Wie suchen Menschen nach Gesundheitsinformationen und wie verarbeiten sie diese? Dazu forscht die Kommunikationswissenschaftlerin Elena Link. Im Interview erklärt sie, welche Quellen als vertrauenswürdig erarchtet werden und wie gute Gesundheitskommunikation für sie aussieht.
„Die Masse an Infos ist für den Einzelnen kaum zu bewältigen“
Frau Link, Sie erforschen die Informationssuche und -aufnahme im Zusammenhang mit Gesundheitsthemen. Was genau kann man sich darunter vorstellen?
Ich befasse mich vorwiegend damit, wie sich Menschen über ihre eigene Gesundheit informieren – ganz im Allgemeinen, aber auch in konkreten gesundheitlichen Problemlagen, sei es wie im Fall von Covid-19 von gesamtgesellschaftlicher Relevanz oder wenn man persönlich von einer bestimmten Krankheit betroffen ist. Mich interessiert, wie die Informationssuche erfolgt, welche Quellen Menschen auswählen und inwieweit diese in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Inzwischen befasse ich mich auch mit dem Gegenpart: Warum erreichen wir manche Menschen mit Gesundheitsinformationen nicht und welche geschickten Strategien legen wir an den Tag, wenn wir Informationen mehr oder weniger bewusst vermeiden wollen?
Inwiefern unterscheidet sich die Informationssuche über Gesundheitsthemen zu anderen Themen der Wissenschaftskommunikation?
Zunächst einmal kann man eine Gemeinsamkeit beider Felder festlegen: Die Art der Information, die gesucht wird. Es sind hochgradig komplexe Informationen, deren Vermittlung herausfordernd ist, weil es sich um Wissen handelt, das vorläufig und immer mit einer wahrgenommenen Unsicherheit verbunden ist.
Wenn man aus Sicht der Rezipientinnen und Rezipienten denkt, liegt der Unterschied zur Gesundheitskommunikation in den Motiven, welche die Suche veranlassen. Wenn es um unsere Gesundheit geht, ist das meistens von hoher Relevanz für uns, erst recht wenn sie herausgefordert ist. Auf einmal werden wir damit konfrontiert, dass etwas, was vorher eher hintergründig erschien, plötzlich nicht mehr sichergestellt ist. Die individuelle Betroffenheit und das Gefühl, einem Risiko ausgesetzt zu sein, ist hierbei stärker als bei anderen wissenschaftlichen Themen. Sie macht es notwendig, dass wir akute Herausforderungen bewältigen müssen, die nicht nur medizinischer Art, sondern auch subjektiver oder auch sozialer Art sind, wenn sich etwa meine eigene Rolle in meinem Umfeld verändert. Im Fall solcher Unsicherheiten können uns Informationen helfen, indem wir uns ihnen zuwenden, indem wir Strategien entwickeln, mit dieser Belastung umzugehen und sie handhabbarer erscheinen lassen. Das ist ein zentraler Unterschied: die Risikowahrnehmung als Auslöser.
Daneben ist in der Gesundheitskommunikation auch Selbstwirksamkeit von zentraler Bedeutung: Inwiefern kann ich mit dieser Information überhaupt umgehen? Das hängt natürlich auch mit der Risikowahrnehmung zusammen, denn wir sind von anderen wissenschaftlichen Themen – zumindest gefühlt – weniger direkt betroffen. Sie haben in unserem Alltag langfristig wichtige Implikationen, aber sind eben nicht so nah.
Welche Faktoren spielen denn eine Rolle bei der Entscheidung, welche Quellen ich für Gesundheitsthemen heranziehe?
Müssen alle Quellen ähnliche Ansprüche erfüllen, um als vertrauenswürdig eingestuft zu werden, oder werden an unterschiedliche Medien beziehungsweise Personengruppen auch verschiedene Maßstäbe gesetzt?
Ich habe mich tatsächlich im Zuge meiner Dissertation mit dieser Frage befasst und dabei anfangs Angehörige, das medizinische Personal und Medieninhalte gegenübergestellt, um zu untersuchen, was dabei eigentlich den Unterschied ausmacht. Bei Angehörigen zeigte sich aber schnell, dass unsere Beziehungen zueinander jegliche anderen Kriterien überlagern; selbst, wenn es um Informationen und nicht um das Zwischenmenschliche gehen soll. Wir schätzen die Meinung des anderen und das hat sozusagen auch ein Gewicht, weshalb wir sie schneller als Vertrauensperson heranziehen. Wenn wir den Fachexperten oder die -expertin – sofern noch keine langjährige Arzt-Patienten-Beziehung besteht – mit Medien vergleichen, dann sind es relativ ähnliche Kriterien, die angelegt werden. Hier beruht Vertrauenswürdigkeit natürlich auf der Kompetenz, aber auch auf der grundlegenden Intention: Welche Ziele werden verfolgt? Stecken persuasive Absichten dahinter? Im Medienbereich fragt man sich vielleicht, ob Werbung erkennbar ist. Das Gleiche gilt allerdings auch für den Arzt oder die Ärztin, denn auch sie könnten durch Interessen Dritter wie die Pharmaindustrie beeinflusst sein.
