Sind lockere Formate wie Science-Slams dazu geeignet, Wissenschaft zu vermitteln? Kommt darauf an, welche Wirkung man erzielen möchte, sagt der Medienwissenschaftler Philipp Niemann. Die Forschung seiner Arbeitsgruppe zeigt: Sachliche Information ist für das Slam-Publikum fast genauso wichtig wie Zerstreuung.
Mehr als Unterhaltung
Herr Niemann, in einer kürzlich erschienenen Studie berichten Sie gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen über die Wirkung von Science-Slams auf das Publikum. Warum haben Sie sich dazu entschieden, diese Vortragsform wissenschaftlich zu untersuchen?
Seit Ende 2015 gibt es das Projekt „Science In Presentations“, das vom Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation und dem Karlsruher Institut für Technologie* umgesetzt wird, gefördert von der Klaus Tschira Stiftung. Darin analysieren wir verschiedene Arten von Präsentationen, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler öffentlich über ihre Forschung kommunizieren. Science-Slams haben uns unter anderem deshalb interessiert, weil sie den erklärten Anspruch haben, das Publikum zu unterhalten – anders etwa als klassische Formen wie öffentliche Vorlesungen oder andere Vorträge. Und weil sie sehr erfolgreich sind: In Deutschland gibt es mittlerweile mehr als 50 Veranstaltungsreihen für Science-Slams.
Was genau kennzeichnet einen Science-Slam im Vergleich zu anderen Präsentationsformen?
Ein Science-Slam ist eine Veranstaltung mit mehreren Vorträgen, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – meistens Nachwuchsforschende – über ihre eigene Arbeit sprechen. Die Vorgaben lauten meistens: Man hat zehn Minuten Zeit, und man soll sowohl wissenschaftlich richtig als auch unterhaltsam präsentieren. Am Ende entscheidet das Publikum, welcher Vortrag ihm am besten gefallen hat, beispielsweise durch Klatschen oder die Vergabe von Punkten.
Sie haben vor allem untersucht, ob Vergnügen oder Wissenserwerb bei einem Science-Slam im Vordergrund stehen. Warum ist das wichtig?
Es gibt eine sehr alte Diskussion darüber, ob Unterhaltung zur Vermittlung von wissenschaftlichen Inhalten geeignet ist oder diese eher behindert. Gerade unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selbst findet man oft noch die Meinung, populäre Formen wie Science-Slams seien ja vielleicht ganz nett, könnten aber inhaltlich nichts Relevantes rüberbingen. Empirisch ist das aber eine noch offene Frage.
Wie haben Sie versucht, Licht ins Dunkel zu bringen?
Zunächst haben Laura Bittner, Christiane Hauser, Philipp Schrögel und ich das Publikum bei verschiedenen Science-Slam-Veranstaltungen befragt: bei einer Deutschen Meisterschaft, bei einer Best-of-Veranstaltung mit bekannten Slammerinnen und Slammern und bei einem „normalen“ Slam in Karlsruhe. Wir wollten von den über 400 Befragten unter anderem wissen, warum sie zu einer solchen Veranstaltung gekommen waren. Tatsächlich war der Wunsch, unterhalten zu werden, am stärksten ausgeprägt – sogar noch etwas stärker als bei vergleichbaren Events wie dem Fame-Lab oder TEDx-Vorträgen. Die zweitwichtigste Motivation war aber das Interesse an Wissenschaft. Dieses nannten vier von fünf Befragten als wichtigen oder sehr wichtigen Grund für ihren Besuch. Rund 60 Prozent sagten außerdem, dass sie etwas Neues lernen wollten. Man kann daher nicht sagen, dass die Leute nur einen netten Zeitvertreib suchen.
Über alle Vorträge in unserer Untersuchung – es waren 20 individuelle Präsentationen – wurde der Unterhaltungswert von 84 Prozent der Befragten als gut oder sehr gut eingeschätzt. Aber der Informationsgehalt wurde ähnlich bewertet: Hier vergaben 72 Prozent die Note gut oder sehr gut. Der Unterschied ist praktisch kaum bedeutend. Das heißt, unterhaltsame Präsentationen können zugleich auch wissenschaftlich gehaltvoll sein.
Zumindest empfanden das die Zuschauenden so – was weiß man denn darüber, ob sie dabei auch wirklich etwas gelernt haben?
Das ist schwierig zu beantworten. Wir haben versucht uns dieser Frage zu nähern, indem wir einige Besucherinnen und Besucher während der Vorträge mit speziellen Brillen ausgestattet haben, die ihre Augenbewegungen aufgezeichnet haben. So konnten wir analysieren, wohin die Teilnehmenden während des Science-Slams geguckt haben: Haben sie auf den Folien etwa die wissenschaftliche Diagramme und Zahlen stärker beachtet, oder lag ihr Augenmerk mehr auf den lustigen, schmückenden Elementen? Hier zeigte sich, dass die wissenschaftlichen Elemente länger fixiert wurden als rein unterhaltende Bestandteile. Sie zogen also die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden stärker an. Das spricht aus unserer Sicht zumindest dafür, dass die Informationsvermittlung tatsächlich eine wichtige Rolle spielt.
