Ist es sinnvoll, wissenschaftliche Unsicherheit journalistisch zu vermitteln? Wie geht man um mit Ungenauigkeiten in der Berichterstattung? Und welche Verantwortung trägt der Wissenschaftsjournalismus in gesellschaftlichen Fragen? Einen Rückblick auf die Debatten und Highlights der Wissenswerte 2018 geben Michael Siegel und Dorothee Menhart von Wissenschaft im Dialog.
Kontroverse Wissenswerte
Kann und muss Journalismus neutral bleiben, wenn es ums Ganze geht? Wie geht man sachlich mit Themen um, die niemanden kalt lassen? Und wo endet die Kunstfreiheit in Bezug auf wissenschaftliche Inhalte? Bei der diesjährigen Wissenswerte, der jährlichen Zusammenkunft von Wissenschaftsjournalisten, wurde vor allem deutlich, warum das journalistische Ressort „Wissenschaft“ nicht nur aufgrund seines komplexen Gegenstandes anspruchsvoll ist: Anhand konkreter Themen traten im Zuge der Tagung unterschiedliche Kontroversen zutage. Und dabei ging es keineswegs nur um den Widerstreit von Fakten und Fake News.
Unsicherheiten in der Berichterstattung
Einer, der sich hingegen aktuell dem Vorwurf ausgesetzt sieht, gefährliche Unsicherheit zu schüren, ist der Dokumentarfilmer Daniel Sieveking. Etliche Medien hatten seinen Film „Eingeimpft“, in dem er die langwierige Entscheidungsfindung über die Impfung seiner neugeborenen Tochter thematisiert, als fehlerhaft, tendenziös und irreführend kritisiert. „Eingeimpft“ komme im Gewand einer sorgfältigen Abwägung daher, messe Impfgegnern aber unverhältnismäßig viel Raum und Autorität bei – auch wenn Sieveking sein Kind letztlich impfen lasse. Sieveking argumentiert im Gespräch mit Volker Stollorz vom Science Media Center mit der Kunstfreiheit und sagt, er habe die Impfskepsis schließlich nicht erfunden, sondern bilde lediglich eine Diskussion ab, die heute zur Lebensrealität vieler junger Paare gehöre. Er plädiert – ähnlich wie Axel Bojanowski in Bezug auf Unsicherheiten in der Klimaforschung – dafür, dass auch Vorbehalte von Eltern Teil der journalistischen Berichterstattung sein sollten.
Imke Hoppe von der Universität Hamburg fordert mehr positive Lösungsansätze in der Berichterstattung. In Bezug auf die Klimadebatte heißt das zum Beispiel: Konkrete Vorschläge, was zum Schutz der Erde vom Einzelnen getan werden könne. In einer späteren Session geht es dann auch um den konstruktiven Journalismus, also einen Journalismus, der nicht nur Fakten und Missstände, sondern auch mögliche Lösungsansätze oder Best-Practice-Beispiele benennt. Seit drei, vier Jahren beobachtet Klaus Maier, Professor für Journalistik an der KU Eichstätt, hier einen Trend: Ein Dutzend Medienhäuser hätten bereits eigene Formate und Sendeplätze geschaffen, in denen Journalismus eine „konstruktive“ Rolle einnehme. Ein Beispiel dafür liefert Claudia Spiewak vom NDR mit ihrer Hörfunk-Sendereihe „NDR Info Perspektiven“: Den journalistischen Leitsatz „Nur eine schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht“ hält sie für wenig gewinnbringend. Krisen, Kriege und Katastrophen seien nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit, die Welt halte ebenso Gelungenes und Ermutigendes bereit, es gibt Fortschritte in vielen Bereichen und unzählige Menschen mit inspirierenden Ideen.
Ungenaue Berichterstattung und tendenziöse Kritiken
Die Session zum emotional stark aufgeladenen Thema „Pädophilie“ zeigt, dass ein wissenschaftlich informierter Journalismus auch dann wichtig sein, wenn es nicht primär um Wissenschaft geht. Pädophilie ist ein Thema, welches vor allem dann in die Nachrichten kommt, wenn es konkrete Fälle sexueller Übergriffe auf Kinder gibt. Beispiele aus der Presse zeigen: Begriffe wie „der Pädophile“, „der Täter“ oder „der pädophile Straftäter“ geraten dabei schnell durcheinander. Warum das fatal sein kann, erläutert der Psychotherapeut Claas de Boer von der Medizinischen Hochschule Hannover: „Pädophilie“ bezeichne zunächst einmal nur eine sexuelle Neigung und nicht jeder Pädophile wird zum Täter. Dazu wiesen bei weitem nicht alle Menschen, die Kinder sexuell missbrauchen, eine pädophile Neigung auf. Eine ungenaue Berichterstattung könne hier einen Pauschalverdacht erzeugen, der für Betroffene den Teufelskreis sozialer Isolation verstärke. Außerdem erhöhe sich die Hemmschwelle, Hilfsangebote wie „Kein Täter werden“ in Anspruch zu nehmen. Sexualmediziner Hannes Gieseler von der Charité betont: Wenn es um Berichte über Straftaten geht, reiche es für gewöhnlich, zunächst einmal ganz nüchtern von „Tätern“ oder „Tatverdächtigen“ zu sprechen. Journalistinnen und Journalisten tragen hier eine besondere Verantwortung, darüber sind sich die Diskutanten einig.
Um journalistische Verantwortung geht es auch im Gespräch zwischen der Politikwissenschaftlerin und Direktorin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Ute Frevert, mit der Hörfunkjournalistin Christina Sartori. Frevert untersucht Mechanismen des Beschämens. Der Pranger ist für sie ein klassisches Beispiel. Seit es Massenmedien gibt, sähen sich aber auch Journalistinnen und Journalisten laut Frevert dem Vorwurf der Bloßstellung ausgesetzt. Die Diskussion zeigt: Die Grenze zwischen sachlicher Kritik und Beschämung sei zum Beispiel dann sehr subtil, wenn die Kritik gerechtfertigt, aber wegen der zugrunde liegenden Auswahl tendenziös ist. So wäre beispielsweise in diesem Jahr mehrfach über den autoritären Führungsstil von Direktorinnen in deutschen Forschungseinrichtungen berichtet worden. Obwohl die Offenlegung von Machtmissbräuchen generell sehr wichtig sei, mache eine solche Berichterstattung für Frevert deutlich, dass Frauen immer noch besonders häufig Opfer medialer Bloßstellung werden. Es falle auf, dass insbesondere die wenigen Frauen in Führungspositionen in den Fokus geraten. Ein möglicher Grund sei die mediale Reproduktion unterschiedlicher Erwartungshaltungen in der Gesellschaft. Was bei Männern als normal oder sogar als Führungsstärke gelte, werde Frauen oft als Hartherzigkeit zur Last gelegt.
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