Foto: Martin Sanchez (edit)

Corona-Pandemie: Weshalb sich Forschende öffentlich äußern (1)

Die aktuelle Krise wirft viele Fragen auf. Disziplinen wie etwa die Virologie, Epidemiologie, Psychologie und Soziologie stehen dabei im Fokus und sollen Antworten liefern. Wir wollten von Forschenden wissen, wie sie ihre Rolle wahrnehmen und was in dieser Zeit gute Kommunikation für sie bedeutet.

Wir wollten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wissen, wieso es aus ihrer Sicht wichtig ist, sich in Zeiten von Covid-19 selbst öffentlich zu äußern. Auch haben wir gefragt, was ihrer Meinung nach gute Wissenschaftskommunikation in Krisen wie dieser ausmacht.

Im ersten Teil dieser Statementreihe äußern sich die Medizinerin Sandra Ciesek, der Soziologe Stefan Selke sowie der Psychologe Jürgen Margraf.


Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt sowie Professorin für Medizinische Virologie an der Goethe-Universität

Sandra Ciesek ist Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt sowie Professorin für Medizinische Virologie an der Goethe-Universität. Von 2009 bis 2012 war sie in der Abteilung für Experimentelle Virologie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung tätig. Ab 2011 leitete sie die Arbeitsgruppe Virale Hepatitis an der MHH. Von 2016 an lehrte sie in Hannover und Essen und übernahm die stellvertretende Leitung des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Essen. Seit 2019 ist sie in Frankfurt tätig. Foto: Sandra Ciesek

Kommunikation ist ein wichtiges Element in unserer Gesellschaft. Doch oftmals versteht die Zuhörerin oder der Zuhörer aus den Worten des Sprechenden nicht das, was dieser damit zum Ausdruck bringen möchte. Dies sehen wir in der täglichen Berichterstattung in den Medien, aber zum Teil auch in wissenschaftlichen Broadcasts. Die Wissenschaft ist von diesem Phänomen nicht ausgenommen und aktuell melden sich viele Kolleginnen und Kollegen zu Wort, die teilweise allerdings nur bedingt in dem Themenfeld beheimatet sind. Dabei geben sie zum Teil Hypothesen, Spekulationen, aber auch echte Fakten und Meinungen in einem bunten Mix von sich und erzeugen so manchmal mehr Verwirrung als Klarheit.
Daher halte ich es für wichtig, dass Wissenschaftskommunikation klar und transparent geführt wird – und am besten von solchen wissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen, die sich in dem Themengebiet fundiert auskennen. Zu der Forderung nach Transparenz zählt auch, dass kommuniziert wird, wann es sich um echte oder „vermutete“ Fakten handelt und wann man selbst lieber zu einem Thema schweigen möchte, da man sich in der Tiefe dieses Aspektes nicht ausreichend auskennt.

„Gute Wissenschaftskommunikation in Zeiten von Corona unterscheidet sich nicht von guter Wissenschaftskommunikation in ,normalen Zeiten‘.“ Sandra Ciesek
Gute Wissenschaftskommunikation in Zeiten von Corona unterscheidet sich also nicht von guter Wissenschaftskommunikation in „normalen Zeiten“. Allerdings kommt hinzu, dass es nicht nur um die erwähnte Transparenz und Fachkompetenz geht, sondern auch, dass in Zeiten, die bei vielen Menschen mit Ängsten und Sorgen verbunden sind, abzuwägen ist, welche Gefühle, die ein oder andere Äußerung bewirken kann – ob also gegebenenfalls Ängste unnötig verstärkt oder umgekehrt, eine unberechtigte Sorglosigkeit gefördert wird.


Stefan Selke, Forschungsprofessor für Transformative und Öffentliche Wissenschaft an der Hochschule Furtwangen

Stefan Selke lehrt Soziologie und gesellschaftlichen Wandel an der Hochschule Furtwangen und ist dort zudem Forschungsprofessor für Transformative und Öffentliche Wissenschaft. Selke studierte Luft- und Raumfahrttechnik und promovierte dann in Soziologie. Als disziplinärer Grenzgänger und öffentlicher Soziologe ist Selke als Redner, Buchautor und Blogger sowie Interview- und Gesprächspartner der Medien auch außerhalb der Wissenschaft präsent. Foto: Stefan Selke