Natürlich macht es einen erheblichen Unterschied, wie erfahrbar diese Kriterien sind. Auf Personenebene kommt noch die Persönlichkeit als Faktor hinzu, Kriterien wie Sympathie und das Aussehen. Wir haben einfach irgendwann gelernt, welcher Typ Mensch uns sympathisch ist und das bedingt, wem wir Vertrauen schenken. Es ist ja selten ein bewusst abgewogener Prozess.
Christian Drosten wird von Medien und der Bevölkerung als der Experte zum Thema Coronavirus wahrgenommen. Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht: Liegt seine Vertrauenswürdigkeit vor allem im Medizinerstatus begründet, oder lassen sich weitere Faktoren ausmachen?
In Zeiten wie jetzt, in denen täglich neue Gesundheitswarnungen verbreitet werden: Welche Wirkung hat die ständige Konfrontation auf die Informationsaufnahme und das entsprechende Verhalten?
Ich glaube, dass wir alle ab und zu das Gefühl haben, dass wir eigentlich gar nicht mehr wissen wollen. Es ist durchaus eine gerechtfertigte Verhaltensweise, mal eine Corona-Pause einzulegen, ein wenig Eskapismus zu betreiben und eine Serie zu gucken. Natürlich könnte es auch sein, dass irgendwann eine gewisse Themenverdrossenheit eintritt, weil man schon zu viel gehört hat und denkt, es gibt sowieso nicht viel Neues. Ich glaube aber, dass die Lage zurzeit noch viel zu dynamisch ist. Gerade laufen wir eher in Gefahr, dass es einfach viel zu viele Informationen gibt und das Gefühl einsetzt, die Informationen in Gänze weder erfassen noch beurteilen zu können. An diesem Punkt sind wir ja eigentlich schon. Es gibt inzwischen zig Expertinnen und Experten, die unterschiedliche Argumente gewichten und deswegen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gelangen. Wir haben unsere überregionalen Zeitungen, das Fernsehen und auch Quellen wie das Robert-Koch-Institut, die alle nahezu täglich eine Masse an Informationen bereitstellen, die für den Einzelnen kaum zu bewältigen ist. Auch diese Situation kann beängstigend sein.
Kann man den Gesundheitskommunikatorinnen und -kommunikatoren in dieser Hinsicht gerade etwas bestimmtes raten?
Haben Sie derzeit ein Lieblingsformat in der Gesundheitskommunikation oder ein kreatives Beispiel, das Sie sehr gelungen finden?
Ein bestimmtes Format fällt mir nicht ein. Gerade verfolge ich natürlich Christian Drosten auf den verschiedenen Kanälen. Man könnte es als integrierte Kommunikationsstrategie betrachten, weil er einfach über seine Kanäle sehr gut platziert, wofür er gerade steht. Und es ist natürlich auch spannend, wie er aktuelles Wissen einordnet und darstellt. Ein schönes Beispiel aus letzter Zeit, das bei mir besonders hängen geblieben ist, ist ein Artikel der Washington Post, der mithilfe von Simulationen datenanalytisch aufzeigt, warum wir gerade soziale Kontakte meiden sollten und was es mit „flatten the curve“ auf sich hat. Das war für mich ein sehr gelungener Artikel, weil er einerseits gut Grundlagenwissen vermittelt, das auf die Lage um Covid-19 übertragen wird und andererseits betont, dass es sich um eine Vereinfachung handelt. Unsere Situation war eine Zeit lang stark davon geprägt, dass es viele Bevölkerungsgruppen gab, die sich von der Corona-Ausbreitung nicht betroffen fühlten. Ohne die erhöhte Risikowahrnehmung informiert man sich nicht zwingend. Dem Artikel gelingt es gut, darzustellen, weshalb man seiner Mitmenschen zuliebe trotzdem Kontakte meiden sollte.
Für jemanden, der sich mit Informationshandeln und Unsicherheitsmanagement beschäftigt: Gibt es (Forschungs-)fragen, die Sie sich im Zusammenhang mit der jetzigen Situation stellen?
So schwierig die Lage zurzeit ist – Wissenschaft ist auch dafür da, dass wir genau aus diesen Situationen etwas lernen können. Für die Gesundheitskommunikation stellt sich die Frage, wie wir eine so belastende Situation für die Menschen weniger belastend machen können. Für den Fall, dass wir sie in Zukunft wieder erleben müssen. Groß angelegte Forschungsprojekte werden es ermöglichen, die Risikowahrnehmung der Bevölkerung im Längsschnitt nachzuvollziehen und besser zu verstehen, was mit ihr passiert und wie in ihr bestimmte Denkprozesse stattfinden.
Eine Frage, die ich mir in der letzten Woche konkret gestellt habe, ist: Wie gehen Menschen mit diesen medizinischen und persönlichen Unsicherheiten um, gerade wenn sie selbst betroffen sind? Etwas weiter gedacht frage ich mich in Bezug auf das psychische Wohlbefinden – und das ist ja auch ein zentraler Aspekt von Gesundheit – was es mit uns macht, dass wir unsere sozialen Kontakte einschränken und wie gut diese computervermittelt kompensiert werden können. Inwiefern verändert sich beispielsweise die Bedeutung von Social Media? Das zu analysieren wird auch interessant sein.