Natalie Grams kommuniziert kritisch über Homöopathie. Dafür bekommt die Ärztin, die früher selbst Homöopathie praktiziert hat, viel Gegenwind. Trotzdem lohne es sich, sagt sie im Interview. Sie versucht, durch einen narrativen Ansatz Menschen persönlich anzusprechen und bedient sich dabei verschiedener Medien.
„Letztlich muss man Gegengeschichten erzählen“
Frau Grams, Sie haben sich von einer überzeugten Anhängerin zur Kritikerin der Homöopathie entwickelt. Wie ist es dazu gekommen?
Ich war, übertrieben gesagt, in der Homöopathie gefangen. Die kritischen Informationen von außen habe ich über lange Zeit verdrängt und verweigert. Eigene Zweifel – weil ich die Wirkungsweise der Homöopathie nicht erklären konnte – führten zum Versuch, sie zu verteidigen. Irgendwann musste ich aber einsehen, dass die Kritiker und Kritikerinnen die besseren Argumente hatten. Mir wurde immer klarer, dass ich keine unwiderlegbaren Argumente für die Homöopathie finden konnte. So habe ich mich von der klaren Befürworterin immer mehr zur Kritikerin entwickelt. Als ich angefangen habe, mein bisheriges Wissen oder vielmehr meinen Glauben an die Homöopathie infrage zu stellen, war ich sehr froh über Angebote im Internet, die wissenschaftlich darüber berichtet und aufgeklärt haben. Am Wichtigsten waren dabei leicht verständliche Informationsplattformen wie www.gwup.org und www.beweisaufnahme-homoeopathie.de. Diesen Ansatz versuche ich heute aufzugreifen und noch einfacher und noch breiter fortzuführen.
Sie kommunizieren sehr aktiv und persönlich. Wen wollen Sie damit ansprechen?
Ich habe mit meinem Buch „Homöopathie neu gedacht“ den Wunsch gehabt, mit Homöopathen und Homöopathinnen ins Gespräch zu kommen. Auch wenn es natürlich schmerzlich ist, die eigene Lehre und den eigenen Lebensunterhalt so infrage zu stellen. Ich dachte, wenn ich das alles nicht wusste, wissen das meine Kolleginnen und Kollegen auch nicht. Dieser Ansatz ist grandios gescheitert. Mit „Nestbeschmutzern“ wie mir wollten sie nicht reden. Nachdem mir dieser Dialog, den ich mir sehr gewünscht hätte, nicht gelungen ist, entdeckte ich neue Gesprächspartner: die vielen Kritikerinnen und Kritiker, die über Homöopathie aufklären, die Skeptikerinnen und Skeptiker und Forschende. Aus dieser Situation heraus entstand das Informationsnetzwerk Homöopathie. Mit dem klaren Wunsch, mit den Menschen zu sprechen, die der Homöopathie vertrauen.
Wie sprechen Sie diese Personen an?
Dabei wählen wir einen persönlichen, sehr narrativen Ansatz. Das Internet ist voll von positiven Geschichten zur Homöopathie, nach dem Motto, „Mir, meiner Oma, meinem Dackel hat es geholfen“. Mit starren Fakten kommt man da oft nicht weiter. Man muss letztlich Gegengeschichten erzählen, freundlich Informationen anbieten, ohne jemanden zu verurteilen. Das haben wir versucht und es funktioniert ziemlich gut.
Wie merken Sie, dass diese Gegengeschichten bei Ihrer Zielgruppe Gehör finden?
Ich freue mich über Rückmeldungen wie „Ich hab durch Ihre Geschichte erstmals gesehen, dass es zwei Seiten gibt“, „Mir ist bewusst geworden, was der Placebo-Effekt wirklich ist und dass er nichts mit Einbildung zu tun hat. Endlich fühle ich mich nicht verurteilt“, „Irgendwie hat es Vertrauen geschaffen, dass Sie auch Mutter sind und das Beste für Ihre Kinder wollen“.
Welche Medien nutzen Sie zur Kommunikation?