Heißt „Hinschauen“ denn gleich, dass man etwas lernt?
Natürlich wissen wir nicht, wo die Personen gerade mit ihren Gedanken waren. Aber visuelle Aufmerksamkeit, das zeigen viele Studien in der Psychologie und Hirnforschung, geht mit einer stärkeren kognitiven Verarbeitung einher. Das heißt, es ist zumindest wahrscheinlich, dass die Versuchspersonen auch über das nachdachten oder das verarbeiteten, worauf sie blickten.
Vielleicht werden die wissenschaftlichen Elemente auch länger angesehen, weil sie weniger verständlich sind?
Das kann ich nicht ausschließen. Wenn ich immer wieder auf etwas starre, etwa auf ein wissenschaftliches Diagramm, kann das daran liegen, dass ich es besonders spannend finde. Aber es könnte auch sein, dass ich die ganze Zeit versuche, es zu verstehen. Schließlich ist wissenschaftlicher Inhalt häufig komplex. Aber selbst in letzterem Fall kann man argumentieren, dass sich die Probandinnen und Probanden immerhin mit diesen Inhalten auseinandergesetzt haben.
Beispiel für einen Science-Slam: Maxi Frei mit ihrem Sieger-Vortrag beim Finale der Deutschen Meisterschaft 2019 in Leipzig.
Wie lautet Ihr Fazit aus dieser Untersuchung?
Auch wenn noch viele Fragen offen sind, so sprechen unsere Daten dafür, dass Unterhaltung und Informationsvermittlung – entgegen der in Teilen der Wissenschaft verbreiteten Vorstellung – durchaus zusammenpassen. Der Begriff „Infotainment“ ist häufig negativ belegt, weil der Schwerpunkt meist auf dem Entertainment liegt. Aber Science-Slams sind aus meiner Sicht ein positives Beispiel dafür, wie man Unterhaltung und die Auseinandersetzung mit Wissenschaft geschickt kombinieren kann. Zumindest zeigen unsere Daten zur Blickbeobachtung, dass die wissenschaftlichen Inhalte in dieser Präsentationsform wahrgenommen werden. Untersuchungen zu Science-Slams aus anderen disziplinären Blickwinkeln kommen übrigens zu ähnlichen Schlussfolgerungen – einige davon haben meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Projekt und ich in einem Herausgeberband versammelt, der im April erschienen ist.
Kritiker könnten dennoch einwenden, dass die wissenschaftlichen Inhalte, die man bei so einem Format aufschnappt, vielleicht gute „Wissenshäppchen“ für den nächsten Small Talk sind, aber nicht das tiefere Verständnis für wissenschaftliche Konzepte und Prozesse fördern?
Das bringt uns zur Frage: Was will man mit Wissenschaftskommunikation eigentlich erreichen? Klar gibt es unterschiedliche Ebenen der Wissenschaftsvermittlung. Ein Biologie-Lehrbuch für die Oberstufe verfolgt da ein anderes Ziel als ein unterhaltsamer Abendvortrag für die Öffentlichkeit. Aber ist das eine per se besser oder schlechter als das andere? Wenn jemand nach einem Science-Slam über ein komplexes physikalisches Thema nach Hause geht und denkt „Physik fand ich in der Schule immer schrecklich, aber eigentlich klang das doch spannend“, dann ändert das vielleicht seine Einstellung dazu, wie wichtig physikalische Grundlagenforschung ist. Ist das dann kein Erfolg von Wissenschaftskommunikation? Ich denke schon. Natürlich muss man sich dieser Auffassung nicht anschließen, aber zumindest müsste die Debatte darüber differenzierter geführt werden.
Obwohl beim Science-Slam ein relativ starker Fokus auf Unterhaltung liegt, ist das Publikum oft sehr gebildet und wissenschaftsaffin. Wie erreicht man damit auch Personen, die weniger Bezug zu Wissenschaft haben?
Unsere Beobachtung ist, dass das Publikum heterogener ist, als man befürchten könnte. Es stimmt, dass das Bildungsniveau eher überdurchschnittlich ist. Aber die Verteilung von Männern und Frauen oder von verschiedenen Altersgruppen ist zum Beispiel recht ausgeglichen, vor allem bei großen Events wie Meisterschaften. Über Sonderformate erreicht man ein noch diverseres Publikum, etwa Slams auf Festivals oder im Rahmen öffentlicher Open-Air-Veranstaltungen. Dafür eignet sich diese Präsentationsform sehr gut. Aber auch das niedrigschwelligste Angebot wird natürlich nur Personen erreichen, die prinzipiell bereit dazu sind, mit Wissenschaft in Berührung zu kommen – sonst kann auch der unterhaltsamste Vortrag wenig ausrichten.
* Das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation und das Karlsruher Institut für Technologie sind zwei der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.