Gemeinsam den Dialog mit der Öffentlichkeit verstärken: Mit diesem Ziel unterzeichneten vor 20 Jahren führende Vertreter der deutschen Wissenschaftsorganisationen das PUSH-Memorandum. Hannes Schlender blickt für uns zurück.
20 Jahre PUSH: Die Zeit war einfach reif dafür
PUSH – Public Understanding of Sciences and Humanities: Ein PUSH-Memorandum, unterzeichnet von neun Präsidenten und Vorsitzenden namhafter deutscher Forschungsorganisationen, Forschungsverbände und Forschungsförderorganisationen. Ein PUSH-Symposium. Ein PUSH-Aktionsprogramm des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft zur Förderung der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.
„Alles ging ruck, zuck“
Sich dem Thema PUSH zu nähern, scheint zunächst wie Detektivarbeit an einem Kriminalfall aus der Wirtschaft: Alles ist komplex; alles ist irgendwie miteinander verbunden; es gibt zahllose Akteurinnen und Akteure – und keiner ist’s gewesen. Wenn man Interviews führt, hört man ständig: „Das war ich aber nicht allein! Da müssen Sie unbedingt auch noch XY zu befragen. Der hatte einen viel größeren Anteil daran, als ich.“
Allerdings: Bei PUSH geht es nicht um das Wegschieben von Schuld. Den Interviewpartnern geht es darum, sich nicht ungebührend in den Vordergrund zu schieben. Geschätzten Kolleginnen und Kollegen soll ihr Anteil an der Ehre nicht geschmälert werden. Also nicht Mafia, sondern Team. Es muss ein besonderes Team gewesen sein, damals gegen Ende 1998 und im Frühjahr 1999, das sich zusammengefunden hatte, um der Kommunikation der deutschen Wissenschaft einen kräftigen Schubs zu geben.
Alles ging ruck, zuck: Es brauchte kaum mehr als ein halbes Jahr, um die wichtigsten Akteurinnen und Akteure an einen Tisch zu bringen und eine gemeinsame Aktion der deutschen Wissenschaft zu starten. Der 27. Mai 1999 war der Geburtstag von PUSH. Gefeiert wurde im Wissenschaftszentrum Bonn mit Unterzeichnung des PUSH-Memorandums, Ankündigung des Aktionsplans durch den Stifterverband und einer Pressekonferenz.
Man tut wohl niemandem Unrecht, wenn man Eva-Maria Streier und Ekkehard Winter als rechte und linke Herzkammern des Teams bezeichnet, das den 27. Mai vorbereitet hat. Winter ist heute Geschäftsführer der Deutschen Telekom Stiftung; vor zwanzig Jahren war er Programmmanager beim Stifterverband. Die heutige Agenturinhaberin Streier leitete damals die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Vorbild Großbritannien
„Mein Chef, Generalsekretär Manfred Erhardt, war mit Detlev Ganten befreundet, dem damaligen Präsidenten der Helmholtz-Gemeinschaft“, erinnert sich Winter: „Ganten hat das Thema Wissenschaftskommunikation bei Erhardt platziert.“ Als ehrenamtlicher Präsident der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte, der GdNÄ, wollte Ganten diese altehrwürdige wissenschaftliche Vereinigung stark machen im Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Dafür suchte er bei Erhardt die Unterstützung des Stifterverbands. „Erhardt fand das Thema wichtig, hatte aber selbst zu viel zu tun“, sagt Winter, „deshalb gab er mir den Auftrag, mich darum zu kümmern.“
Mit Winter traf es den richtigen Mann am richtigen Ort. Er absolvierte nämlich gerade eine dreimonatige Hospitanz bei einem britischen Research Council, bekam dort die intensive öffentliche Diskussion über „Public Understanding of Science“ im Vereinigten Königreich mit und war dementsprechend hochgradig sensibilisiert und motiviert. Er diskutierte mit Menschen aus den Medien, aus Pressestellen der Forschungseinrichtungen oder aus Museen, was man machen könne, um das Gespräch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft in Deutschland zu intensivieren – „am Anfang per E-Mail und Telefon, denn ich war ja noch in England“, wie er sagt.
Mehr als nur Flyer und bunte Broschüren
In der Arbeitsgruppe, die sich auf diese Weise bildete, spielte auch Eva-Maria Streier als Vertreterin der DFG eine zentrale Rolle. Auf die Frage, warum die Vorbereitungen für PUSH so schnell abgelaufen seien, meint sie: „Die Zeit war einfach reif dafür.“ Ende der 1990er-Jahre war die anfängliche Euphorie über die deutsche Wiedervereinigung verflogen. Die öffentlichen Budgets für Forschung wurden kleiner, und die Wissenschaft bangte um ihre Zukunft – und um ihr Renommee: Die Studierendenzahlen gingen nach unten. 1997 hatte dann auch noch ein Fälschungsskandal um eine Gruppe Krebsforschender erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit erregt.
