Die Philosophin Romy Jaster und ihr Fachkollege David Lanius beschäftigen sich in einem neuen Buch eingehend mit dem Phänomen der Fake News. Im Interview erklären sie, warum sich gefälschte Nachrichten mitunter rasant ausbreiten und was man dagegen tun kann.
„Wir brauchen generell eine Stärkung des kritischen Denkens“
Frau Jaster, Herr Lanius, vor Kurzem ist Ihr Buch zum Thema Fake News erschienen. Der Titel lautet: „Die Wahrheit schafft sich ab“. Die Ähnlichkeit zum Bestseller des ehemaligen SPD-Politikers Sarrazin ist wahrscheinlich kein Zufall?
David Lanius: Wir wollten natürlich zunächst einen Titel, der Aufmerksamkeit weckt – dass er etwas marktschreierisch rüberkommt, kam uns sogar entgegen. Später im Buch dient uns der Titel nämlich dazu, das Phänomen des „Clickbaitings“ zu illustrieren: durch sensationsheischende, unverhältnismäßige und potenziell irreführende Titel Leserinnen und Leser anzulocken. Die Parallele zu Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ ist dabei Absicht. Aus unserer Sicht hat Sarrazin eine Diskursverschiebung angestoßen, die möglicherweise heute noch die Verbreitung von Fake News beeinflusst. Sein Buch trug nämlich dazu bei, Leuten eine Stimme zu geben, die etablierte Medien ablehnen und als „Lügenpresse“ diffamieren.
Was sind Fake News – kurz erklärt?
Lanius: Wir definieren Fake News als Nachrichten, die sich durch zwei Mängel auszeichnen: Einen Mangel an Wahrheit und einen Mangel an Wahrhaftigkeit. An Wahrheit fehlt es, weil Fake News entweder falsch oder grob irreführend sind. Der Mangeln an Wahrhaftigkeit bedeutet, dass dahinter entweder eine konkrete Täuschungsabsicht steht oder aber eine „Bullshit-Einstellung“. Mit dieser Definition kann man auch gut erklären, was keine Fake News sind: nämlich zum Beispiel Verschwörungstheorien oder schlicht journalistische Fehler.
Das heißt, nicht alle Falschmeldungen sind Fake News?
Lanius: Richtig, es muss eine problematische Haltung hinter ihrer Verbreitung stehen. Zum Beispiel der Vorsatz, andere in die Irre zu führen. Das steckt bereits im Wort „Fake“ drin, was so viel wie Schwindel oder Täuschung bedeutet. Mit „Bullshit-Einstellung“ meinen wir, dass es den Verbreitenden schlicht egal ist, ob die Meldung auf Tatsachen basiert oder nicht. Das ist häufig bei Donald Trump zu beobachten, der Zahlen und Statistiken verbreitet, ohne sich um deren Wahrheitsgehalt zu scheren.
A propos Trump: Er hat den Begriff Fake News erst berühmt gemacht – als Kampfbegriff gegenüber US-Medien wie CNN. Manche Expertinnen und Experten raten daher dazu, den Begriff nicht zu verwenden. Weshalb haben Sie sich trotzdem dafür entschieden?
Romy Jaster: Tatsächlich wird der Begriff Fake News oftmals nicht benutzt, um sachlich ein Phänomen zu beschreiben, sondern als eine verbale Waffe im öffentlichen Diskurs. Trump hat den Begriff verbreitet, indem er den Ausdruck immer wieder auf diese Weise verwendet hat. Wir wollten aber besser verstehen, was genau damit gemeint ist. Welcher konkrete Vorwurf schwingt mit, wenn jemand diesen Begriff benutzt? Legt man unsere Definition an, sind natürlich viele Fake News, die zum Beispiel Trump bemängelt, gar keine – weil es keine Belege dafür gibt, dass etwa CNN absichtlich oder mit einer Bullshit-Einstellung Falschmeldungen verbreitet.
Sie sagen, die zweite Variante der Fake News sind keine komplett falschen Meldungen, sondern solche, die grob irreführend sind. Haben Sie dafür ein Beispiel?
