Foto: Antonia Rötger

Wovon träumt ein Dinosaurier? Kreatives Schreiben im Naturkundemuseum Berlin

Zu welchen Geschichten regt die Sammlung des Museums für Naturkunde Berlin an, wenn man sich ihr einmal aus kreativer Sicht nähert? Diese Frage stand im Fokus der acht Termine des Projekts „Schreibwerkstatt Wunderkammer“, in dem kreatives Schreiben als Werkzeug für die Vermittlung von Wissenschaft getestet wurde. 

Wie kam es zu diesem Projekt?

Die Idee zu einer „Schreibwerkstatt“ war auf einer „Guerillakonferenz zur Wissenschaftskommunikation“ entstanden, die Jörg Weiss von der Agentur con gressa organisiert hatte, mit dem Ziel, Ideen zu sammeln, aus denen sich neue alternative Formate entwickeln lassen. Wissenschaftskommunikation läuft oft darauf hinaus, dass der Experte oder die Expertin erklärt, während die Laien und Laiinnen nur zuhören. Schreiben ist dagegen ein aktiver Prozess. Wer schreibt, setzt sich mit dem Gegenstand gründlich auseinander, tut dies aber immer aus der eigenen Perspektive, bringt persönliche Assoziationen ein und entwickelt neue, eigene Fragen. Dadurch verändert sich die Rolle der Expertinnen und Experten, sie begleiten eher auf einem kurzen Wegstück in diesem Prozess. Das wollten wir hier ausprobieren.

Gemeinsam haben wir das Pilotprojekt konzipiert, um einerseits das kreative Schreiben als eine Möglichkeit der neuen Beschäftigung mit wissenschaftlichen Inhalten zu testen und andererseits neue Perspektiven auf die Inhalte und Sammlungen des Museums für Naturkunde zu ermöglichen. Das Museum für Naturkunde möchte Sammlungen und Forschung für unterschiedliche Perspektiven öffnen und einen Dialog zwischen Besuchenden und Forschung ermöglichen. Hierfür wird in Kürze das “Experimentierfeld für Partizipation und offene Wissenschaft” eröffnet. Auf einer großen Fläche innerhalb des Ausstellungsrundgangs entstehen dort unterschiedliche Räume für innovative Dialogformate zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Damit sollen Themen des Museums für Besucherinnen und Besucher auf vielfältige Weise erfahrbar werden, sie sollen sich aber auch selbst einbringen können.

Ziel der „Schreibwerkstatt“ war es, zu testen, wie ein solcher Kurs in den Räumen des Museums für Naturkunde bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ankommt. Dabei sorgte das Museum für Einblicke in die Sammlungen und Forschungsthemen. Im Schreibtraining gab es außerdem Impulse für die kreative Beschäftigung mit den wissenschaftlichen Themen und Sammlungsobjekten.

Das Naturkundemuseum bietet eine Fülle an Materialien zur Inspiration – bei dem Projekt entstanden eine ganze Reihe von Geschichten und Gedichten. Foto: Antonia Rötger

Bei der Konzeption hatten wir noch an eine Zusammenarbeit mit der Volkshochschule gedacht, die bereits einige Kurse im Museum für Naturkunde organisiert. Dies war kurzfristig jedoch nicht zu realisieren. Also nahm Wiebke Rössig die Organisation selbst in die Hand. Als Ko-Dozentin (neben Antonia Rötger) konnten wir Elisabetta Abbondanza gewinnen, die einen literarischen Hintergrund hat und kreatives Schreiben unterrichtet. Um Interessierte auf dieses neue Angebot aufmerksam zu machen, haben wir die Information über die Öffentlichkeitsarbeit des MfN und über eigene Kanäle und Netzwerke breit gestreut.

Das Konzept

Die Schreibwerkstatt fand freitags von 16:00 bis 18:00 in den Räumen des MfN statt. An jedem zweiten Freitag stellte eine Expertin oder ein Experte des MfN eine nicht öffentliche Sammlung vor. Wir besuchten den Knochenkeller, die Spinnensammlung und die Sammlung der fossilen Wirbellosen, konnten die Objekte ganz aus der Nähe betrachten und in lockerer Atmosphäre hemmungslos alle Fragen stellen. Die Termine ohne Führung waren mit Schreibanregungen gefüllt, etwa zur Wahrnehmung mit allen Sinnen, zu Assoziationen, Erinnerungen und Gefühlen. Das gegenseitige Vorstellen der eigenen Texte in der Gruppe nahm viel Zeit in Anspruch. Zur Vorbereitung auf die öffentliche Lesung haben wir alle ausgewählten Texte lektoriert. Die Lesung war für uns ein großer Erfolg, etwa 40 Gäste haben zugehört.

Und wie geht es weiter?

Aus dem Kreis der Teilnehmerinnen kam der Wunsch, dieses Angebot fortzusetzen. Wir möchten die Schreibwerkstatt allerdings gerne für Schreibinteressierte jeden Alters und jeder Erfahrungsstufe öffnen und werden das Konzept etwas abwandeln. Eine Rückmeldung war, dass es schwierig ist, über mehrere Monate jeden Freitagnachmittag freizuhalten. Daher denken wir nun an ein Angebot, das jeweils für einen Monat buchbar ist: Jeden Monat wird zu Beginn eine verborgene Sammlung gezeigt, in den drei Folgeterminen gibt es Anregungen zum Schreiben, Gelegenheit zum Austausch über die Texte und Vorschläge und Übungen, wie sich Texte überarbeiten lassen, damit sie besser zum Ausdruck bringen, was die Autorin oder der Autor sagen will.

