Foto: Sanwal Deen, CC0 1.0

Wissenschaftskommunikation ist Wissenschaftsjournalismus, Wissenschafts-PR … und mehr

Was ist Wissenschaftskommunikation? Was gehört in dieses Feld? Was nicht? Mike Schäfer ist Professor für Wissenschaftskommunikation an der Universität Zürich. Er skizziert dieses Feld und wie es aus Sicht der Forschung aufgeteilt werden könnte.

„Wissenschaftskommunikation (synonym Wissenschafts-PR) ist ein neues Feld der Public Relations und beschreibt das Management der öffentlichen Kommunikation in der Wissenschaft“ – so steht es gegenwärtig in der deutschsprachigen Wikipedia (Version vom 5. Januar 2017).

Der Beitrag ist Anlass hitziger Diskussionen zwischen WissenschaftsjournalistInnen, MitarbeiterInnen von Medienstellen, einschlägigen BloggerInnen und Forschenden. Die Einen plädieren dafür, Wissenschafts-PR und -Journalismus klar zu unterscheiden und deshalb den unspezifischen Begriff „Wissenschaftskommunikation“ möglichst ganz zu vermeiden. Andere wollen den Begriff zwar verwenden, ihn aber nicht auf PR beschränken, sondern als Oberbegriff für verschiedene Kommunikationsformen verstehen.

Ich teile letztere Ansicht: Wir sollten Wissenschaftskommunikation als Dachbegriff verstehen, unter dem sich Wissenschaftsjournalismus und -PR einordnen lassen, der aber mehr umfasst.

Wissenschaftskommunikation hat sich ausdifferenziert

Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung über wissenschaftliche Themen ist notwendig, und sie findet ohnehin längst statt. Wissenschaft war schon immer erklärungsbedürftig und gesellschaftlich rechenschaftspflichtig, und dies hat in Zeiten eines grassierenden Populismus noch zugenommen. Wissenschaftliche Expertise werde nicht mehr unhinterfragt hingenommen, argumentierte DFG-Präsident Peter Strohschneider denn auch kürzlich im Blog „Wissenschaft kommuniziert“, und wies auf „dramatische Vermittlungsprobleme“ zwischen scientific community und Gesellschaft hin.

Aber diese Kommunikation über Wissenschaft hat sich spätestens seit den 1980er/1990er Jahren – mit der Entwicklung von „Public Understanding of Science“-Ansätzen zu dialogischeren, partizipativeren Formaten – deutlich ausgeweitet und diversifiziert. Heute existiert sie in vielfältigen Spielarten. Diese adressieren unterschiedliche Publika– teils die breite Öffentlichkeit, teils politische Entscheidungsträger oder Stakeholder, teils Kinder und Jugendliche, teils wissenschaftliche Peers.

Außerdem sind ganz unterschiedliche Akteure in der Wissenschaftskommunikation involviert. Sie stammen nicht mehr nur aus der akademischen Wissenschaft, sondern auch aus Forschungsabteilungen von Unternehmen, aus Fachgremien, NGOs oder politischen Institutionen, dem Journalismus und der Blogosphäre. All diese Kommunikatoren nutzen unterschiedliche Kanäle, von face-to-face-Kommunikation über Fachpublikationen und journalistische Medien bis zu Social Media wie Twitter oder Facebook. Und sie verfolgen damit unterschiedliche Ziele: Teilweise stellen sie auf Wissensvermittlung, Aufmerksamkeitserzeugung, Beteiligung, Einstellungs- oder Verhaltensänderungen ab, teilweise auf Reputationsmanagement, Rekrutierung, Imageverbesserung oder Brand Building.

Das Feld der Wissenschaftskommunikation

Durch diese Vielfalt ist das Feld der Wissenschaftskommunikation zwangsläufig unübersichtlich(er) geworden. Und mit dem anhaltenden Medienwandel und der fast flächendeckenden Digitalisierung sind viele gewohnte Grenzziehungen erodiert. Wissenschaftsjournalisten sind heute oft crossmedial tätig, zudem twittern sie, geben Interviews als ExpertInnen, schreiben Bücher und teils politische Empfehlungen (vgl. die Beispiele in Allan et al. 2011; Dunwoody 2014). Auch ein (allerdings immer noch recht kleiner) Teil der WissenschaftlerInnen nutzt soziale Medien, um Publika jenseits ihrer FachkollegInnen direkt anzusprechen (Pscheida et al. 2013; van Noorden 2014). Dabei geht es teils um Wissensvermittlung, teils aber auch um Selbstdarstellung. Zudem werden online und auf Social Media Facetten wissenschaftlicher Arbeit grundsätzlich öffentlich wahrnehmbar, die noch vor 30 Jahren kaum zugänglich waren – und können von FachkollegInnen ebenso Nicht-WissenschaftlerInnen kommentiert, ge-liked oder geteilt werden. Im Ergebnis verschwimmen etablierte Rollenmuster, und der Grenzverlauf zwischen wissenschaftlicher Fachöffentlichkeit und allgemeiner Öffentlichkeit „wird im Internet unscharf“ (Neuberger 2014: 339).

