Auf Latest Thinking können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre aktuelle Forschung in strukturierten Videos vorstellen. Ein Gespräch mit Pajam Sobhani, CEO des Portals, über Videos als Zweitpublikationen, das zugrundeliegende Geschäftsmodell sowie zukünftige Pläne der Plattform.
Latest Thinking – „ein Journal mit Videopublikationen“
Herr Sobhani, was ist die Idee hinter Latest Thinking?
Unser Ausgangspunkt war die Frage: Wo ist eigentlich das Wissen der Welt zu finden? Die einfache Antwort lautet: Man findet es fortlaufend in rund 50.000 Journals und es werden immer mehr. Dann haben wir uns gefragt, wie wir es schaffen können, dieses Wissen so zu vermitteln, dass nicht nur eine Handvoll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Zugang zu diesem Wissen haben, sondern darüber hinaus auch Forschende benachbarter Disziplinen, Studierende und vor allem die interessierte Öffentlichkeit. Aufgrund der veränderten Sehgewohnheiten im Internet haben wir uns für ein Videoformat entschieden. Konkret heißt das: Forschende erklären im Video persönlich ihre Forschungsergebnisse, die sie gerade in einer Fachzeitschrift (oder Monographie) veröffentlicht haben.
Wie sind die einzelnen Videos aufgebaut?
Die Videos folgen einer festen Struktur mit jeweils fünf Kapiteln, die auch direkt abgespielt werden können: Forschungsfrage (Question), Methode (Method), Ergebnisse (Findings), Relevanz der Ergebnisse (Relevance) und Ausblick (Outlook). Auf diese Weise erfolgt ein strukturierter und qualitätsgesicherter Zugriff auf das aktuellste Forschungswissen und wird ein erster Einstieg zum jeweiligen Paper geboten. Die zugrundeliegende Publikation ist natürlich verlinkt und wir geben weiterführende Leseempfehlungen. Darüber hinaus illustrieren wir die Videos oder bauen Bild- oder Videomaterial ein.
Nun sind nicht alle Forschende medienaffin. Gibt es hier Hilfestellungen Ihrerseits?
Um die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bestmöglich vorzubereiten und Bedenken abzubauen, bieten wir Vorgespräche an, in denen wir schon mal den Ablauf besprechen. Auch während des Drehs findet ein strukturiertes Coaching mit einer erfahrenen Interviewerin bzw. einem erfahrenen Interviewer statt; gemeinsam mit dem Forschenden arbeitet dieser das Thema auf und macht es für Außenstehende verständlich. Darüber hinaus können wir einen Dreh innerhalb von zwei Stunden realisieren. Das ist ein wichtiger Faktor für die Bereitschaft der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die oft einen vollen Terminplan haben.
Wen wollen Sie mit den Videos erreichen?
Unsere Videos sind auf Englisch, dadurch erreichen wir ein internationales Publikum – nur 30 % unserer Nutzerinnen und Nutzer kommen derzeit aus Deutschland. Ganz prinzipiell sind unsere Videos für Studierende, Forschende benachbarter Disziplinen und auch die interessierte Öffentlichkeit geeignet. Wir schaffen es zwar, die Forschung verständlicher zu machen, doch das heißt nicht zwangsweise, dass es am Ende wirklich alle verstehen können. Um dieses Problem zu lösen, möchten wir in Zukunft weitere Formate entwickeln, die beispielsweise eine umfassendere Fragestellung behandeln oder gezielt Kinder und Jugendliche ansprechen.
Wie werden die Videos verbreitet?
Wir sehen unsere Plattform als einen Zugangsweg, aber wir müssen die Videos auch dorthin bringen, wo zusätzlicher Traffic existiert. Es sind eigentlich die klassischen Wege, die wir dafür nutzen. Einerseits haben wir einen eigenen Embedded Player, der die Unterteilung in die 5 Kapitel ermöglicht. Dieser wird auch von den Institutionen und den Forschenden selbst verwendet, um die Videos auf ihren eigenen Seiten einzubetten. Andererseits versuchen wir, die Forschenden dabei zu unterstützen, ihre eigenen Social-Media-Kanäle effizient zu bespielen.
