Seit über 50 Jahren untersucht das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung die Entwicklung unserer Gesellschaft. Präsidentin Jutta Allmendinger teilt Erfahrungen des WZB in Sachen Wissenschaftskommunikation und spricht über die aktuellen Ansprüche an Forschende.
„Schubladenforschung kann und darf nicht unser Ziel sein“
Frau Allmendinger, das WZB engagiert sich stark in der Wissenschaftskommunikation. Weshalb?
Die Wissenschaft insgesamt ist in der Kritik und wissenschaftliche Ergebnisse werden zunehmend hinterfragt. Viele Menschen fühlen eine große Distanz zur Wissenschaft und zu ihren Erkenntnissen. Für Manche ist Wissenschaft wie eine fremde Welt: Diese Menschen waren nicht auf Universitäten, die Menschen in ihrem Umfeld ebenso nicht. Es gibt für sie also auch im privaten keine Berührungspunkte mit der Wissenschaft. In unserer Gesellschaft existieren sehr geschlossene Welten hinsichtlich der Erfahrungshorizonte.
Das WZB möchte deshalb Menschen stärker mit der Wissenschaft vertraut machen. Wir setzen uns etwa dafür ein, dass mehr Kinder aus bildungsfernen Familien an die Universitäten gehen. Aber das ist nicht ausreichend. Wir wollen die Ergebnisse unserer Forschung allen Menschen verständlich machen. Niemand ist zu dumm, wissenschaftliche Ergebnisse zu verstehen. Wenn es uns misslingt, Forschungsergebnisse verständlich darzustellen, dann sind wir die Dummen, nicht die anderen.
Wissenschaftskommunikation ist auch deshalb von so großer Bedeutung für uns, weil die Menschen für unsere Forschung wichtig sind, wir brauchen sie für unsere Befragungen, damit wir Informationen über ihr Leben und ihre Einstellungen sammeln können. Die Gesellschaft hilft uns also bei unserer Arbeit. Allein deshalb ist es für uns selbstverständlich, die Ergebnisse auch wieder an die Gesellschaft zurückzugeben und sie zu erklären.
Ein besonderes Augenmerk der Aktivitäten des WZB liegt dabei darauf, in die Kieze zu gehen. Weshalb machen Sie das?
Der Festakt zum 50. Jubiläum des WZB stand auch unter dem Zeichen der Partizipation. Was war hier der Ansatz?
Der Festakt sollte bewusst offen gestaltet werden und für alle Menschen zugänglich sein. Ein Konzept, von dem auch Daniel Barenboim, mit dem wir den Abend gemeinsam gestaltet haben, überzeugt war. Karten für die Veranstaltung wurden in den freien Verkauf gegeben und es gab nur eine ganz kleine Anzahl gesetzter Gäste. Thematisch ging es um Europa und dessen Zukunft. Deswegen waren auch zwei Projekte Teil des Programms, bei denen Berliner Kinder und Jugendliche ihre Zukunftsvisionen präsentiert haben. Es ging uns bei dem Festakt darum, verschiedene Sichtweisen auf Europa darzustellen, zusammen mit der Berliner Stadtgesellschaft.
Es scheint, Ihre allgemeine Kommunikationsstrategie geht weit über Unternehmenskommunikation hinaus. Weshalb ist das so?
Unsere Kommunikationsaktivitäten werden vor allem von unseren Inhalten angetrieben. Um ein Branding geht es nicht in erster Linie. Wir arbeiten für eine Sache und sind alle ein wenig Idealistinnen und Idealisten, auch deshalb verfolgen wir eine inhaltsgetriebene Kommunikation.
Wie politisch darf man aus Ihrer Sicht sein als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler?
Was ist die größte Herausforderung in der Kommunikation?
Ich bin mir sehr bewusst, dass unsere jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mutig sein müssen, um zu kommunizieren. Nicht mutig gegenüber politischen Anfeindungen, sondern mutig im Hinblick auf ihre wissenschaftliche Karriere. Engagement in der Wissenschaftskommunikation zählt bisher überhaupt nicht zu den Kriterien für eine wissenschaftliche Karriere. Kommunikation braucht Zeit. Vor allem dann, wenn sie sich an ein nicht-akademisches Publikum wendet. Aber es ist ein riesiges Geschenk, das die Forscherinnen und Forscher der Gesellschaft machen. Ein notwendiges Geschenk, aber eben auch eines, für das es bislang keine Belohnung gibt. Man erhält dafür keine entfristeten Stellen und wird auch nicht befördert.
