Wenn Kinder mit Erwachsenen experimentieren, ist meist alles vorgegeben – sogar das richtige Ergebnis. Warum das mit echter Wissenschaft nur wenig zu tun hat und wie man stattdessen Raum für Kreativität und eigene Fragestellungen schafft, erläutert der Biologe und Wissenschaftskommunikator Christoph Larssen im Interview.
„Es gibt keine misslungenen Experimente, nur unerwartete Ergebnisse“
Herr Larssen, Sie halten viele Arten der Wissenschaftsvermittlung an Kinder für problematisch – was Sie unter anderem auf dem letzten Forum Wissenschaftskommunikation publik gemacht haben. Worin liegt das Problem?
Ich vergleiche das gerne mit dem Kochen. Viele Anleitungen für Kinder zum Experimentieren sind sehr instruktiv und linear. Das Äquivalent dazu in der Küche wären Fix-Produkte für einzelne Gerichte. Da steht hinten genau drauf, welche Zutaten ich noch dazu brauche und was ich damit anstellen muss – fertig. Bei Experimenten für Kinder, sei es in Experimentierkästen oder im traditionellen Schulunterricht, ist oft alles genauso vorgegeben: Die Materialien, der Aufbau, die Durchführung und auch das „richtige“ Ergebnis, das am Ende herauskommen soll. Das hat aber nur wenig mit Wissenschaft zu tun. Mit Tütensuppen lernt man auch nicht Kochen.
Wie könnte man es besser machen?
Es kommt einfach nur selten eine pädagogische Fachkraft auf die Idee, zu sagen: „Nimm mal dieses und jenes und dann guck einfach mal, was passiert!“ Und das ohne eine vorgegebene Lösung, die irgendwo kleingedruckt steht und mit der man sozusagen spicken kann.
Aber sind in der Forschung Experimente nicht auch oft genau geplant und sollen ein bestimmtes Ergebnis bringen, um eine Theorie zu prüfen?
Etwas grundlegender gedacht: Ausgangspunkt wissenschaftlicher Forschung sollte eine Frage sein. Und dann überlegt man sich, wie man diese beantworten kann. Man entwickelt also Theorien und stellt entsprechende Hypothesen auf, die man prüfen kann. Kinder lernen heute oftmals nicht, sich allein zu überlegen: Wie können wir etwas herausfinden? Dabei ist doch genau das der Kern wissenschaftlichen Arbeitens!
Können das denn Kinder schon?
Natürlich! Kinder fragen doch oft: Was würde eigentlich passieren, wenn wir jetzt dieses oder jenes machen würden? Das kenne ich auch von meinen eigenen Kindern. Ich sage dann meistens: Gute Frage, probier’s doch einfach mal aus! Erzieherinnen und Erziehern sowie Lehrkräften tun sich manchmal schwer mit dieser Herangehensweise, weil sie zu unvorhergesehenen Ausgängen führen oder von den vorab definierten Lernzielen wegleiten kann. Deshalb hangeln sich viele lieber an einem vorher festgelegten Ablaufplan entlang. Das ist natürlich völlig okay, wenn man zum Beispiel gerade erst mit der Vermittlung von MINT-Aktivitäten anfängt.
Warum greifen so viele Fachkräfte lieber auf vorgefertigte Lösungen zurück?
Da muss man differenzieren. Im Kindergarten ist es meinem Eindruck nach oft Unsicherheit. Experimentieren spielt in der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern meist keine Rolle. Ich habe auch viele getroffen, die aus ihrer eigenen Schulzeit noch Vorbehalte gegenüber Naturwissenschaften mitbrachten: Physik sei ihr Hassfach gewesen, sie hätten ein Mathe-Trauma und ähnliches. Sich an einen Ablaufplan zu halten, vermittelt ihnen Sicherheit. Oft höre ich auch: Naja, wir haben da mal was ausprobiert, aber es hat nicht funktioniert. Ich sage dann: Es gibt keine misslungenen Experimente, es gibt nur unerwartete Ergebnisse!
Ich denke, oft ist das viel größere Problem, dass man eben nicht dauernd 25 Kinder gleichzeitig beim kreativen Herumprobieren unterstützen kann. Da braucht es dann eben für alle Schülerinnen und Schüler einheitliche Materialien und ein Schema, um ihre Anstrengungen miteinander vergleichen und ja auch letztlich benoten zu können. Dabei steht sogar mittlerweile in den Bildungsplänen. Kinder sollen die Kompetenz erwerben, selbst zu wissen, wie sie sich eine bestimmte Frage beantworten können: prozessbezogene Kompetenzen. Mit den klassischen Experimentieranleitungen funktioniert das in der Regel aber nicht. Hierzu braucht es allerdings andere Rahmenbedingungen. Wenn man es schafft, dies den Schülern ab und an zu ermöglichen, ist das für alle bereichernd! Wir wissen mittlerweile aus zahlreichen Studien weltweit, dass solche Möglichkeiten für kreatives und eigenverantwortliches Experimentieren unter anderem einen wichtigen Erfolgsfaktor für gelungenen naturwissenschaftlichen Unterricht darstellen.
Wie kann man sich das freie Forschen vorstellen?
Am einfachsten geht das natürlich mit Fragen, die einen ganz konkreten Alltagsbezug haben. Ein Klassiker etwa ist: Gestern war im Hof noch eine Pfütze, heute ist sie weg. Was glaubst Du, was mit der Pfütze passiert ist? Dann fangen die Kinder an, nachzudenken und mögliche Erklärungen zu finden. Sie überlegen auch, wie man diese Ideen überprüfen könnte.
Die Stiftung Haus der kleinen Forscher konzipiert zentral die Inhalte für Fortbildungen, die dann an die rund 600 Referentinnen und Referenten in Deutschland vermittelt werden. Die Neugierologen sind für Essen, Mühlheim und Oberhausen zuständig. Ich koordiniere das Netzwerk und arbeite auch selbst als Referent für pädagogische Fachkräfte. Übrigens ist nicht nur die Stiftung gemeinnützig, auch die Referentinnen und Referenten erhalten für ihre Arbeit Beträge, die üblicherweise nur ihre Ausgaben decken – das ist für uns also mehr ein Hobby und eine Berufung als ein nebenberuflicher Broterwerb. Die Bildungseinrichtungen können sich dann, wenn Fachkräfte an unseren Workshops teilgenommen haben und weitere Voraussetzungen erfüllt werden, als „Haus der kleinen Forscher“ zertifizieren lassen.
Warum engagieren Sie sich in dieser Form der MINT-Ausbildung?
Ich habe immer wieder festgestellt, dass die Bevölkerung zum Teil erschreckend wenig darüber weiß, wie wissenschaftliche Erkenntnisse entstehen und wie Forscherinnen und Forscher arbeiten. Das fängt zum Beispiel schon beim Begriff der Theorie an. Das ist umgangssprachlich etwas ganz anderes als im wissenschaftlichen Sprachgebrauch. Für viele Leute bedeutet eine Theorie soviel wie: „Da kann man dran glauben oder auch nicht.“ Die Forschung und mühselige Arbeit hinter wissenschaftlichen Theorien, etwa im Fall der Evolutionstheorie, wird so ganz lapidar ausgeblendet. Deshalb schätzen sie die Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse oft falsch ein. Da liegt noch einiges an Arbeit vor uns, damit die nächste Generation es da leichter haben wird und kritisch denken kann.