu motivieren, diese umzusetzen. Gesucht ist also ein Werkzeug, das unser Faktenwissen über den Klimawandel in Handlungen verwandelt. Storytelling, also das Geschichtenerzählen, könnte dieses Werkzeug sein.
Engagierte Literatur verändert das Verhalten
Dass Autorinnen und Autoren durch ihr Schreiben Ungerechtigkeiten in der Welt enthüllen und die Lesenden zu Taten motivieren wollen, behauptete schon Jean-Paul Sartre in seinem Essay „Was ist Literatur?“ von 1947. Er sprach von engagierter Literatur. Eine der großen Ungerechtigkeiten unserer Zeit ist der Klimawandel. Dass wir moralisch dazu verpflichtet sind, etwas gegen ihn zu tun, haben Philosophinnen und Philosophen unterschiedlichster Schulen längst überzeugend argumentiert. Die Politik und die Bevölkerung fordern mehrheitlich, es müsse sich etwas ändern. Doch passiert ist bislang wenig. Warum eigentlich?
Eine moralische Pflicht anzuerkennen heißt noch nicht, dass man sie auch wahrnimmt – das stellt der Moralphilosoph Dieter Birnbacher in seinem Buch „Klimaethik“ klar. Es brauche zusätzliche Anreize. Beim Klimawandel gibt es aber vor allem Erschwernisse: Er betrifft erstens Menschen, die wir größtenteils nicht kennen, und zweitens in Zukunft Lebende, die wir nicht kennen können. Es liegen also räumliche und zeitliche Entfernungen zwischen uns und denjenigen, die von unseren Maßnahmen gegen die Erwärmung profitieren würden. Und obwohl Forschende den Klimawandel bereits heute für bestimmte Wetterereignisse (wie zum Beispiel Dürren) verantwortlich machen, bleibt er alles in allem ziemlich abstrakt. Birnbacher schreibt, die Risiken „[…] appellieren eher an den kalten Verstand als an das Herz“1. Auch Bestseller-Autor Jonathan Safran Foer argumentiert, das Wissen um den Klimawandel allein rufe keine echten Emotionen hervor. Das sei ein Problem, denn: „Fakten allein genügen ganz eindeutig nicht, um uns zu mobilisieren2.“
Wie kann eine emotionale Anbindung ans Thema Klimawandel gelingen?
Kann Storytelling die emotionale Anbindung schaffen? Emotionalisierung gilt als ein zentrales Charakteristikum des Geschichtenerzählens. Sie schafft Anreiz, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, erleichtert Verständnis und Aufnahmebereitschaft und hilft Inhalten ins Langzeitgedächtnis. Vor allem könnte sie aber die genannten Motivationshindernisse überbrücken: Abstraktheit sowie räumliche und zeitliche Distanz zu den Betroffenen. Die übermittelten Fakten mögen in ihrer Zahl geringer und möglicherweise weniger akkurat sein. Aber eine Erzählung schafft Identifikationsmomente. Sie gibt uns das Gefühl, die Betroffenen zu kennen – selbst dann, wenn sie fiktiv sind –, und versetzt uns in ihre Situation. Deswegen sollten wir Fakten zum Klimawandel nicht nur auftischen, sondern sie erzählen.
Doch nicht alle Geschichten sind gleichermaßen geeignet. Wer eine (gute) Story hört, taucht darin ein, fiebert mit. Diesem Effekt (narrative transportation) verdanken Geschichten ihre Überzeugungskraft. Sie verliert sich, wenn die Überzeugungsabsichten zu offensichtlich sind. Dann erkennt das Publikum die Geschichte als manipulativ.
