Foto: Staatliche Museen zu Berlin

museum4punkt0 – digitale Formate für Museen

Welches Potenzial bieten digitale Technologien für Bildung, Vermittlung und Partizipation? Mit dieser Frage ist 2017 das Projekt museum4punkt0 gestartet. Sieben Institutionen entwickeln darin digitale Angebote für die Besuchenden – und erschließen sich neue Arbeitsmethoden im musealen Alltag.

Interaktive Wissensvermittlung, personalisierte Informationen oder ein direkterer Austausch mit den Besucherinnen und Besuchern – digitale Technologien eröffnen Museen eine Fülle an Möglichkeiten, um ihre Themen und Sammlungen zugänglich zu machen. Um diese Potenziale auszuschöpfen und zugleich Methoden aber auch Hürden auf dem Weg von der Idee zum fertigen Digitalangebot zu dokumentieren, setzt museum4punkt0 auf interdisziplinären Austausch: Sieben Museen verschiedener Größe und Themenschwerpunkte untersuchen gemeinsam digitale Formate, die das Lernen, Entdecken und Teilhaben im Museum unterstützen. Dabei sind zahlreiche prototypische digitale Anwendungen entstanden, die derzeit evaluiert und weiterentwickelt werden:

 

Eine Besucherin fährt im VRlab mit dem Lunar Rover über die Mondoberfläche. Foto: Deutsches Museum

Mit einem Fokus auf 3D-Digitalisierung und -Visualisierung macht das Deutsche Museum Meisterwerke der Technik erlebbar. Im Münchner VRlab können Besucherinnen und Besucher seit August 2018 virtuelle Rekonstruktionen des Lunar Rovers, der Sulzer-Dampfmaschine oder des Benz-Motorwagens selbst steuern und deren Funktionsweisen kennenlernen.

 

 

Ansatz des Senckenberg Museums für Naturkunde: Virtuell unzugängliche Lebensräume bereisen. Bild: Uwe Vaartjes

Die Vermittlung von Biodiversität und Facetten der naturwissenschaftlichen Forschung sind Fokus des Senckenberg Museums für Naturkunde Görlitz. Bereits seit November 2017 testet das Museum hierzu an verschiedenen Orten in Deutschland die Virtual-Reality-Animation „Abenteuer Bodenleben“.

 

 

 

Zeitdokumente im Ausstellungsexperiment „Kriegsgefangen. Ohnmacht. Sehnsucht. 1914 – 1921“: Digital und analog erzählt wird die Geschichte der Hamburger Familie Schicht während und nach dem Ersten Weltkrieg. © Deutsches Auswandererhaus / Foto: Manuel Krane

Ziel des Deutschen Auswandererhauses Bremerhaven ist es, immaterielle Aspekte der Migrationsgeschichte zu verdeutlichen und einen interaktiven Austausch über Erfahrungen rund um Ein- und Auswanderung zu ermöglichen. Über das Ausstellungsexperiment „Kriegsgefangen. Ohnmacht. Sehnsucht. 1914 – 1921“ erprobte das Museum von August bis November 2018 etwa, wie sich historische und emotionale Aspekte von Migration digital transportieren lassen.

 

 

Momente aus der schwäbisch-alemannischen Fastnacht in einer 360°-Aufnahme. Foto: Fastnachtsmuseum Narrenschopf Bad Dürrheim

Emotionale Facetten immateriellen Kulturguts zu vermitteln, ist auch Ziel des Museum Narrenschopf Bad Dürrheim und des Fasnachtsmuseums Schloss Langenstein: Hierzu sind zahlreiche 360-Grad-Filme entstanden, die die Zuschauenden mitten ins Fastnachtsgeschehen versetzen. Zudem ist ein auf Machine Learning basierendes, in die Museumsräume integriertes Guidesystem im Test, das auf Inputs der Besucherinnen und Besucher individuell reagiert.

 

 

Besucherinnen können mittels VR-App auf zusätzliche Ansichten und Informationen der Museumsstücke zugreifen. Foto: Staatliche Museen zu Berlin / Ceren Topcu

Nach Monaten intensiver Besuchs- und Nutzungsforschung entwickeln die Staatlichen Museen zu Berlin nun Angebote, die das Museumserlebnis vor, während und nach dem Besuch digital ergänzen. Experimente zeigen dabei, wie sich etwa Augmented Reality kreativ nutzen lässt – zum Beispiel, um kulturhistorische Kontexte von Exponaten zu verdeutlichen oder Gruppenführungen interaktiv zu gestalten.