Daneben experimentieren wir mit disziplinenspezifischen Kanälen. Dahinter steht die Annahme, dass sich die wenigsten etwa für Biochemie und Schwarze Löcher zugleich interessieren. Mit dem Spin-off @LT_Econ versuchen wir zum Beispiel, Ökonominnen und Ökonomen direkt anzusprechen. Damit machen wir bisher gute Erfahrungen. Wir müssen schauen, ob wir das auch für weitere Disziplinen so auffächern können. Denkbar wäre etwa ein allgemeiner Latest Thinking-Kanal mit den breiteren Themen, die auch für die Öffentlichkeit interessant und leichter verständlich sind und daneben die disziplinenspezfischen Kanäle für Forschende. Denkbar wären aber auch themenspezifische Kanäle für Forschende und Fachleute. Hier müssen wir erst lernen und verstehen, wie die internationale Wissenschaftslandschaft genau funktioniert.
Wie ist das Geschäftsmodell hinter Latest Thinking?
Dabei orientieren wir uns am Open-Access-Modell: Wir nehmen eine einmalige Gebühr für die Produktion der Videos. Die Videos laufen alle unter der CC-BY-Lizenz – können also mit Nennung von Latest Thinking von jedem verwendet werden. Auftraggeber kann eine Universität, eine Stiftung, eine Bibliothek oder auch der einzelne Forschende sein.
Man könnte sagen, das Video ist eine alternative Art der Veröffentlichung des Papers im Sinne von Open Access. Es verfügt auch über eine DOI-Nummer, sodass die Latest Thinking-Videopublikationen – wie jede andere Publikation – referenziert und in Bibliotheken aufgenommen werden können.
Gibt es eine Qualitätssicherung der Videoinhalte?
Aktuell nehmen wir noch einfache Hilfsmittel zur Hand, schauen etwa auf das Ranking des Journals und die dahinterstehende Institution. Bisher haben wir tatsächlich auch nur mit Forschenden sehr renommierter Institutionen zusammengearbeitet, insofern war die Qualität der Studien relativ leicht zu bewerten. Mit Blick in die Zukunft wollen wir Advisory Boards aufbauen, die uns dahingehend beraten. Im Gegensatz zu Youtube oder Vimeo wollen wir eine qualitätsgesicherte Wissenschaftsplattform sein.
Wissenschaftskommunikation ist ein breites Feld. Es reicht von Imagevideos über Podcasts zu Science Slams. Was ist das Besondere an Latest Thinking?
Beide Zielgruppen, also Wissenschaftlerinnen und Wissenschaflter sowie die Zuschauerinnen und Zuschauer sind uns wichtig. Einerseits bieten wir Forschenden eine seriöse Plattform und ein unkompliziertes Format, um sich und seine Forschungsergebnisse in hoher Qualität zu präsentieren und den Impact seiner Forschung zu erhöhen. Auf der anderen Seite ist Latest Thinking eine Plattform, auf der sich Nutzerinnen und Nutzer fernab von „Fake News“ schnell und kostenfrei informieren können.
Warum lohnt es sich für Forschende, sich und ihre Forschung bei Latest Thinking zu präsentieren?
Latest Thinking hilft Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus ihrer „Bubble“ herauszukommen und ihre Forschung seriös einem breiteren Publikum vorzustellen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich Forschende schwertun, ihre Arbeit in den Medien zu präsentieren, da sie Angst haben, dass die Inhalte verzerrt werden – da kann Latest Thinking helfen. Darüber hinaus wird von den Fördermittelgebern zunehmend verlangt, dass die Kommunikationsstrategie in einem Antrag auch die breite Öffentlichkeit berücksichtigt. Dafür möchten wir einen qualitätsgesicherten Standard bieten.