Wie räumliche und zeitliche Distanzen schrumpfen
Es braucht authentische Identifikationsfiguren, mitreißende Erzählstränge und vielleicht schadet hier und da sogar eine dezente Prise Humor nicht. Eine gelungene Erzählung kann dokumentarisch sein: Sie kann Protagonistinnen oder Protagonisten wählen, die bereits heute unter der globalen Erwärmung leiden. So geschieht es beispielsweise in dem Bildband „Schicksale des Klimawandels“ von Mathias Braschler und Monika Fischer, der Porträts vom Klimawandel betroffener Menschen zeigt und sie in wenigen Sätzen ihre Geschichte erzählen lässt. So kann räumliche Distanz gefühlsmäßig schrumpfen.
Auch Fiktion ist erlaubt. Sie ist sogar notwendig! Zwar sind die Auswirkungen des Klimawandels schon heute zu spüren, doch es geht vor allem um Veränderungen, die in der Zukunft liegen. Um diese zeitliche Distanz zu überbrücken, dürfen – müssen – Autorinnen und Autoren Figuren und Situationen erschaffen, die ausgedacht sind. Zu hören, dass in Südeuropa Wasser in Zukunft knapp sein wird, berührt uns nicht. Von der Flucht eines Vaters vor Dürre im Jahr 2041 zu lesen, wie in Maja Lundes Roman „Die Geschichte des Wassers“, schon. So lässt uns Storytelling mit der zukünftigen Generation mitfühlen. Das kann Verbindlichkeit erzeugen.
Vorbilder und echte Helden durch Storytelling in die Welt bringen
Doch Storytelling dürfte in der Klimabildung nicht nur über die Empathie mit Betroffenen funktionieren. „Das Ziel, den Klimawandel zu verhindern, wird auf Dauer nicht ausreichen“, sagt Medienforscher Jens Wolling. Um Menschen zum Handeln zu mobilisieren, brauche es erstrebenswerte, positive Ziele. Umweltpsychologe Torsten Grothmann spricht auch von Vorbildern, denen sich die Klimakommunikation viel stärker widmen müsse. Wie aber kommen solche Utopien und Vorbilder in die Welt?
Durch Storytelling! Diese Idee steckt beispielsweise hinter dem Schreibwettbewerb „Zukunftschreiben statt Schwarzmalen“. Hier suchte der Verein Zukunftsschreiben Anfang 2020 explizit solche Geschichten über den Klimawandel, deren Hautpersonen Heldinnen und Helden sind, mit denen Kinder sich identifizieren können und denen sie nacheifern wollen. Das Format könnte durchaus geeignet sein, Denk- und Verhaltensweisen zu beeinflussen. Reale Beispiele, echte Helden, zu denen wir aufsehen können, funktionieren natürlich auch, denn: „[…] die Bewunderung ist ein Versprechen der Nacheiferung […]“, so schrieb Sartre.
Storytelling wirkt aber nicht nur bei der Leserschaft. Es wirkt auch bei den Autorinnen und Autoren. Deswegen sollen beispielsweise Schülerinnen und Schüler ruhig selbst mal recherchieren und erzählen. Dieser Prozess schafft eine noch engere emotionale Bindung zum Thema und mobilisiert zum Handeln, allein um der eigenen Glaubwürdigkeit willen. Dass sich besonders die jungen Menschen engagieren möchten, zeigt die Fridays-for-Future-Bewegung.
In der Klimabildung auf engagierte Literatur setzen
Klimabildung ist wichtig. Doch sie darf nicht nur als Selbstzweck geschehen. Ihr Ziel ist es erklärtermaßen, junge und erwachsene Menschen dazu zu inspirieren, nachhaltiger zu leben. Fakten allein werden nicht ausreichen, um sie davon zu überzeugen. Storytelling ist ein wirksames und sogar notwendiges Werkzeug, um das Thema Klimawandel zu emotionalisieren, um räumliche und zeitliche Distanzen zu verkleinern sowie Vorbilder und Utopien zu schaffen. Geschichten über den Klimawandel gehören zur engagierten Literatur unserer Zeit. Vielleicht können wir uns mit ihrer Hilfe endlich aus unserer Lethargie befreien und nachhaltige Entwicklung verwirklichen.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.