„Früh übt sich, was ein Meister werden will.“ Auch wenn Eltern diese Redewendung zum Leidwesen ihres Nachwuchses häufig überstrapaziert haben, so hat sie doch einen wahren Kern: Wer den Dingen auf den Grund gehen möchte, kann damit gar nicht früh genug anfangen. Kinder-Universitäten leisten dazu einen wichtigen Beitrag.
Kinder-Unis: Ein Format mit ganz eigenem Charme
Kinder-Universitäten gehören im deutschsprachigen Raum seit vielen Jahren zum guten Ton – kaum eine Hochschule, die kein Angebot für eine Generation bereithält, die von einem „richtigen“ Studium noch viele Jahre entfernt ist. Dass sich dieses Format so lange innerhalb des breiten Spektrums vielfältiger Angebote in der Wissenschaftskommunikation gehalten hat, liegt nicht an fehlendem Einfallsreichtum der Kommunikatoren in Hinblick auf Alternativen. Sondern daran, dass dieses Format seinen ureigenen Charme hat.
Übereinstimmenden Berichten zufolge schlug die Geburtsstunde im Jahr 2002, als die Universität Tübingen in einer Kooperation mit dem „Schwäbischen Tagblatt“ die erste Kinder-Universität anbot. Reakteurin Ulla Steuernagel und Redakteur Ulrich Janßen bearbeiten bis heute Themen aus der Wissenschaft und der Medizin bei dieser Tageszeitung, und beide haben Bücher und Hörbücher über die Initialzündung verfasst, die ihnen damals in der schwäbischen Universitätsstadt gelungen ist.
Ulla Steuernagel hatte damals selbst Kinder in einem Alter am Übergang von der Grundschule auf weiterführende Schulen. Sie saß als Journalistin in einem Pressegespräch mit Professoren, von denen einige schon emeritiert waren. „Ich dachte mir, die haben so viel Wissen, außerdem so viel Zeit. Das könnte man doch eigentlich für Kinder anzapfen,“ erinnert sich die Redakteurin. Das Thema der ersten Vorlesung hat sie bis heute in Erinnerung – warum nämlich Vulkane Feuer speien. Doch würde es überhaupt Kinder geben, die sich für derlei Themen interessieren? So berechtigt diese vorsichtige Frage war, so eindeutig und erfolgreich fiel schließlich die Antwort aus: „Wir sind damals geradezu überrannt worden.“
Nicht zu fachlich, aber auch nicht zu banal
Witzige Begebenheiten, aber auch gruselige Elemente – von den Dozentinnen und Dozenten wird einiges erwartet, wenn sie ihr Thema klar, verständlich und kindgerecht vorstellen. Gelingt ihnen dies, werden sie mitunter wie Popstars gefeiert. Gelingt es nicht, erweist sich die Zielgruppe Kinder als gnadenlos. Wo höfliche Erwachsene einfach „abschalten“, fliegen in Kinder-Unis Papierflieger, entbrennen Wortgefechte um die Smartphone-App, und es wächst der Drang, unbedingt mal aufs Klo zu müssen. Eine wichtige Erkenntnis, die Ulla Steuernagel und Ulrich Janßen allen Experten mit auf den Weg geben: „Nicht zu sehr banalisieren.“ Ab und an ein Fachbegriff, der gut erklärt wird, das schade keinesfalls, denn: „Kinder mögen es zwar nicht, wenn sie überfordert werden, sie mögen es aber auch nicht, wenn sie unterfordert werden.“
Kinder-Universitäten sind in ihrem Einzugsbereich begrenzt, jedenfalls in ihrer klassischen Herangehensweise als face-to-face-Kommunikation in einem Hörsaal. Weit über regionale Grenzen einzelner Standorte von Hochschulen und Forschungseinrichtungen hinaus blicken die Experten beim European Children’s Universities Network (eucu.net) mit Sitz in Wien. Dort ist Cyril Dworsky für den internationalen Austausch der Kinder-Unis verantwortlich. Er stellt zunächst einmal fest: „Kinder-Universitäten lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Sie haben sich an unterschiedlichen Orten unterschiedlich entwickelt.“
Da kann es einerseits insbesondere darum gehen, aktuelle Forschung an die Öffentlichkeit zu bringen. Kinder-Universitäten sind dafür ein gut kommunizierbares Format. Sie haben darüber hinaus aber noch einen weiteren Vorteil: „Sie erzeugen sehr viel Sympathie.“ Dworsky weiß andererseits aber auch von Einrichtungen, die Kinder-Universitäten als „third mission“ neben Forschung und Lehre begreifen, als gesellschaftlichen Auftrag. Beispielsweise um gezielt Schülerinnen und Schüler anzusprechen, die eben keinem akademisch geprägten Elternhaus entstammen. „Und dazwischen“, so Dworsky über solche durchaus unterschiedlichen Zielsetzungen und Herangehensweisen, „dazwischen gibt es ganz viele Nuancen.“
Eine der drei Präsidentinnen von eucu.net, Karoline Iber, wird auf der Website des Verbandes mit einer Botschaft zitiert, die weit in die Zukunft weist: “Our changing society needs critical thinkers, people who do not believe everything they are told, people who are encouraged to stand up for their rights and the rights of other people.”
