Foto: Agence Olloweb

Wenn Forschende der Presse auf die Finger schauen

Auf der Website Climatefeedback.org begutachten Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler Medienbeiträge zu ihrem Fachgebiet. Wir haben Victor Venema von der Universität Bonn gefragt, warum er sich dort engagiert – und wie Redaktionen auf schlechte Noten reagieren.

Herr Venema, Sie stellen am Donnerstag auf dem Forum Wissenschaftskommunikation das Projekt „Climate Feedback“ vor. Verraten Sie uns schon einmal, worum es sich dabei handelt?

Auf Climatefeedback.org bewerten wir englischsprachige Presseartikel auf ihre wissenschaftliche Genauigkeit. Wir weisen auf missverständliche und falsche Passagen hin, und am Ende erhält jeder Text eine Note von „sehr geringer“ bis „sehr hoher“ Glaubwürdigkeit. Bislang haben wir auf diese Weise 113 Pressebeiträge bewertet sowie 45 einzelne Behauptungen, die zum Beispiel Politiker an prominenter Stelle in den Medien geäußert haben.

Wie läuft so eine Bewertung genau ab?

Wir arbeiten mit sogenannten Web Annotations: Über die Website hypothes.is kann man quasi eine Schicht auf eine beliebige andere Website drauflegen und deren Inhalt kommentieren, ohne die Website selbst zu verändern. So markieren wir zum Beispiel in der Online-Version eines journalistischen Artikels wie in einem Textdokument manche Stellen und diskutieren darüber. Die Gesamtnote ergibt sich aus den durchschnittlichen Bewertungen aller Forschenden, die sich beteiligt haben. Dass viele Kolleginnen und Kollegen gemeinsam einen Artikel analysieren, erleichtert uns die Arbeit und erhöht die Qualität und die Glaubwürdigkeit des Feedbacks.

Portraitbild Victor Venema
Dr. Victor Venema ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Meteorologischen Institut der Universität Bonn. In seiner Forschung analysiert er Wetterbeobachtungen aus den letzten Jahrhunderten, die mit vielen verschiedenen Methoden gemacht wurden, um so eine zuverlässigere Schätzung der historischen Klimaänderungen zu erhalten. Foto: mit frdl. Gen. von Victor Venema

Wie viele Forschende begutachten einen Artikel?

Meistens sind es drei bis fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Bei großen Artikeln waren es aber auch schon bis zu 17 Personen. Je mehr Forschende einen Beitrag analysieren, desto besser ist die Kritik. Schließlich hat jede und jeder von uns ein Spezialgebiet und findet daher auch unterschiedliche Aussagen in einem Artikel problematisch.

Welchen Vorteil bringt diese Arbeit für Sie als Wissenschaftler?

Ich betreibe schon seit Längerem einen eigenen Blog und kommentiere dort ebenfalls manchmal Presseartikel, in denen Fehlinformationen verbreitet werden. Jedes Mal einen eigenen Blogbeitrag zu schreiben, ist aber recht aufwendig: Wenn der Artikel nicht genau das eigene Spezialgebiet behandelt, muss man sich erst einmal ins Thema einarbeiten. Bei Climate Feedback kommt die Kompetenz vieler Personen zusammen. Das ist viel effizienter. Außerdem ist die Bewertung eines Presseartikels auf Climatefeedback.org sichtbarer als ein Beitrag auf meinem persönlichen Blog.

Wer hatte die Idee zu diesem Projekt?

Der Ozean- und Klimaforscher Emmanuel Vincent, der derzeit an der University of California arbeitet, hat das Portal 2015 gegründet. Sein Ziel war, nicht nur Publikationen zu untersuchen, in denen man ohnehin fragwürdige Berichterstattung über Wissenschaft erwartet, sondern genauso hochwertige journalistische Medien. Auch dort können sich die Mitarbeitenden nicht mit jedem Detail der Klimaforschung auskennen. Deshalb wissen sie im Zweifel nicht, wie akkurat die von ihnen publizierten Artikel aus wissenschaftlicher Sicht sind.

