Gesinnungswandel bei kontroversen Themen, das Vertrauen von wissenschaftlichen Laien in Forschungsergebnisse und eine nicht vorhandene „Schweigespirale“ bei wissenschaftlichen Diskussionen: Das sind unsere Inhalte im aktuellen Forschungsrückblick.
Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Dezember 2018
In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Ergebnisse aus der Forschung zur Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.
Kontroverse Themen: Gesinnungswechsel regen zum Nachdenken an
Bei Themen, die in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden, gibt es immer wieder „Überläufer“ – Menschen, die ihre Meinung ändern und zum gegnerischen Lager wechseln. Ein bekanntes Beispiel in Deutschland ist beispielsweise die Ärztin, frühere Homöopathin und nun scharfe Homöopathie-Kritikerin Natalie Grams. Ein Forschungsteam um Benjamin Lyons von der University of Exeter hat am Beispiel der grünen Gentechnik untersucht, wie sich die Kommunikation eines solchen Gesinnungswandels auf die Einstellungen zum Thema auswirkt.
Methodik: Lyons und seine Kolleginnen nutzten die Geschichte des britischen Autors und Umweltaktivisten Mark Lynas, der sich vom Gegner zum Befürworter der grünen Gentechnik wandelte. 727 Versuchspersonen aus den USA sahen einen von drei kurzen Video-Ausschnitten. In einem davon pries Lynas lediglich die Vorzüge gentechnisch veränderter Nutzpflanzen. In einem anderen, gleich langen Zusammenschnitt erzählte der Aktivist von seinem Gesinnungswandel: Früher habe er grüne Gentechnik strikt abgelehnt, aber nun sei er davon überzeugt, dass ihr Nutzen mögliche Risiken übersteige. Die dritte Botschaft war etwas länger und enthielt zusätzlich einen Ausschnitt, in dem Lynas seinen Meinungsumschwung noch detaillierter schilderte. Anschließend wurden die Probandinnen und Probanden befragt, unter anderem zu ihrer Meinung über grüne Gentechnik.
Ergebnisse: Nach dem Ansehen der Videos unterschieden sich die Einstellungen zu genetisch veränderten Nutzpflanzen in den drei Gruppen nicht – es gab also keine Anzeichen dafür, dass die „Konversions-Botschaften“ effektiver auf die Meinungsbildung wirkten als ein einseitiges Pro-Statement. (Allerdings wurden auch die Einstellungen zu Beginn der Studie nicht erhoben, weshalb kein Vorher-nachher-Vergleich möglich war.) Das Team um Lyons wollte vor allem wissen, wie genau die unterschiedlichen Botschaften mit den Einstellungen zusammenhingen. Die Analysen zeigten: Versuchspersonen, die von Lynas’ Gesinnungswandel erfahren hatten, bewerteten die Argumente pro Gentechnik als überzeugender. Sie schätzten aber nicht die Quelle der Botschaft, also den „Überläufer“, als vertrauenswürdiger ein. Das passt dem Forschungsteam zufolge dazu, dass Argumente intensiver verarbeitet werden, wenn sie vorherigen Informationen direkt widersprechen.
Schlussfolgerungen: „Konversionserzählungen“ gelten zwar in der Praxis als probates Mittel, um Einstellungen zu Wissenschaftsthemen zu verändern. In der Studie konnte jedoch keine Überlegenheit gegenüber einseitigen Informationen festgestellt werden. Dafür zeigte sich, wie genau diese Botschaften mit den Einstellungen zusammenhängen: Nicht die Quelle wird als seriöser beurteilt, sondern die Argumente werden tiefer verarbeitet. Ob der Gesinnungswechsel dabei kurz und knapp oder etwas ausführlicher erläutert wurde, spielte keine Rolle.
