In den vergangenen Jahren erlangten einige Tests an Bekanntheit, mit denen die Repräsentation von Frauen und Geschlechterrollen in Filmen geprüft werden können. Höchste Zeit also, einmal den Blick auf Wisskomm-Videos und die Zahlen des aktuellen Fast-Forward-Science-Webvideo-Wettbewerbs zu richten.
Gender & Diversity – auch bei Wissenschaftsvideos ein Thema?
Die Filmbranche wurde in den vergangenen Jahren durch die #askhermore- und #metoo-Bewegung aufgerüttelt und gezwungen, die eigenen Strukturen und Produktionsbedingungen zu reflektieren. Sie hat dafür gesorgt, dass die erzählten Geschichten, die abgebildeten Protagonistinnen und Protagonisten ein ganzes Stück vielfältiger und diverser wurden. Erzählt werden nicht mehr nur die Fantasien und Heldengeschichten weißer Männer.
Doch was hat das mit Wissenschaftsvideos zu tun? Institutionen und Wissenschaftskommunikatorinnen und -kommunikatoren beauftragen und produzieren ja eher selten Hollywoodfilme. Zudem drehen sich Wissenschaftsvideos vornehmlich um Forschungsinhalte. Braucht die Diskussion hier also nicht geführt werden? Weit gefehlt: Denn die Entscheidung, wie und mit welchen visuellen Mitteln eine Geschichte erzählt wird, enthält immer auch Momente, in denen Hierarchien und Geschlechterverhältnisse eine Rolle spielen. Soziale Aspekte werden visuell ausgedrückt, Personen und Objekten schreiben wir eine kulturelle Bedeutung zu, wir ziehen Schlüsse aus dem Alter der Personen und daraus, in welchen Funktionen Männer und Frauen sichtbar sind.1 Und so passiert es auch, dass wir bestimmte Ungleichheiten nicht als solche wahrnehmen, weil wir uns an sie gewöhnt haben und auf andere inhaltliche Aspekte achten.
Aber zurück nach Hollywood: Um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie viele oder wenige weibliche Figuren sichtbar sind und wie sie sich zumeist der Zuschauerin oder dem Zuschauer nicht zur Identifikation eignen, hat die Comiczeichnerin Alison Bechdel in einem ihrer Comics einen Test eingebaut. Von den Mainstreammedien wurde er Anfang der 2010er Jahre wiederentdeckt. Inzwischen gibt es eine Webseite, auf der Ergebnisse des Tests für etwa 6.500 Filme von Nutzerinnen und Nutzern eingetragen werden können. Auch ist der Bechdel-Test heute nicht selten Teil von Filmkritiken.
Wie funktioniert der Bechdel-Test?
Der Bechdel-Test wertet Frauenrollen in Filmen aus, um mit den Ergebnissen zu verdeutlichen, dass Frauen immer noch unterrepräsentiert sind.3 Mit dem Test lässt sich eine einfache Aussage über einen Film treffen: Gibt es weibliche Protagonistinnen mit denen sich Zuschauerinnen und Zuschauer jenseits eines stereotypen Rollenmodells identifizieren können? Denn in Filmplots funktionieren die Frauenrollen häufig nur in Relation zu den Männerollen: Ihre Unterhaltungen und ihr Handeln sind nur auf diese ausgerichtet.
Wie genau funktioniert der Test? Es sind drei Fragen, die für jeden Spielfilm oder jede Dokumentation leicht zu beantworten sind:
- Gibt es zwei Frauenrollen, die einen Namen haben?
- Sprechen sie miteinander?
- Unterhalten sie sich über etwas anderes als Männer?
Das klingt wie ein Scherz, doch es ist erschreckend, wie viele Kinofilme den Test nicht bestehen. Der Test trifft dabei keine qualitative Aussage über den Film, sondern macht lediglich deutlich, ob Identifikationspotenzial mit weiblichen Figuren besteht.
Finkbeiner für die Wissenschaft
Der Bechdel-Test inspirierte aber nicht nur weitere Methoden der Film-, sondern auch der Textanalyse. Die Wissenschaftsjournalistin Christie Aschwanden etwa entwickelte den Finkbeiner-Test. Damit lassen sich journalistische Texte daraufhin überprüfen, ob sie Genderstereotype verfestigen. Ann Finkbeiner – der dieser Test gewidmet ist – hatte zuvor betont, dass sie es leid sei, weitere Porträts über Wissenschaftlerinnen zu schreiben, in denen deren Erfolge durch die Erwähnung ihres Geschlechts eingeschränkt werden.