 

 

Im Humboldt Forum im Berliner Schloss können Besucherinnen mit der App „MeinObjekt“ auf Entdeckungsreise gehen. Foto: Christian Stein

Besucherinnen und Besuchern das Wissen im Museum mitgestalten zu lassen, ist Thema der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss. Hierzu wird das Video-Storytelling-Toolkit „kosmosdigital Humboldt Forum“ entwickelt. Es hilft verschiedenen Zielgruppen dabei, ihre Geschichten zu Exponaten einzubringen. Mit der App „MeinObjekt“ hingegen können Nutzerinnen und Nutzer ihr Lieblingsobjekt finden und sich auf Entdeckungsreise durchs Museum begeben.

 

Dieser Verbund mag unkonventionell erscheinen, hat aber Prinzip. Entworfen als Lernprojekt, legt museum4punkt0 Wert auf einen Erfahrungsaufbau in und Wissenstransfer zwischen den Institutionen. Basis hierfür ist ein explorativer Ansatz: Mit Prototypen werden Ideen getestet, verworfen, verfeinert oder adaptiert und die Erkenntnisse schließlich im Verbund geteilt. Dieser evaluierende Blick ist wichtig, denn nicht jede Technologie, die das Prädikat ‚neu und innovativ‘ trägt, passt auch zu den Anforderungen von Museen.

Technik allein ist kein Allheilmittel

Mobile App oder Webanwendungen, Virtual Reality-Tour oder Game, oder doch der neue Social Media-Trendkanal? Der Pool an technischen Möglichkeiten erweitert sich auch für Museen ständig. Wer aber die Frage nach der Technologie zuerst stellt, ist bereits auf dem Holzweg. Neue Technologien können nur dann ihr Potenzial für die Arbeit in Museen entfalten, wenn sie nicht um ihrer selbst willen, sondern als zielgerichtet genutzte Instrumente eingesetzt werden.

Ausgangspunkt für jedes neue digitale Format ist daher die Selbsterkundung: Welche Facetten der Sammlungen und Forschungsthemen lassen sich auf digitalen Wegen eindrücklicher transportieren, als auf analogen? Was sind die Bedürfnisse der Besucherinnen und Besucher und wie gehen wir bei der Produktentwicklung darauf ein? Diese und weitere Fragen diskutieren und erproben wir in museum4punkt0 anhand der entstehenden Anwendungen.

Als immersives Medium kann beispielsweise Virtual Reality (VR) solche Aspekte visualisieren, die sich anders schwer aufzeigen lassen. Dies macht sich das Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz zunutze: Ein Forschungsschwerpunkt des Museums ist die Bodenzoologie. Wie macht man aber Lebensräume greifbar, die unzugänglich und deren Bewohner mit bloßem Auge nicht erkennbar sind? Statt rein auf Zahlen, Daten und rohe Fakten zu setzen, nutzt das Museum Virtual Reality. In einer lebensecht gestalteten Umgebung und digital ‚geschrumpft‘, bewegen sich die Nutzerinnen und Nutzer auf Augenhöhe mit Springschwänzen, Würmern und Asseln durch den Waldboden. Ganz nebenbei lernen sie dabei Bewegungsmuster und Aussehen der verschiedenen Organismen kennen.

Auch wenn sich der virtuelle Perspektivwechsel in einem Kontext anbietet, so muss er unter Umständen in anderen hinterfragt werden: Was bedeutet es etwa, Menschen virtuell in die Rolle historischer Personen schlüpfen zu lassen? Wann verzerrt Immersion – etwa beim scheinbaren Nacherleben eines vergangenen Ereignisses – mehr, als dass sie beleuchtet? Mit solchen Fragen beschäftigt sich das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven. Es evaluiert Chancen und Grenzen digitaler Technologien bei der Kommunikation von Migrationsgeschichte. Ob sich eine Technologie eignet, ist also abhängig vom Vermittlungsziel und der eingesetzten Art der Inszenierung.