Einschränkungen: Die Studie beschränkte sich auf ein Thema, weshalb die Ergebnisse spezifisch für genau diese Konversions-Botschaft sein könnte. Es fehlte eine Messung der Einstellungen zu Beginn der Studie, um die direkte Wirkung der unterschiedlichen Botschaften zu studieren. Zudem war der Protagonist Mark Lynas einigen Versuchspersonen möglicherweise schon vorab bekannt. Die Mehrheit der Probandinnen und Probanden hatte außerdem auch nach der Studie keine besonders ausgeprägte Meinung pro oder kontra grüne Gentechnik. In der Praxis sollen Konversionsbotschaften aber meist eingefleischte Anhänger einer Position zum Umdenken anregen – zu prüfen bleibt daher, ob sich in einer stärker polarisierten Stichprobe deutlichere Effekte finden lassen.
Vertrauen in Forschende: Persönlicher Bezug und Mitsprache sind wichtig
Ob wissenschaftliche Laien Forschungsergebnissen vertrauen, hängt von vielen Faktoren ab – unter anderem vom konkreten Thema und davon, wie stark sie persönlich von den Erkenntnissen betroffen sind. Meeresbiologinnen und -biologen um Jocelyn Runnebaum von der University of Maine untersuchten nun, unter welchen Bedingungen Vertreterinnen und Vertreter der Fischereiindustrie wissenschaftlichen Erkenntnissen, die ihre Arbeit betreffen, Glauben schenken.
Methodik: Die Autorinnen und Autoren veranstalteten einen eintägigen Workshop an der University of Maine, an dem neben 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Meeresforschung, Fischereiwissenschaft und Umweltökonomie auch 23 Beteiligte aus der Fischereiindustrie (überwiegend Hummerfischer) teilnahmen. In Kleingruppen sollten die Vertreter von Praxis und Wissenschaft darüber diskutieren, wie Laien zu einem Urteil über die Glaubwürdigkeit von Forschung kommen können. Diese Diskussionen unterzogen Runnebaum und ihr Team einer Textanalyse.
Ergebnisse: Nach Auswertung der Gespräche ergaben sich vier Dimensionen, die für die Diskussionsgruppen relevant waren:
- Kommunikationsstil: Die Beteiligten aus der Fischerei wünschten sich, dass die Forschenden ihnen auch aktiv zuhören, anstatt nur einseitig ihre Erkenntnisse zu verkünden. Konkret erwarten sie beispielsweise Respekt für ihre jahrelange praktische Erfahrung mit dem Untersuchungsgegenstand, etwa was die Lokalisierung von Fischgründen angeht. Eine dialogische und wertschätzende Haltung der Forschenden führt zwar allein nicht dazu, dass Ergebnisse als überzeugend eingestuft werden – sie verhindert aber nach Ansicht der Praktiker, dass sie direkt Widerstände bilden.
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- Persönlicher Bezug: Die Beteiligten aus der Fischerei gaben an, vor allem solche Forschung ernst zu nehmen, die Antworten auf für sie relevante Fragen liefert. Dafür schätzten sie es als sehr wichtig ein, dass die Forschenden auch selbst praktische Erfahrungen auf ihrem Gebiet sammeln – um keine zu „abgehobenen“ Fragestellungen zu bearbeiten und Ergebnisse zu erhalten, die sich später ohnehin nicht umsetzen lassen (ein Beispielsatz war: „Wie soll man Hummerfischerei erforschen, wenn man noch nie Hummer gefischt hat?“).
- Transparenz: Für wissenschaftliche Laien sind der Forschungsprozess und die eingesetzten Methoden zuweilen schwer durchschaubar. Sie haben keine Übung darin, wissenschaftliche Arbeiten so zu lesen und zu kritisieren, wie es innerhalb der wissenschaftlichen Community üblich ist. Daher schätzten die Diskutierenden aus der Praxis es sehr, wenn Forschende von sich aus ehrlich und verständlich über die Grenzen und die Unsicherheiten ihrer Arbeit reden.