Das Ergebnis ist eine unübersichtliche Gemengelage von wissenschaftsbezogener Kommunikation, angesichts derer es einer neuen – und vermutlich andauernden – begrifflichen Verständigung bedarf. Der Begriff der Wissenschaftskommunikation ist hilfreich, weil er diesen Gegenstandsbereich charakterisieren und dabei mehr einschließen kann als „nur“ Wissenschaftsjournalismus oder Public Relations.

Ein solch weites Verständnis von Wissenschaftskommunikation könnte sich auf „alle Formen von auf wissenschaftliches Wissen oder wissenschaftliche Arbeit fokussierter Kommunikation, sowohl innerhalb als auch außerhalb der institutionalisierten Wissenschaft, inklusive ihrer Produktion, Inhalte, Nutzung und Wirkungen“ (Schäfer et al. 2015: 13) beziehen.

Dieses Verständnis ist in mehrerlei Hinsicht „weit“. Es umfasst zum einen Kommunikation über alle Wissenschaften, inklusive der „MINT“-Fächer, der Sozial-, Verhaltens- und der Geisteswissenschaften und überwindet damit die im englischen Sprachraum noch immer auffindbare Reduzierung auf die „sciences“.

„Weit“ ist das Verständnis auch hinsichtlich der Kommunikationsformen: Ich halte es sogar für sinnvoll, den Dachbegriff nicht nur für wissenschaftsexterne Kommunikation zu verwenden, sondern auch auf die „scholarly communication“, also die Kommunikation innerhalb der Wissenschaft auszudehnen. Denn deren Publika haben sich ausgeweitet und ihre externen Grenzen sind durchlässiger geworden: in Repositorien wie ArXiv sind wissenschaftliche Originaltexte offen zugänglich, Twitter-Feeds, Livestreams und Blogs machen Forschungsarbeit einem größeren und auch nicht-wissenschaftlichen Publikum zugänglich, auf PubPeer oder PubMedCommons lassen sich Fachtexte begutachten und bewerten, auf VroniPlag oder retractionwatch kann sich ein erweitertes Publikum an der Kontrolle wissenschaftlichen Fehlverhalten beteiligen, in Citizen Science-Projekten (auch in Deutschland oder der Schweiz) können Interessierte mitforschen, auf Crowdfunding-Plattformen können sie skizzenhafte Förderanträge einsehen und Forschung sogar mitfinanzieren.

Wissenschaftskommunikation als Dachbegriff

Entsprechend lässt sich Wissenschaftskommunikation als Oberbegriff für vielfältige Kommunikationsformen und -formate verstehen – auch wenn diese in der Praxis teilweise miteinander verschmelzen – und schematisch so darstellen:

Dieses Schema, das auf Vorarbeiten von Svenja Hagenhoff und anderen zurückgeht (u.a. in Hagenhoff et al. 2016) und auch von der Arbeitsgruppe „Wissenschaft – Öffentlichkeit – Medien“ der deutschen Wissenschaftsakademien in ähnlicher Form verwendet wird, umfasst auf der einen Seite die wissenschaftsinterne, an Fachkolleginnen und -kollegen gerichtete Kommunikation. Innerhalb dieser lässt sich noch einmal eine formale und eine informelle Variante differenzieren: Formale Kommunikation beschreibt Fachartikel, Monografien, Sammelbände, Preprints etc., mit denen allgemein zugänglich „Wahrheitsansprüche mitgeteilt, geprüft und diskutiert werden“ (Taubert 2016: 125). Informelle Kommunikation umfasst dagegen alle anderen, typischerweise eher interaktiven und flüchtige(re)n Formen wissenschaftsinterner Kommunikation (Lüthje 2016), von Gesprächen auf dem Gang bis zum Slack-Thread einer Arbeitsgruppe.

Auf der anderen Seite umfasst der Begriff Wissenschaftskommunikation aber natürlich auch die externe, primär an nicht-wissenschaftliche Publika gerichtete Kommunikation. Diese kann sich an konkrete Stakeholder oder Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und anderen Gesellschaftsbereichen ebenso richten wie an eine unspezifizierte „breite Öffentlichkeit“. Sie kann face-to-face (z.B. bei Science Slams, Tagen der offenen Tür oder in Seniorenuniversitäten) stattfinden, aber auch über technische Medien der interpersonalen Kommunikation wie Smartphones oder Messenger sowie auch weiterhin massenmedial (z.B. über Printmedien oder das Fernsehen) vermittelt sein.