Der App-Prototyp legt zum Beispiel das Ergebnis einer Infrarotreflektografie direkt über das Originalgemälde – eine Ansicht, die sonst nur den Mitarbeiterinnen der Restaurierungswerkstatt vorbehalten ist. Foto: Staatliche Museen zu Berlin

Aus diesem Grund haben sich die Staatlichen Museen zu Berlin beim Digitalangebot für die Gemäldegalerie bewusst gegen VR entschieden. Noch während der Ideenfindung flossen sowohl die Vermittlungsziele der Kuratorinnen und Kuratoren sowie der Restauratorin, als auch Bedürfnisse befragter Besucherinnen und Besucher ein. Die Wahl fiel schließlich auf Augmented Reality (AR): Anders als VR verstellt AR nicht den Blick auf das fokussierte Originalgemälde. Vielmehr fügt AR der realen Umgebung ‚minimalinvasiv‘ eine digitale Ebene hinzu.1

Welche Materialien wurden auf der Rückseite verarbeitet?: In der Ausstellung bleibt der Flügelaltar geöffnet, per App lässt er sich aber schließen und so von allen Seiten genauer untersuchen. Foto: Staatliche Museen zu Berlin

Statt der räumlichen Isolation, die VR mit sich bringt, können die Besuchenden zudem weiterhin im Museum miteinander interagieren und die Ausstellung gemeinsam erleben. Der erste Prototyp der AR-Anwendung für die Gemäldegalerie macht sich diese Eigenheiten zunutze. Er legt Wert auf spielerisches Entdecken, Erkunden und Betrachten – ob nun allein oder im Kreis von Freundinnen und Freunden. Kunstwerke können zum Beispiel per App digital ,abgetastet‘ und verborgene Malschichten durch ein digitales Overlay zum Vorschein gebracht werden.

Empathische Produktentwicklung statt Arbeit am Reißbrett

Sind erste Vermittlungsziele und Konzepte formuliert, beginnt der spannendste Teil der Arbeit: der intensive Dialog mit den Besucherinnen und Besuchern. museum4punkt0 nutzt hierfür verschiedene Instrumente – von der quantitativen Besuchendenforschung, über Tiefeninterviews und Workshops zur Eingrenzung von Anforderungen bis hin zu Usability-Tests mit Prototypen. Solche Feedbackschleifen machen Stärken oder Schwächen der Konzepte und Technologien frühzeitig in der Praxis sichtbar.

Zugleich bezieht sich dieser dialogische Ansatz keinesfalls nur auf die Besuchenden. Eine wichtige, aber gern vergessene indirekte Nutzungsgruppe sind Angestellte des Museums: von den Kassenkräften, die erste Auskunft über das Angebot geben, über die IT, die die Wartung gewährleistet, bis hin zum Betreuungspersonal, das Besucherinnen und Besucher bei der Nutzung unterstützt. Wie stark sind diese Personen in die Entwicklung einbezogen? Wie gut sind sie informiert und wie praktikabel ist das technische Setup für sie gestaltet?

So ist eine einfache Handhabbarkeit ein Kernfaktor für das Fastnachtsmuseum Narrenschopf – ein kleines, vereinsgetragenes Haus, das auf ehrenamtliches Engagement angewiesen ist. Im Zuge von museum4punkt0 vermittelt das Museum die Dynamik der Fastnacht über 360°-Filme zentraler Bräuche. Dabei setzt das Projektteam auf Skalierbarkeit: Es bereitet die gleichen Aufnahmen für verschiedene Ausspielarten auf – einfache Cardboard-VR-Brillen, technisch komplexe VR-Brillen und eine 180°-Kuppelprojektion für Gruppen. Dem Personalmangel wirken die Entwickler durch eine systeminhärente Lösung entgegen: Eine intuitiv lernbare Menüführung in der VR-Anwendung soll Hürden für Besucherinnen und Besucher reduzieren und den Personalaufwand vor Ort minimieren.

Für das Deutsche Museum sind Fragen zum Betrieb von VR anders gelagert: Wie bettet man ein solches Digitalangebot in die komplexen Abläufe einer sehr großen Institution ein? Um die Anmeldelogistik, den Personalaufwand und verschiedene Nutzungszeiten seiner VR-Sequenzen im laufenden Betrieb evaluieren zu können, nutzt das Münchner Team ein gläsernes Labor. Drei VR-Stationen sind hier als immer sichtbare Dauertestfläche im Ausstellungsraum integriert. Sie liefert Daten für das spätere Betriebskonzept und für Leitfäden rund um die Betreuung.

