Josef Zens, Kommunikationsleiter am Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ, sieht gute Ansätze im heute veröffentlichten Grundsatzpapier des BMBF zur Wissenschaftskommunikation – etwa Chancen für mehr Tempo und Professionalität in der Wissenschaftskommunikation. Die Wissenschaft selbst jedoch, gibt er zu bedenken, hat ein Tempolimit.
„Versachlichen“ heißt oft „erst mal abwarten“
Acht Ausrufezeichen am Rand, ein Fragezeichen, viermal „yes“ und einmal „super“, dazu kommen noch „sehr wichtig“, ein „nein“, ein „puh“ und ein „ja, aber“ sowie diverse Randbemerkungen. Das ist meine erste Bilanz nach dem Lesen des Grundsatzpapiers zur Wissenschaftskommunikation aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Insgesamt also stehen da viele Dinge drin, denen ich als hauptberuflicher Wissenschaftskommunikator nur zustimmen kann: Ja, der begonnene Kulturwandel hin zu einer kommunizierenden (besser noch: den Dialog suchenden) Wissenschaft muss sich fortsetzen; ja, es ist notwendig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich in den öffentlichen Diskurs einbringen; und ja, unabhängiger Wissenschaftsjournalismus ist wichtig. Zwei doppelte Ausrufezeichen habe ich dort hingemalt, wo das BMBF schreibt, es müssten Reputationslogiken überdacht und Kompetenzen in der Wissenschaftskommunikation geschaffen werden. Viel zu oft noch höre ich von Forschenden, dass es schön und gut sei, seine Arbeit allgemeinverständlich zu präsentieren und mit der Öffentlichkeit zu debattieren, entscheidend aber seien immer noch die Zahl der Publikationen und weitere Kenngrößen des akademischen Ruhms. Viel zu wenig würden „Public Engagement“ und „Outreach“ anerkannt. Um so besser ist es, wenn das BMBF im Grundsatzpapier verspricht, „Wissenschaftskommunikation als integralen Bestandteil der BMBF-Förderung“ auszubauen, Anreize für Kommunikation zu schaffen und diese so „grundlegend in der Wissenschaft zu verankern“.
Wer könnte etwas dagegen haben, Debatten zu versachlichen?
Bevor jetzt der Verdacht aufkommt, dies sei ein vom BMBF gesponserter Beitrag, gieße ich ein wenig Wasser in den Wein. Wenn es heißt, aus Sicht des BMBF seien vor allem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler primäre Akteure der Wissenschaftskommunikation, dann heißt das für eben jene „primären Akteure“, sie müssen neben ihrer Wissenschaft und Forschung nun auch noch zusätzliche Aufgaben übernehmen. Es blendet überdies die Profis in den Pressestellen und in weiteren Bereichen aus, zum Beispiel im Technologietransfer oder der Politikberatung. Ja, ich kann lesen, da steht „primär“, also hauptsächlich und nicht ausschließlich, aber das ist nicht der Punkt. Schon jetzt klagen Kolleginnen und Kollegen aus der Forschung über ausuferndes Berichtswesen und zeitraubende Antragstellung. Jetzt wird ihnen auch noch die Kommunikation – bitte mehr und bitte professioneller – aufgebürdet.
Es kommt noch dicker. Da habe ich mir ein „puh“ und ein „nein“ an den Rand notiert, wo es heißt, die Aufgabe der Wissenschaft sei es auch (immerhin steht da „auch“!), „Debatten zu versachlichen“. Das kommt so harmlos daher, wer könnte etwas dagegen haben, Debatten zu versachlichen? Vermutlich würden alle Forscherinnen und Forscher ebenso wie die Personen in Leitungsebenen der Unis und Forschungszentren sagen, „ja, ich bin dafür, Debatten zu versachlichen“. Wenn ich dann aber frage, ob sie mit einem Impfgegner, einer Tierrechtsaktivistin von PETA, einem Verharmloser des Klimawandels oder einer Gentechnikgegnerin in eine Talkshow wollen, dann sieht es anders aus. Wenn ich darum bitte, innerhalb von ein, zwei Stunden für ein brisantes Interview bereitzustehen oder einen Gastbeitrag anzubieten zu einem politisch umstrittenen Thema, dann wird die Luft dünn. Ganz zu schweigen davon, sich in sozialen Medien in Diskussionen einzuschalten und auf Facebook oder Twitter falsche Behauptungen richtigzustellen. Die Angst vorm Shitstorm inklusive.