Zudem kann sie fremdvermittelt sein, d.h. von nicht-wissenschaftlichen Akteuren betrieben werden. Das relevanteste Beispiel hierfür ist sicherlich der Wissenschaftsjournalismus, bei dem wissenschaftliche Themen durch JournalistInnen als professionelle externe Beobachter öffentlich dargestellt werden – wobei die journalistische Vermittlung nicht nur eine sachgerechte „Übersetzung“ wissenschaftlicher Ergebnisse, sondern durchaus auch eine kritische Kontrolle und ggf. Kritik selbiger beinhalten kann und sollte.

Externe Wissenschaftskommunikation kann aber auch selbstvermittelt sein, das heißt von einzelnen WissenschaftlerInnen oder von wissenschaftlichen Organisationen selbst betrieben werden. Dies kann in einer Weise geschehen, die nicht primär eigeninteressiert ist, sondern bei der die Wissensvermittlung für die Akteure den kommunikativen Selbstzweck darstellt. Es kann sich aber auch um primär interessengeleitete Kommunikation handeln, mit der WissenschaftlerInnen oder Forschungseinrichtungen versuchen, ihre individuelle bzw. institutionelle Legitimation und Reputation zu steigern.

Das Angebot einer Konvention

Diese Differenzierung ist sicherlich – und das gilt für mehrere der vorgeschlagenen Unterscheidungen – eher analytischer Natur. Die entsprechenden Grenzen sind in der Praxis fließend(er). Zudem ist der vorgelegte Begriffsvorschlag, wie jeder Begriffsvorschlag, nur das Angebot einer Konvention. Definitionen sind schließlich nicht richtig oder falsch – sie sind entweder zweckmäßig oder sie sind es nicht.

Aber angesichts der aktuellen Expansion und des Wandels von Wissenschaftskommunikation und der Inflation einschlägiger Begrifflichkeiten scheint mir die Diskussion eines solchen Vorschlags vonnöten. In der neueren „science of science communication“ findet er in dieser oder ähnlicher Weise bereits Anklang. Entsprechende Arbeiten haben diese Definition mitgeprägt (Hagenhoff et al. 2016), sich ihr angeschlossen (Bonfadelli et al. 2016) oder ähnliche Vorschläge vorgelegt (Dernbach et al. 2012; Fachgruppe Wissenschaftskommunikation 2015).

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.

Literatur

  • Allan, Stuart/Fahy, Declan/Nisbet, Matthew C., 2011: The science journalist online: Shifting roles and emerging practices, in: Journalism (7) 12, 778–793.
  • Bonfadelli, Heinz/Fähnrich, Birte/Lüthje, Corinna/Milde, Jutta/Rhomberg, Markus/Schäfer, Mike (Hrsg.), 2016: Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation.
  • Dernbach, Beatrice/Kleinert, Christian/Münder, Herbert, 2012: Handbuch Wissenschaftskommunikation.
  • Dunwoody, Sharon, 2014: Science journalism, in: Routledge Handbook of Public Communication of Science and Technology, 27.
  • Fachgruppe Wissenschaftskommunikation, 2015: Selbstverständnis der Fachgruppe Wissenschaftskommunikation. Hamburg.
  • Hagenhoff, Svenja/Seidenfaden, Lutz/Ortelbach, Björn/Schumann, Matthias, 2016: Neue Formen der Wissenschaftskommunikation-eine Fallstudienuntersuchung.
  • Lüthje, Corinna, 2016: Interne informelle Wissenschaftskommunikation, in: Bonfadelli, Heinz/Fähnrich, Birte/Lüthje, Corinna/Milde, Jutta/Rhomberg, Markus/Schäfer, Mike (Hrsg.), Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation, 109–124.
  • Neuberger, Christoph, 2014: Social Media in der Wissenschaftsöffentlichkeit. Forschungsstand und Empfehlungen, in: Wissen–Nachricht–Sensation. Zur Kommunikation zwischen Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit, 315–368.
  • Pscheida, Daniela/Albrecht, Steffen/Herbst, Sabrina/Minet, Claudia/Köhler, Thomas, 2013: Nutzung von Social Media und onlinebasierten Anwendungen in der Wissenschaft. Erste Ergebnisse des Science 2.0-Survey 2013 des Leibniz-Forschungsverbunds „Science 2.0“. Dresden.
  • Rödder, Simone, 2009: Wahrhaft sichtbar. Humangenomforscher in der Öffentlichkeit. Baden-Baden.
  • Schäfer, Mike S./Kristiansen, Silje/Bonfadelli, Heinz, 2015: Wissenschaftskommunikation im Wandel: Relevanz, Entwicklung und Herausforderungen des Forschungsfeldes, in: Wissenschaftskommunikation im Wandel, 10–42.
  • Taubert, Niels C., 2016: Formale wissenschaftliche Kommunikation, in: Bonfadelli, Heinz/Fähnrich, Birte/Lüthje, Corinna/Milde, Jutta/Rhomberg, Markus/Schäfer, Mike (Hrsg.), Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation, 125–139.
  • van Noorden, Richard, 2014: Scientists and the social network, in: Nature (7513) 512, 126.