Um den Finkbeiner-Test zu bestehen, darf ein Porträt über eine Wissenschaftlerin folgende Aspekte nicht erwähnen:
- dass sie eine Frau ist
- den Job ihres Mannes
- die Art, wie ihre Kinderbetreuung geregelt ist
- ihren fürsorglichen Umgang mit den Mitarbeitenden
- wie überrascht sie vom Konkurrenzdenken in ihrer Disziplin war
- dass sie ein Vorbild für andere Frauen ist
- dass sie die „erste Frau ist, die …“
Dem Finkbeiner-Test ist es also im Unterschied zu den anderen Tests wichtig, dass das Geschlecht keine hervorgehobene Rolle spielt (und höchstens anhand des Namens oder des Fotos zu erkennen ist). Ein Porträt über eine Wissenschaftlerin als Frau, Mutter oder Pionierin bedeutet, dass Gleichberechtigung weiterhin keine Selbstverständlichkeit ist.
Wie würde ein Bechdel- oder Finkbeiner-Test für Wissenschaftsvideos aussehen?
Wie sieht das Ganze nun bei den viel kürzeren Wissenschaftsvideos aus? Welche Kriterien muss ein Kurzfilm oder Video erfüllen, um den Wisskomm-Bechdel-Test zu bestehen? Und welche Produktionsbedingungen können als Mindestanforderung aussagekräftig miteinbezogen werden (wenn vielleicht vor und hinter der Kamera jeweils nur eine Person steht)? Bei diesen kurzen Videos haben die Plots nicht nur weniger Zeit sich zu entfalten, sondern sie sind auch von weniger zentraler Bedeutung. In den Beiträgen stehen Wissensvermittlung und wissenschaftliche Inhalte – auf unterhaltsame und verständliche Art – im Mittelpunkt. Trotzdem gibt es Protagonistinnen und Protagonisten, mit denen sich die Zuschauerinnen und Zuschauer identifizieren können. Und auch wird ausgewählt, welcher Wissenschaftler oder welche Wissenschaftlerin in welcher Funktion befragt und vorgestellt wird. Ein Test für die Wissenschaftskommunikation würde auf eine selbstverständliche Darstellung von Wissenschaftlerinnen abzielen. Und auch andere Diversitätsdimensionen könnten Gegenstand weiterer Tests sein. Es mag manchen als Widerspruch erscheinen, dieses dann zunächst hervorzuheben, doch es ist eben noch keine Selbstverständlichkeit.
Aber wie steht es denn nun eigentlich um die Repräsentation von Frauen und Männern in Wissenschaftsvideos? Ein Blick auf die aktuellen Statistiken des Fast Forward Science Awards soll als Grundlage dafür dienen, welche Anforderungen ein Test haben müsste, um Wissenschaftsvideos gerecht zu werden. Die Einreichungen für den Webvideo-Preis sind zwischen 2 und 27 Minuten lang und alle auf Youtube zu sehen. Es werden neben fiktionalen Geschichten und Erklärvideos auch Videos mit dokumentarischem oder reportagigem Charakter eingereicht. Eine – wenn auch oberflächliche – inhaltliche Analyse der beiden Kategorien Substanz (65 Einreichungen) und Scitainment (31 Einreichungen) ergeben folgendes Bild4:
Insgesamt gibt es also einen Anstieg an Einreichungen von und mit Frauen, die in Richtung einer ausgeglichenen Beteiligung deuten. Trotzdem bleiben Fragen offen: Warum gibt es im Vergleich immer noch signifikant mehr männliche Einreichende?
Wissenschaftlerinnen tauchen in den eingereichten Webvideos weniger häufig als Expertinnen auf als männliche Kollegen und es gibt weniger Frauen, die eigene Wisskomm-Youtube-Kanäle betreiben und somit weniger häufig selbst Informationen über Wissenschaft verbreiten.5 Detailliertere inhaltliche Bild- und Hierarchieanalysen wären spannend, liegen aber noch nicht vor.6 Es fällt daher schwer, auf dieser Basis einen so prägnanten Test wie den Bechdel-Test für Wissenschaftsvideos zu konzipieren.
Wir sollten uns dennoch der Herausforderung stellen und uns überlegen, was spezifische Eigenschaften von Gender und Diversity, aber auch von Wissenschaftsvideos und dem Wissenschaftssystem sind, die in einen solchen Test mit einbezogen werden sollten. Und wie viele Tests braucht es überhaupt, um auch die ganze Vielfalt wissenschaftlicher Inhalte und Kontexte zu berücksichtigen? Haben Sie eine Idee, wie ein vergleichbarer Test für Wissenschaftsvideos aussehen könnte? Welche Aspekte müsste er berücksichtigen?
Schreiben Sie es gerne in die Kommentare. Auf eine spannende und konstruktive Diskussion – an deren Ende vielleicht ein oder mehrere neue Tests stehen!
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