Jaster: Auf der politisch weit rechts stehenden US-Webseite „Breitbart“ gab es Anfang 2017 die Nachricht, dass ein Mob muslimischer Männer in Deutschland eine Kirche in Brand gesetzt habe. Tatsächlich versammelte sich vor der Dortmunder Reinoldikirche am Silvesterabend eine Gruppe muslimischer Männer, die mit Feuerwerkskörpern um sich geschossen hat. Dabei ist das Fangnetz eines Baugerüsts, das um die Kirche herumstand, in Flammen aufgegangen. Der Brand war aber klein und ließ sich leicht löschen. Faktisch ist die Meldung von Breitbart daher wörtlich nicht falsch, aber sie ist irreführend. Gegen solche Fake News vorzugehen, ist ungleich schwerer als bei offensichtlich falschen Behauptungen.
Warum ist es für das Publikum offenbar so schwierig, Fake News zu erkennen – und ihrer Anziehungskraft zu widerstehen?
Jaster: Das ist in der Tat eine der zentralen Fragen unseres Buchs. Zum einen ist es oft so, dass Fake News meist sehr viele Merkmale erfüllen, die auch echte Nachrichten interessanter für die Leserschaft machen. Sie greifen etwa ein Thema auf, das gerade viel diskutiert wird – wie Geflüchtete –, und sie sind oft negativ und alarmistisch. Beides lässt uns aufhorchen.
Lanius: Einer der wichtigsten Faktoren ist , dass Fake News oft das verbreiten, was viele Leute ohnehin für wahr halten. Das spielt einer Verzerrung unseres Denkens in die Hände, die Psychologen als „Bestätigungsfehler“ kennen. Demnach nehmen wir mit Vorliebe solche Informationen wahr, die zu unserer bereits bestehenden Weltsicht passen. Wir halten diese Nachrichten auch für glaubwürdiger und können uns später besser daran erinnern.
Welche Rolle spielen Social Media für die Verbreitung von Fake News?
Jaster: Natürlich gab es auch früher schon Halbwahrheiten und Gerüchte, die böswillig in die Welt gesetzt wurden. Aber in Online-Netzwerken haben Fake News besonders leichtes Spiel. Das hat verschiedene Gründe. Zum Beispiel orientieren sich die meisten Menschen grundsätzlich stark an dem, was andere in ihrem Umfeld für wahr halten. Wenn also ein beträchtlicher Teil der Facebook-Freunde einer Person eine Nachricht teilt, glaubt diese Person das vielleicht allein deshalb schon. Ein weiteres Phänomen ist das der Echokammer. Sie entsteht, wenn wir uns nur mit Gleichgesinnten umgeben, die zum Beispiel unsere politische Einstellung teilen. In solchen Echokammern verbreiten sich dann auch Fake News schneller, die einer bestimmten Denke entsprechen.
Sie beschreiben die US-amerikanische Gesellschaft als stark in zwei politische Lager gespalten. Nimmt auch in Deutschland die Polarisierung zu?
Lanius: Zum Glück ist die deutsche Gesellschaft und Medienlandschaft diverser als in den USA, aber es gibt auch Parallelen. In beiden Ländern ist der rechte Rand des politischen Spektrums in den letzten Jahren sichtbarer geworden. Kennzeichen dieser Szene ist hier wie da, dass sie kaum Austausch mit den eher moderaten Kräften in der Bevölkerung pflegt. Das zeigt sich beispielsweise am Medienkonsum: Eine Studie in Deutschland ergab, dass die Wähler der meisten Parteien einen breiten Mix an journalistischen Produkten konsumieren. Das gilt aber nicht für Sympathisanten der AfD. Diese informieren sich stark durch Medien, die gemäßigt eingestellt Wähler eher meiden, vor allem die von Russland gelenkten Portale wie RT Deutsch oder Sputnik.
Wenn diese Personen ganz andere Nachrichten konsumieren als der Rest der Bevölkerung, kann man dann mit ihnen noch über Fake News diskutieren?
Lanius: Da sollte man nicht zu früh aufgeben. Viele sind durchaus noch empfänglich für Argumente, man kann sie in einen demokratischen Austausch zurückholen. Aber durch den häufigen Konsum von Fake News halten gerade AfD-Anhänger oft Dinge für wahr, die nachweislich falsch sind, etwa was die Kriminalität durch Geflüchtete angeht. Das macht die Diskussion schwierig. Denn einige Prämissen muss man teilen, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Zum Beispiel, dass die offiziellen Kriminalstatistiken im Großen und Ganzen korrekt sind.