Die Leitungen von Universitäten und Forschungsorganisationen hatten also guten Grund, sich um ihre Kommunikation und den Dialog mit der Gesellschaft ernsthafte Gedanken zu machen. Ironischerweise lenkte gerade der Fälschungsskandal die Aufmerksamkeit der Wissenschaftsmanager auf ihre Fachleute für Kommunikation, sagt Streier: „Die beteiligten Pressestellen hatten einen sehr guten Job gemacht und gezeigt, dass sie zu mehr in der Lage waren, als Flyer oder bunte Broschüren zu erstellen.“
Das Team um Winter und Streier bereitete also unter dem wohlwollenden Blick der Leitungsebenen von Forschungsorganisationen, Forschungsverbänden und Forschungsförderern das PUSH-Memorandum und ein PUSH-Symposium vor. Förderlich war dabei, dass der Politik das Thema ebenfalls am Herzen lag: „Der damalige Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Wolf-Michael Catenhusen, hat sich sehr in den Prozess eingebracht“, sagt Winter. „Er hatte die persönliche Unterstützung seiner Chefin, der Bundesministerin Edelgard Bulmahn“, wie Streier ergänzt.
„Die Leitungsebenen bekamen unser Papier erst relativ spät zu lesen“, erinnert sich Ekkehard Winter: „Es herrschte aber auch gar kein Dissens darüber, dass das, was im Memorandum stand, richtig und notwendig war.“ Die Kernforderungen waren: Wissenschaft sollte für Laiinnen und Laien besser verständlich dargestellt werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollte man mit einem Anreizsystem dazu motivieren, in einen Dialog mit der Gesellschaft zu treten. Entsprechende Leistungen von Forschenden in Zukunft zusätzlich zu wissenschaftlichen Kriterien bei Begutachtungen zu berücksichtigen, war erklärtes Ziel. Forschungseinrichtungen und Universitäten wurden aufgefordert, die erforderliche Infrastruktur für eine professionelle Wissenschaftskommunikation zur Verfügung zu stellen sowie entsprechende Lehr- und Weiterbildungsangebote zu entwickeln. Und zusätzlich erklärten die Präsidenten und Vorsitzenden, dass ihre Institutionen nun „ihre eigenen Aktivitäten immer wieder mit den Aktionen anderer in der Wissenschaft Tätigen abstimmen und koordinieren“ würden.
Guter Wille und gute Anschubfinanzierung
Große Ziele, große Worte. Doch Papiere wie das Memorandum bleiben ohne Folgen, wenn dahinter kein Geld steht. Der Mann, der den Einfluss und die Überzeugungskraft hatte, das im Falle des PUSH-Memorandums zu ändern, war Joachim Treusch, Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich in den Jahren 1990 bis 2006. Treusch wollte in Sachen Kommunikation eine gemeinsame Aktion der außeruniversitären Forschungsorganisationen, der DFG und des Stifterverbands auf die Beine stellen, erzählt Winter: „Er hat einige Tage vor der Unterzeichnung des Memorandums zum Telefon gegriffen und die Präsidenten der Helmholtz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft, der DFG und des Stifterverbands freundlich davon überzeugt, jeweils eine Million Mark für eine große Wissenschaftsmesse im Stile der amerikanischen AAAS-Versammlungen bereitzustellen.“ Auf dem Symposium, bei dem dann auch das Memorandum unterzeichnet wurde, konnte Treusch die Mittel „ernsthaft und zuversichtlich“ in Aussicht stellen. Das dokumentiert der Tagungsband. Eine Anschubfinanzierung war also da, zusätzlich zum guten Willen aller Beteiligten.
Und so wurde der 27. Mai 1999 ein großer Erfolg für die Initiatoren der PUSH-Bewegung: Auf dem Symposium stellten Kommunikatorinnen und Kommunikatoren aus den USA und dem Vereinigten Königreich ihre Erfahrungen mit dem öffentlichen Dialog zu Wissenschaft dar und führten – moderiert von TV-Wissenschaftsstar Ranga Yogeshwar, einem weiteren Teamplayer in der Vorbereitungsphase – intensive Diskussionen mit den etwa 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die Pressekonferenz war gut besucht und führte zu umfangreicher Berichterstattung in den großen deutschen Zeitungen.
Was wurde erreicht?
Dann ging es ans Eingemachte, nämlich an die Umsetzung des im Memorandum und auf dem Symposium Angekündigten. 20 Jahre war jetzt Zeit dafür. Jetzt, im Jahr 2019, stellen sich vor allem zwei Fragen: Was wurde erreicht? Und: Was muss jetzt getan werden – unter gänzlich veränderten medialen Rahmenbedingungen? Unterschiedliche Perspektiven auf diese Fragen sollen an dieser Stelle im Laufe des Jahres vorgestellt und analysiert werden. Die Perspektive der Wissenschaft, der Wissenschaftskommunikation, der Forschung über Wissenschaftskommunikation, der Forschungspolitik und vieler weiterer Akteurinnen und Akteure in diesem Feld.
Hannes Schlender berichtet in unserem Auftrag zu diesem Thema.
Weitere Beiträge zum PUSH-Jubiläum:
- Gastkommentar von Carsten Könneker auf der Webseite der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
- Kommentar von Jens Rehländer in der FAZ.
- Interview mit Joachim Treusch im Blog „Wissenschaft kommuniziert“ von Rainer Korbmann.
- Beitrag von Markus Weißkopf im Blog von Wissenschaft im Dialog