Schlussfolgerungen: Wissenschaftliche Laien aus der Fischereiwirtschaft nutzen dieser Analyse zufolge vier wesentliche Merkmale, um die Glaubwürdigkeit sie betreffender wissenschaftlicher Erkenntnisse einzuschätzen: den Kommunikationsstil der Forschenden, ihre persönliche Beziehung zu den Forschenden, die Alltagsrelevanz der Forschung und die Transparenz der Forschenden auch in Bezug auf Unsicherheiten. Laut dem Team um Runebaum könnten Forschende häufig auch ohne spezielles Kommunikationstraining auf diese Faktoren eingehen und damit den Dialog fruchtbarer gestalten.
Einschränkungen: Mit 23 Vertretern Beteiligten aus der Fischereiindustrie war die Stichprobe recht klein. In die Analyse gingen zudem jeweils die Ansichten der ganzen Kleingruppe ein – also auch Argumente der Forschenden (diese waren aber dazu angehalten, sich in der Diskussion zurückzuhalten). Als Versuchspersonen wählten die Autorinnen und Autoren der Studie zudem überwiegend Fischereifachleute, die sie oder die am Workshop beteiligten Forschenden persönlich kannten und die sich zum Teil zuvor schon in Forschungsprojekte eingebracht hatten – deshalb wurden die Ergebnisse nicht nur an einer kleinen, sondern auch eher selektiven Stichprobe gewonnen.
Gentechnik-Debatte: Keine Anzeichen für „Schweigespirale“
Riskiert man soziale Sanktionen, wenn man eine Minderheitenmeinung vertritt und sie öffentlich äußert? Diese Idee ist vor allem im politischen Diskurs in Deutschland aktuell sehr präsent. Bekannt – aber auch umstritten – ist in diesem Zusammenhang die von Elisabeth Noelle-Neumann geprägte Vorstellung einer „Schweigespirale“, die in der Forschung aktuell vor allem im Zusammenhang mit sozialen Medien eine Renaissance erlebt. Eine Gruppe von Forschenden um Taylor Ruth von der University of Illinois untersuchte in einer kürzlich veröffentlichten Studie, ob das Modell auch auf Einstellungen zum Thema Gentechnik anwendbar ist.
Methodik: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befragten 1.050 US-Bürgerinnen und -Bürger darüber, wie sie selbst zu Gentechnik eingestellt sind, welche Meinung ihrer Ansicht nach die Mehrheit der Bevölkerung vertritt, und wie bereitwillig sie ihre eigene Position gegenüber Andersdenkenden vertreten würden.
Ergebnisse: Die Mehrheit der Befragten stand der Gentechnik positiv gegenüber und hielt auch das allgemeine Meinungsklima für positiv. Dennoch waren diese Personen nicht stärker dazu bereit, ihre Meinung zu äußern, als Gegner der Technologie. Stattdessen fanden sich Effekte, die der Theorie der Schweigespirale widersprechen: So waren Personen mit negativer Einstellung zu Gentechnik tendenziell sogar etwas eher bereit, dies auszusprechen, wenn sie das allgemeine Klima als gentechnikfreundlich erlebten. Wer positiv eingestellt war, äußerte seine Meinung dagegen etwas seltener, wenn er das allgemeine Klima ebenfalls als positiv erlebte.
Schlussfolgerungen: In dieser Untersuchung – wie auch in einigen anderen zuvor – fanden sich keine Anzeichen dafür, dass Menschen mit ihrer Meinung zu Wissenschaftsthemen hinter dem Berg halten, wenn sie sich in einer Minderheitenposition wähnen.
Einschränkungen: Die Probandinnen und Probanden wurden lediglich nach ihrer Bereitschaft gefragt, ihre Meinung in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Das muss aber nicht mit ihrem tatsächlichen Kommunikationsverhalten zusammenhängen. Die Stichprobe umfasste außerdem nur Personen aus den USA. Die Angst vor sozialer Isolation, wenn man eine Minderheitenmeinung äußert, könnte in anderen Ländern stärker ausgeprägt sein.