Wir erleben gegenwärtig keine Krise, die vorübergeht, sondern eher eine schleichende Mutation der Gesellschaft. Als passionierter Soziologe, der sich mit gesellschaftlichem Wandel beschäftigt, ist es mir wichtig, selbst auf die damit einhergehenden Verunsicherungen bei Bürgerinnen und Bürgern zu reagieren, aber auch Chancen und Gestaltungsoptionen für eine alternative Zukunft aufzuzeigen.
Da ich gegenwärtig zum Thema Utopien forsche, ergeben sich zahlreiche Anknüpfungspunkte für öffentliche Soziologie. Utopien als Haltegriffe für die Zukunft vorzustellen ist wichtig, weil damit ein alternativer sprachlicher und gedanklicher Resonanzraum geschaffen wird. Zudem ist diese Zeit wie geschaffen für pointilistische und essayistische Formate öffentlicher Wissenschaftskommunikation.
Meine Haltung als öffentlicher Soziologie sieht in außerwissenschaftlichen Öffentlichkeiten gleichberechtigte Adressaten für Kommunikationsangebote. Gleichzeitig erfordert ein massiv entgrenztes Problem wie Corona, die Rede von der Öffnung der Wissenschaften endlich ernst zu nehmen und mit „disziplinierter Disziplinlosigkeit“ fachliche Grenzen zu überschreiten. Anstatt Reputationsverluste bei Kolleginnen und Kollegen zu befürchten, sollte durch eine resonanzfähige Sprache, eine erkennbare Haltung sowie die Lust auf Reichweite ein Beitrag zu einer öffentlichen Debattenkultur geleistet werden. Öffentliche Wissenschaft ist keine Notlösung, sondern die Kür!

Gute Wissenschaftskommunikation sollte erstens abgestimmt und kooperativ sein. Im Moment lassen sich jedoch eher vorschnelle Aktivitätszuckungen und disziplinäre Deutungskonkurrenz feststellen. Die Corona-Pandemie wäre vor diesem Hintergrund eine gute Gelegenheit, um aus disziplinären Bunkern zu entkommen und neue Formen der Kooperation und Kollaboration einzuüben.

„Die Corona-Pandemie wäre eine gute Gelegenheit, um aus disziplinären Bunkern zu entkommen und neue Formen der Kooperation und Kollaboration einzuüben.“ Stefan Selke

Zudem würde ich es zweitens begrüßen, wenn Medien auch Vertreterinnen und Vertreter der nächsten akademischen Generation ein erkennbares Recht auf Kommunikation und damit Sichtbarkeit einräumen würden. Wissenschaftskommunikation sollte keine Domäne derer sein, die eine etablierte Sprecherinnen- und Sprecherposition haben. Wissenschaftskommunikation sollte drittens keine Einbahnstraße vom Besserwissenden zur Laiin und zum Laien sein, sondern Möglichkeiten für Dialoge einschließen. Radiosendungen unter Teilnahme der Zuhörenden oder Radiovorlesungen mit Feedbackkanal sind dafür gute Möglichkeiten. Im Kontext von Forschungsprojekten ist es wichtig, Bürgerinnen und Bürger weiterhin zu begleiten. Die Dankbarkeit dafür, in dieser Zeit nicht allein gelassen zu werden, ist groß. Auch die Lust, experimentelle Dialogverfahren zu erproben.


Jürgen Margraf, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum

Jürgen Margraf ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum. Von 1999 bis 2005 war er Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie, von 2012 bis 2014 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Seit 2009 ist Margraf Mitglied der Leopoldina. 2015 wurde er in die Academia Europaea gewählt. Foto: Ruhr-Universität Bochum

Es war eine bewusste Entscheidung zu Beginn der Corona-Krise, sich auch zu diesem Thema zu äußern, sofern psychologische Fragen betroffen waren. Die Psychologie hat der Gesellschaft und der Einzelnen und dem Einzelnen viel zu bieten und es liegt mir am Herzen, dass dieses Wissen auch für die Öffentlichkeit nutzbar gemacht wird. Als Empfänger öffentlicher Gelder halte ich dies für meine Pflicht.

„Gute Wissenschaftskommunikation sollte, falls nötig, die Grenzen zwischen belegtem Wissen und begründeter Extrapolation deutlich machen.“ Jürgen Margraf
Gute Wissenschaftskommunikation sollte in dieser Zeit ebenso wie sonst darauf achten, fundiertes Wissen allgemein verständlich auszudrücken und, falls nötig, die Grenzen zwischen belegtem Wissen und begründeter Extrapolation deutlich zu machen.