Untersucht wird u. a., an welchen Punkten Betreuerinnen und Betreuer Hilfestellung geben müssen. Foto: Stiftung Preußischer Kulturbesitz / S. Faulstich, CC BY 4.0

Technisches Vokabular erweitern, Schnittstellenkompetenzen aufbauen

Ob App, Webanwendung oder VR-Tour – jedes neue Digitalangebot kann für Museen eine Chance sein, um digitale Kompetenzen aufzubauen. Die Partner von museum4punkt0 binden den Entwicklungsprozess daher eng an ihre Museen, selbst wenn externe Dienstleister involviert sind. Erfahrungen zur Technik, zu unerwarteten Nutzungsarten und Änderungen im Organisationsablauf macht man bei konventionellen Beauftragungen nämlich erst nach Inbetriebnahme – also dann, wenn bereits viele Ressourcen verbraucht sind und das Nachjustieren schwerfällt.

Digitales Know-how ist daher kein nettes Add-on, sondern im Selbstinteresse der Institution: Nur wer Kenntnisse zu den Ausdrucksmöglichkeiten neuer Technologien aufbaut, kann Ausschreibungen an externe Dienstleister sinnvoll gestalten. Und nur wer sich Methoden zur Nutzendenforschung aneignet und Raum schafft für Testszenarien weiß, was auf den späteren Betrieb zukommt.

All dies ist gewiss arbeits- und zeitintensiv – gerade dann, wenn sich ein Museum erst auf den Weg ins Digitale macht. museum4punkt0 teilt deshalb seine Erfahrungen: Die digitalen Anwendungen entstehen auf Open Source-Basis und werden zum Projektende zur Nachnutzung freigegeben. Ebenso publiziert der Verbund seine Erkenntnisse strukturiert und im Open Access. Das Ziel ist ein Wissenspool zur museumsspezifischen, digitalen Bildung und Vermittlung. Auf ihn sollen andere Kulturinstitution für ihre individuellen Entscheidungen zurückgreifen können.


Projektsteckbrief

Träger: museum4punkt0 – Digitale Strategien für das Museum der Zukunft ist ein Projekt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit ihren Staatlichen Museen zu Berlin in Kooperation mit dem Deutschen Museum, dem Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz, dem Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven, der Stiftung Humboldt Forum im Berlin Schloss sowie den Fastnachtsmuseen Schloss Langenstein und Museum Narrenschopf Bad Dürrheim.

Budget / Finanzierung: Das Projekt wird gefördert mit einer Gesamtsumme von 15 Millionen Euro durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.

Ziele: museum4punkt0 entwickelt, testet und evaluiert digitale Anwendung für Bildung, Vermittlung und Partizipation in verschiedenen Museumstypen und -infrastrukturen. Die entstehenden digitalen Angebote sollen Besucherinnen und Besuchern dabei unterstützen, sich museale Sammlungen und Themen möglichst abwechslungsreich zu erschließen und stärker an der Wissensbildung im Museum teilzuhaben. Die Projektergebnisse werden ab 2020 auch anderen Museen in Deutschland zu Nachnutzung zur Verfügung gestellt.

Zielgruppen: Die beteiligten Museen konzipieren die digitalen Anwendungen für vielfältige, auf ihre jeweiligen Sammlungsschwerpunkte zugeschnittene Zielgruppen unterschiedlichen Alters. Das Angebot richtet sich dabei an Besucher und Besucherinnen des physischen Museums als auch Onlinenutzerinnen und Nutzer. Die im Entwicklungsprozess dokumentierten Erfahrungen und Ergebnisse aus Testsessions und der Besuchenden- und Nutzendenforschung werden hingegen strukturiert für das Personal anderer Kultureinrichtungen aufbereitet und über die ebenfalls primär an Museumspersonal gerichtete Projektwebsite zur Verfügung gestellt.

Zahlen zur Zielerreichung: museum4punkt0 ist noch nicht abgeschlossen, sondern läuft bis Ende März 2020. Die bereits entwickelten Anwendungen werden noch bis zum Jahresende 2019 erforscht. Darüber hinaus sind derzeit zahlreiche weitere Prototypen im Entstehen. Aus diesem Grund können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Zahlen zur Zielerreichung angeben. Da museum4punkt0 ein Lernprojekt ist, sind für uns zudem „soft goals“ rund um den Aufbau von Knowhow im Museum von Bedeutung: Beispielsweise, dass einige der beteiligten Institutionen sich erstmals mit Verfahren der 3D-Digitalisierung befassen, partizipative Ansätze in ihr Vermittlungsprogramm inkludieren oder für ihre Institutionen ganz neue Workflows zum Umgang mit User Generated Content entwickeln.

Weitere Informationen: www.museum4punkt0.de


 

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.