Psychologische Fehlschlüsse und Verzerrungen treffen im Prinzip alle Menschen. Trotzdem schreiben Sie, dass Fake News im rechten Lager verbreiteter sind. Gibt es dafür Belege?
Jaster: Es gibt mehrere empirische Studien darüber, in welchem Umfeld Fake News besonders gut gedeihen. Die belegen, dass Trump-Fans und AfD-Sympathisanten häufiger Fehlinformationen verbreiten als Anhänger der demokratischen Parteien. Das zeigt sich besonders bei bestimmten, im rechten Lager stark emotionalisierten Themen wie der so genannten „Flüchtlingskrise“,„korrupten Eliten“ oder der „Lügenpresse“.
Warum könnte das so sein, dass Menschen mit rechtsextremen oder rechtspopulistischen Anschauungen anfälliger für Fake News sind?
Lanius: Untersuchungen zeigen zum Beispiel, dass politisch rechts eingestellte Personen anfälliger für Verschwörungstheorien sind. Das Problem ist ganz grundlegend: Wenn jemand den etablierten Medien, der Wissenschaft und anderen Autoritäten nicht mehr glaubt, hat er Schwierigkeiten, überhaupt an gesicherte Informationen zu kommen. Das macht anfälliger für Fake News. Zudem gibt es möglicherweise relevante Unterschiede in der Moralpsychologie zwischen rechtskonservativ und linksprogressiv eingestellten Menschen. Wer rechts der Mitte steht, schätzt eher Werte wie Loyalität gegenüber der eigenen Gruppe, Treue und Stolz. Diese sprechen Fake News häufig an, um Emotionen wie Empörung, Wut oder Angst auszulösen.
Wie sieht es mit Fake News in Bezug auf die Wissenschaft aus?
Jaster: Grundsätzlich funktionieren Fake News in der Wissenschaft ganz analog zu politischen Fake News. Man muss hier allerdings Fake News klar trennen vom Begriff der „Fake Science“ – das sind vermeintlich wissenschaftliche Erkenntnisse, die aber ebenfalls mit einer Täuschungsabsicht oder „Bullshit-Einstellung“ generiert wurden. Die ursprüngliche Studie über den Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus – die schon lange zurückgezogen wurde – ist dafür ein Beispiel. Sie entstand durch wissenschaftliches Fehlverhalten und Korruption. Noch einmal etwas anderes sind sogenannte Pseudowissenschaften, darunter Homöopathie oder Ufologie. Hier glauben die Betreibenden nämlich selbst an ihre Wahrheit.
Was kann man gegen Fake News unternehmen?
Jaster: Neben Faktenchecks und dem gezielten Löschen von Fake News heißt es meist, man müsse die Medienkompetenz der Nutzerinnen und Nutzer verbessern. Das stimmt, aber wir würden noch weiter gehen und sagen: Wir brauchen generell eine Stärkung des kritischen Denkens. Dazu gehört auch das Wissen um unsere eigenen kognitiven Fehlschlüsse, etwa den Bestätigungsfehler. Das müsste schon in der Schule gelehrt werden. Denn nur, wenn man sich dieser Verzerrungen bewusst ist, kann man aktiv gegensteuern und zum Beispiel auch gezielt nach Informationen suchen, die die eigene Meinung nicht stützen.
Lanius: Dazu gehört dann auch die passende Streitkultur, in der man eigene Fehler eingesteht. Wir schlagen insgesamt drei Maßnahmen vor, um Fake News langfristig und nachhaltig entgegenzuwirken. Die erste Maßnahme ist, wie eben genannt, kritisches Denken von der Schule auf zu lernen. Die zweite Maßnahme betrifft das Praktizieren einer besseren öffentlichen Streitkultur – hier könnten die Medien und Politik mit gutem Beispiel vorangehen. Und die dritte Maßnahme, die die ersten beiden verbindet, besteht darin, unsere gesellschaftlichen Debatten und Entscheidungsmechanismen „foolproof“ – also idiotensicher – zu gestalten. Das heißt, kritisches Denken und eine konstruktive Streitkultur durch strukturelle Anreize systematisch zu befördern. Zum Beispiel, indem die sozialen Medien uns Nutzerinnen und Nutzer aktiv durch einen veränderten Newsfeed oder Extra-Buttons dazu einladen, uns mit Andersdenkenden auszutauschen und unsere bestehenden Meinungen zu hinterfragen.