Wie ist es, als Spinne aufzuwachen und die alte, viel zu enge Haut abzustreifen? Wovon träumt ein Dinosaurier? Welche Geschichte erzählt ein alter Stein? Foto: Antonia Rötger

Dazu könnten unterschiedliche Dozentinnen oder Dozenten jeweils ihre eigenen Schwerpunkte einbringen. Nach einigen Monaten Schreibwerkstatt könnte eine Auswahl der Texte veröffentlicht werden, zum Beispiel als hauseigene Reihe, liebevoll lektoriert und illustriert im Museumsshop für einige Euro. Einige der kürzeren Geschichten eignen sich auch sehr gut, um auf Hörstationen dem Museumspublikum einen anderen Einblick in naturkundliche Objekte zu vermitteln.

Die Teilnehmerinnen haben im Anschluss den Kurs überwiegend sehr positiv bewertet, sie waren von den Sammlungen und wissenschaftlichen Projekten begeistert und haben viel davon in ihren Texten kreativ verarbeitet. Dies bestätigt das Museum für Naturkunde darin, den Kurs fortzusetzen und die Produkte der Teilnehmenden auch nachfolgenden Besuchenden zugänglich zu machen.

 


Projektsteckbrief

Träger: Museum für Naturkunde

Budget/Finanzierung: Kursgebühr pro Teilnehmer: 60 Euro für acht Termine. Insgesamt gab es 12 Teilnehmerinnen. In der Kursgebühr eingeschlossen war kostenfreier Eintritt ins Museum. Zusätzlich hat das Museum pro Teilnehmerin eine Freikarte für die Lesung vergeben. Aus den Kursgebühren konnte das Honorar für zwei Dozentinnen (720 Euro) gezahlt werden. Das Museum stellte die Räume sowie die Führungen durch Museumsexpertinnen und -experten und die Freikarten.

Ziele (quantitativ/qualitativ): Museum öffnen, nicht nur zur passiven Rezeption, sondern auch zur kreativen Gestaltung / Konstruktion von Wirklichkeit

Zielgruppen: Erwachsene (ab Jugendalter), die gerne schreiben

Zahlen zur Zielerreichung: Von den ursprünglich 12 Teilnehmerinnen sind 10 bis zum Schluss dabei geblieben. Diese waren sehr aktiv und haben in der Lesung Beispiele aus ihren Arbeiten vorgestellt. Zwei Teilnehmerinnen sind aus unterschiedlichen Gründen abgesprungen.

Feedback der Teilnehmenden: Im Anschluss an den letzten Kurstermin wurden die Teilnehmerinnen gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Der Kurs wurde durchgehend sehr positiv beurteilt, sowohl bezüglich der Anleitung des Schreibprozesses und der Möglichkeit, selber kreativ zu werden als auch bezüglich der besonderen Einblicke in die Sammlungen des Museums für Naturkunde.

Die Teilnehmerinnen gaben je zur Hälfte an, sich wegen der Einblicke in die Sammlungen und wegen der kreativen Impulse zum Kurs angemeldet zu haben. Offenbar wurden die Erwartungen sehr gut erfüllt, denn auf die offene Frage nach neuem Wissen und neuen Fähigkeiten nannten die Befragten insbesondere neue Einblicke in naturwissenschaftliche Themen, aber auch neue Fähigkeiten im kreativen Schreiben.

Viele Teilnehmerinnen wünschten eine Fortführung des Kurses und besonders die Abschlusspräsentation fand großen Zuspruch.

Die drei beteiligten Museumsmitarbeitenden, die die Gruppe in „ihre“ Sammlungen führten und für Fragen bereitstanden, gaben ebenfalls ein sehr positives Feedback. Sie empfanden es als spannend, einer Gruppe gegenüberzustehen, die die Informationen in literarischen Texten verarbeiten würde und waren sehr gespannt auf die entstandenen Texte.

Ausblick: Der Kurs soll fortgeführt werden. Zudem strebt das Museum eine Veröffentlichung ausgewählter Texte in einem regelmäßigen Sammelband an. Hierbei sollen die unterschiedlichen Perspektiven auf die Objekte und Forschungsthemen des Museums aufgegriffen und für Besuchende des Museums innerhalb des öffentlichen Bibliotheksbereichs erfahrbar gemacht werden. Langfristig sollen die Autorinnen und Autoren ihre Geschichten auch für Hörgeschichten einsprechen können.

Organisation: Dr. Wiebke Rössig ist Politikwissenschaftlerin und Ethnologin und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Partizipation an Forschung und naturwissenschaftlich geprägten Debatten. Sie leitet die Entwicklung des „Experimentierfeldes für Partizipation und offene Wissenschaft” im Museum für Naturkunde Berlin..

Dozentinnen: Dr. Antonia Rötger ist Physikerin und arbeitet seit 20 Jahren im Wissenschaftsjournalismus und in der Wissenschaftskommunikation. Außerdem hat sie eine Ausbildung im kreativen Schreiben absolviert.

Dr. Elisabetta Abbondanza leitet Schreibgruppen und Kurse für kreatives und literarisches Schreiben. Die Literaturwissenschaftlerin und Drehbuchautorin hat bereits mehrere eigene Bücher publiziert.

Weitere Informationen: https://www.museumfuernaturkunde.berlin/de/museum/veranstaltungen/schreibwerkstatt-wunderkammer/ 


Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.