„Das ist nicht genau mein Fachgebiet“
Aus Sicht der Wissenschaft heißt „versachlichen“ deshalb oft, „erst mal abwarten“. Das ist nicht schön, aber verständlich. Denn Debatten werden zunehmend schärfer geführt, sie finden in einem rasanten Tempo statt, und die Liste der umstrittenen Themen in der Wissenschaft wird von Tag zu Tag länger: Gendiagnostik, Pränataldiagnostik, Stammzellen, CO2-Speicherung im Untergrund, Geothermie, Stromtrassen – das sind nur einige Stichpunkte, von den oben genannten Evergreens wie Tierversuchen und Grüner Gentechnik ganz abgesehen. Neben einer „berufsempörten“ Person aus der Aktivismusszene und dem professionellen Talkshowdauergast aus der Politik sieht man als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler im Fernsehen und auf Podien wahlweise blass, verschroben oder unprofessionell aus. Hinzu kommt ein Phänomen, das ich immer wieder beobachte: Fragen Medien oder auch Politikerinnen und Politiker nach einer Einordnung zu einem bestimmten Thema, heißt es von den Forschenden oft: Das ist nicht genau mein Fachgebiet. Dahinter steht die Sorge, dass andere es als anmaßend empfinden könnten, wenn die „Nicht-100-Prozent-Kollegin“ sich äußert. Auf präsidialer Ebene mag es auch Eitelkeiten geben oder die Sorge, eben jene Eitelkeit zu verletzen, wenn Organisation A sich äußert anstatt Organisation B, die doch mehr Expertise bei sich vereint. Und bevor man den Kollegen oder die Kollegin vor den Kopf stößt, wartet man lieber ab. Nach ein paar Tagen wird schließlich eine andere Sau durchs medial-politische Dorf getrieben.
Wären da nur nicht die Vorwürfe seitens der Medien, die Wissenschaft sei zu zögerlich, und der Wunsch der Politik nach sachkundiger und rascher Einordnung. Außerdem wünscht sich die Politik immer wieder, dass Themen „abgeräumt“ werden, bevor sie sich damit befassen muss. Hiermit sind einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jedoch ebenso überfordert wie die vorhandenen Gremien, Räte und Akademien. Die einen können nicht für alle sprechen, die anderen nicht innerhalb weniger Stunden oder Tage reagieren. Ein Ausweg wäre eine Art „Agentur für heikle Themen“, ähnlich der auf ein Gebiet fokussierten Initiative „Tierversuche verstehen“ der Allianz der Wissenschaftsorganisationen. Aber ich sehe schon wieder institutionelle Logiken, die dem entgegenstehen: Wer gründet? Wer finanziert? Wie ist die Governance?
Entweder „:-(“ oder „:-)“
Worauf ich dagegen mit gespannter Erwartung blicke, ist die vom BMBF angekündigte „#FactoryWisskomm“ – eine Denkwerkstatt mit Menschen aus den Leitungsebenen der Allianzorganisationen, aus Politik und Kommunikationspraxis. Das BMBF verspricht einen einjährigen Strategieprozess für die Wissenschaftskommunikation. Da ist dann der Optimismus mit mir durchgegangen, und ich habe ein „super“ an den Rand geschrieben. Ich bin jederzeit bereit, in einem Jahr ein Ausrufezeichen dahinter zu machen – oder ein Emoji, entweder „:-(“ oder „:-)“.
Was außerdem hilfreich wäre, ist ein gut funktionierender Wissenschaftsjournalismus. Der wird jedoch gerade, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kaputtgespart. Versuche, Wissenschaftsjournalismus etwa über eine Stiftung zu fördern, sind bislang leider nur Diskussionsgegenstand. Ein guter Ansatz ist das im BMBF-Papier erwähnte Science Media Center. Zusammen mit einer „Agentur für heikle Themen“ und den bereits existierenden, außerordentlich hilfreichen Einrichtungen Wissenschaft im Dialog und Nationales Institut für Wissenschaftskommunikation (beide richtigerweise im Papier des BMBF hervorgehoben) könnte die Wissenschaftskommunikation an Tempo und Professionalität gewinnen, ohne dabei an Sachlichkeit und Faktentreue zu verlieren.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
- Mehr zum Grundsatzpapier des BMBF auf Wissenschaftskommunikation.de:
- Interview mit Bundesforschungsministerin Anja Karliczek
- Kommentar von Mike Schäfer von der Universität Zürich
- Kommentar von Günter Ziegler von der Freien Universität Berlin
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