Ich nutze verschiedene Plattformen. Ich schreibe Blogeinträge und eine Kolumne für Spektrum der Wissenschaft. Ab und zu kann ich einen Gastbeitrag in Zeitschriften platzieren. Bücher finden leider wenig Beachtung, obwohl ich sie persönlich für wichtig halte. Dort hat man Zeit und Platz, alle Gedanken auszuführen und kann deswegen auch ruhig bleiben. In den sozialen Medien ist man immer etwas emotionaler. Dort passe ich meinen Stil dem jeweiligen Medium an. Auf Twitter agiere ich zum Beispiel ganz anders als auf Facebook. Twitter lebt von Empörung und Verkürzung. Dazu muss man leider auch sagen: Je polemischer, je kürzer oder pointierter man wird, desto größer ist die Reichweite. Das verleitet einen natürlich dazu, Stimmung zu schüren. Das merke ich auch bei mir selbst. Manchmal ist man hin und her gerissen zwischen nüchternen Sachinformationen, die notwendig sind, und humorvollen oder satirischen Inhalten, die mehr Menschen erreichen. Deswegen versuchen wir auf den Seiten des Informationsnetzwerks Homöopathie ganz bewusst zu mischen: Mal etwas Lustiges, mal etwas Ernstes, mal ein Interview, mal ein Comic, mal eine Studienanalyse.
Wegen Ihrer Einstellungen zur Homöopathie stehen Sie oft auch persönlich in der Kritik. Wie gehen Sie damit um?
Das ist und bleibt schwer. Es ist schade, wenn die eigentliche Sachdiskussion auf eine persönliche Ebene gezogen wird. Dann fällt es mir auch schwer, einen Schritt zurückzutreten, um nicht auch persönlich zu werden. Gerade bei Diskussionen in den sozialen Medien kann man in emotionale Wallung geraten. Wenn ich aus der Diskussion aussteigen möchte, bitte ich jemanden aus meinem Team vom Informationsnetzwerk Homöopathie zu übernehmen. Sie schalten sich dann mit ihrem Account in die Debatte ein, damit man nicht alleine diskutieren muss.* Damit ist gewährleistet, dass wir nicht emotional werden.
Darüber hinaus habe ich gemerkt, dass es hilft, wenn ich zu Verleumdungen selbst Stellung nehme. Dann sind die Leute sehr schnell ruhig. Ob sie daraufhin ihre Meinung ändern, ist wieder eine ganz andere Sache. Ich denke aber auch immer an Mitlesende.
Welcher Kritik müssen Sie sich aussetzen?
Warum lohnt es sich trotz dieser persönlichen Angriffe, am Ball zu bleiben?
Es gibt natürlich Tage, da stelle ich mir diese Frage auch. Aber im Grunde zeigen genau diese Reaktionen, dass es nötig ist zu erklären, was Homöopathie wirklich ist: Es ist ein Glaube. Und entsprechend irrational wird er verteidigt. Die irrationalen Reaktionen zeigen mir, dass wir auf der sachlich, informativen Ebene noch viel zu tun haben. Was mich letztlich motiviert ist der Gedanke: Wenn es mir gelungen ist, alles richtig einzuordnen, dann muss es anderen doch auch gelingen.
Was haben Sie aus Ihren vielen Debatten gelernt?
Ich finde zwei Dinge sehr wichtig. Erstens sollte man freundlich bleiben. Gegenseitiges anfeinden, beschuldigen oder lächerlich machen führt nur zu einer Verhärtung der Fronten. Wenn es überhaupt nicht mehr sachlich zugeht, bricht man eine Diskussion lieber auch mal ab und blockt entsprechende Personen. Ich persönlich mache keine Endlosdiskussionen mehr. Das habe ich am Anfang gemacht, weil ich dachte, man könnte damit jemanden überzeugen. Meine Erfahrung ist: Wenn man nach ein oder zwei Kommentaren nicht sieht, dass der andere in irgendeiner Form auf die Argumente eingeht, erreicht man denjenigen nicht. Zumindest nicht in dieser Diskussion.
Zweitens sollte man auf Kommentare reagieren und sie nicht einfach stehen lassen. Gerade auch bei persönlichen Anschuldigungen.
*Anmerkung der Redaktion: Diesen Satz haben wir nach Veröffentlichung des Interviews noch einmal präzisiert, um den Ablauf zu verdeutlichen.