Wunderwerk Körper
Entworfen und zu Papier gebracht hat den niedlichen Bär der Hamburger Kinderbuch-Illustrator Thomas Röhner.Richten wir den Blick wieder aufs Bundesgebiet, genauer: nach Mannheim ins dortige Universitätsklinikum. Ein interessanter Fall, denn das wissenschaftliche Standbein dieser Einrichtung gehört nicht zur Universität Mannheim, sondern zur Universität Heidelberg. Folglich wird an der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) ausschließlich Humanmedizin als Studienfach angeboten. Das Haus machte aus dieser „Not“ eine Tugend und bot 2006 die erste und bundesweit einzige Kinder-Uni Medizin an.
Seither dreht sich in den zur Ferienzeit angebotenen Veranstaltungen alles um Gesundheitsthemen. Dies immer mit Bezug zu beeindruckenden Vorgängen im menschlichen Körper oder zu Erkrankungen, die Kinder selbst oder deren ältere Verwandte betreffen können. Verbunden mit verblüffenden Erkenntnissen, mit Aha-Erlebnissen, die in Erinnerung bleiben, mit Tipps für einen sorgsamen Umgang mit dem eigenen Körper – aber ohne moralinsaure Belehrungen.
So erfahren die Kinder im größten Hörsaal des Universitätsklinikums etwa, wie Knochen nach einem Unfall wieder zusammenwachsen, warum uns beim Karussellfahren schwindelig wird, oder warum uns die Bakterien im Darm nicht krank machen, sondern gesund erhalten. Doch der Ansatz des Klinikums geht über eine Kinder-Uni um der Kinder-Uni willen hinaus. „Natürlich wollen wir auch die Eltern ansprechen, wollen wir unsere medizinische Kompetenz gut nachvollziehbar darstellen, wollen wir die ganze Vielfalt von Diagnostik und Therapie nach außen deutlich machen,“ verweist Dirk Schuhmann, Sprecher des Mannheimer Universitätsklinikums auf einige wichtige Aspekte.
Wissen als Rohstoff
Bei einem so reifen Format stellt sich berechtigterweise die Frage: Hat sich die Idee der Kinder-Universitäten nicht in all den Jahren verbraucht, geht möglicherweise eine Ära zu Ende? Wie sinnvoll erscheint es, eine ohnehin schon bildungsfreudige Klientel noch schlauer zu machen? So vereinfacht sehen es die Organisationsteams nicht. Es geht eher um Veränderungen, die das eigentliche Konzept noch weiter fassen.
Ein so guter wie aufmerksamer Beobachter der Szene wie Cyril Dworsky attestiert, dass sich Themen und Zugänge mit den Jahren verändern. Manchmal werden die Veranstaltungen noch akkurater auf eine definierte Zielgruppe hin ausgerichtet, beispielsweise um das Interesse für naturwissenschaftlich-technische Fächer zu fördern. Manchmal entwickelt sich das klassische Geschichten-aus-der-Wissenschaft-Erzählen zu kindgerechten Workshops und Sommerakademien. Manchmal sind Vorlesungen für Sieben- bis Zwölfjährige ein prima Testfeld, um neue didaktische Konzepte auszuprobieren. Und, und, und, der Kreativität der Initiatoren sind keine Grenzen gesetzt.
Ulla Steuernagel hat einen ganz wichtigen weiteren Faktor für Veränderungen ausgemacht: „Mit der Einführung des Ganztagsunterrichts an Schulen haben die Kinder einfach nicht mehr so viel Zeit.“ Nicht ohne Grund richten sich entsprechende Angebote an zunehmend jüngere Kinder, die noch die Grundschule besuchen.
Was bleibt, ist die Sinnhaftigkeit der Kinder-Universitäten. Denn gerade für die westlichen Industrieländer gilt in besonderer Weise: Wissen ist der einzige Rohstoff, der sich bei Gebrauch vermehrt.