Hinzu kommt, dass derzeit ein hoher Druck auf der Wissenschaft lastet, sie wird kritisch beäugt, manche sprechen ihr sogar ab, eine wichtige Rolle für die Gesellschaft zu spielen. Das ist eine kommunikative Herausforderung für uns. Gerade auch bei der Verwendung einer nicht wissenschaftlichen Sprache. Dieser Transfer ist nicht immer einfach und er liegt uns auch nicht immer. Wir brauchen also den Mut des Abspeckens, der Konzentration auf das Wesentliche. Natürlich ohne zu vergessen, wissenschaftlich sorgfältig und genau zu arbeiten. Was das angeht, bin ich wirklich dankbar für die tollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hier im Haus, denen dies alles ganz hervorragend gelingt. Das hat nicht zuletzt die Klage der AfD gezeigt.
Inwiefern ist die Studie, für deren Inhalt das WZB von der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag wegen angeblich persönlichkeitsrechtsverletzender Behauptungen verklagt wurde, ein Beispiel dafür?
Die Studie war die erste Analyse über die Arbeit der AfD in den Landtagen. Uns wurde daraufhin von der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag ungenaue und tendenziöse Forschung vorgeworfen. Es war aber eine sehr positive Erfahrung, dass sich die Rechtsanwälte wirklich im Detail mit dem Papier und mit den wissenschaftlichen Daten und Analysen beschäftigt haben. Das Projekt hinter der Studie war unglaublich aufwendig und komplex. Ich bin sehr froh, dass wir zeigen konnten, dass unsere Datennutzung begründet und stimmig zur Fragestellung war. Das hat schließlich auch das Gericht festgestellt, als es in klaren Worten und unter Verweis auf die Wissenschaftsfreiheit die Klage der AfD abwies.
Dieser Fall unterstreicht für mich die Bedeutung der Balance zwischen notwendiger Vereinfachung in der Kommunikation und wissenschaftlicher Genauigkeit. Wir brauchen Menschen, die beides beherrschen. Sonst geraten wir im aktuellen politischen Klima und Diskurs in die Kritik und kommen unter die Räder.
Haben Sie noch weitere negative Erfahrungen gemacht?
Ich habe den Eindruck, dass der Diskurs sich verschärft hat. Einer unserer Forschenden hatte beispielsweise eine äußerst negative Erfahrung in der Kommunikation mit der AfD. Seitdem beraten wir unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch stärker in Kommunikationsfragen und empfehlen Termine mit der AfD, bei denen jemand aus unserer Kommunikationsabteilung mit dabei ist.
Ein weiteres Thema, das ich oft als brenzlig erlebe, sind Drohungen, die Genderforscherinnen und -forscher erhalten. Einmal ging es sogar so weit, dass Observationsschutz für die betroffene Person nötig war. Das sorgt natürlich für große Verunsicherung und es erfordert dann wirklich erheblichen Mut, sich weiterhin in der Öffentlichkeit zu äußern.
Sollte man es denn trotzdem tun?
Davon bin ich überzeugt. Und wir dürfen die oftmals jungen Kolleginnen und Kollegen, die in diesem Bereich tätig sind, nicht im Regen stehen lassen, sondern wir müssen sie schützen. Neulich hielten wir eine Konferenz unter Polizeischutz ab. Das ist eine weitere völlig neue Herausforderung im Bereich der Wissenschaftskommunikation und des öffentlichen Auftretens von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Bei der Langen Nacht der Wissenschaft 2018 – auf die wir uns alle gefreut hatten – gab es im Vorfeld plötzlich Drohungen. Das dämpft natürlich die Freude an einer solchen Veranstaltung. Es kann aber nicht die Lösung sein, sich zurückzuziehen und mit der Kommunikation aufzuhören. Es gilt vielmehr, sie fortzusetzen und sogar auszuweiten, auch wenn das leider manchmal bedeutet, Veranstaltungen mit polizeilicher Unterstützung durchführen zu müssen.
Wir werden unsere Aktivitäten in der Kommunikation jedenfalls weiter ausbauen. Sie ist bereichernd und gewinnbringend. Für uns und unser Publikum.