Nehmen die Medien, deren Beiträge rezensiert werten, denn davon Notiz?

Auf jeden Fall. Wir verbreiten alle neuen Bewertungen über unseren Facebook- und unseren Twitter-Kanal, die jeweils mehrere Tausend Follower haben, darunter viele Journalisten. Regelmäßig werden unsere Bewertungen auch wieder in verschiedenen Medien aufgegriffen. So findet das den Weg zu den Urhebern eines Beitrags. Manchmal schreiben wir Redaktionen auch direkt an. Unser Projektleiter Emmanuel Vincent erhält außerdem häufig Rückmeldungen auf die veröffentlichten Kritiken. Gelegentlich bitten uns auch Journalisten selbst, ihre Artikel zu überprüfen, um damit ihre Glaubwürdigkeit zu erhöhen.

Wie reagieren die Redaktionen auf schlechte Bewertungen?

Manchmal sehen wir, dass Artikel auf unsere Beurteilung hin korrigiert werden. Das ist natürlich erfreulich, bringt aber nicht so viel: denn Online-Artikel erreichen in den ersten zwei, drei Tagen nach Erscheinen am meisten Menschen. Spätere Änderungen bekommt kaum jemand mit. Deshalb muss ein Text von Anfang an richtig sein. Der größere Nutzen für Redaktionen liegt darin, anhand unserer Bewertungen zu lernen, welche Autorinnen und Autoren gute Qualität abliefern, um diese dann erneut zu beauftragen.

Was sind denn häufige Fehler in der Berichterstattung über Klimaforschung?

Am schlimmsten sind Kommentare und Meinungsartikel von Autorinnen und Autoren, die keine Expertise im Wissenschaftsjournalismus haben. Auf diesem Weg gelangen sachlich falsche Informationen auch in Qualitätszeitungen. Redaktionen sollten bei diesen Beiträgen stärker die Fakten checken. Bei Artikeln im Wissenschaftsteil sieht es meist besser aus. Das gilt aber natürlich nicht für Medien, die regelmäßig und absichtlich Falschinformationen über den Klimawandel verbreiten, etwa Breitbart News.

Screenshot von Climatefeedback.org
Die im Jahr 2017 am häufigsten in sozialen Netzwerken geteilten Artikel über den Klimawandel und ihre Bewertung durch Forschende auf Climatefeedback.org. Den fünf erfolgreichsten Beiträgen attestieren die Fachleute eher mittlere bis geringe wissenschaftliche Glaubwürdigkeit. Bild: Climatefeedback.org, CC BY 4.0

Und haben Sie Beispiele für gute Berichterstattung?

Uns ist zunächst wichtig, dass die wissenschaftlichen Fakten stimmen – die Meinungen und Positionen, die daraus entstehen, bewerten wir nicht. Die New York Times oder die Washington Post machen in dieser Hinsicht viel richtig. Es hilft natürlich sehr, wenn Journalistinnen und Journalisten auch tatsächlich mit Klimaforschenden reden, bevor sie über das Fachgebiet schreiben.

Auf dem Portal werden wissenschaftliche Aussagen als richtig oder falsch eingestuft. Forschungsergebnisse sind aber immer nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zutreffend. Müssten Sie daher irreführende Aussagen nicht eher als „unwahrscheinlich“ kennzeichnen oder schreiben, dass sie bestehenden Erkenntnissen widersprechen?

Das sehe ich anders. Natürlich gibt es in der Klimaforschung Fragen, die wir noch nicht komplett geklärt haben und bei denen man unterschiedlicher Meinung sein kann. Wenn das so in der Berichterstattung dargestellt wird, gibt es von uns auch keinen Punktabzug. Man muss das aber vor dem Hintergrund sehen, dass in den USA ein regelrechter Kulturkrieg tobt, unter anderem in Bezug auf den Klimaschutz. Wir haben es hier nicht mit Leuten zu tun, die unabsichtlich die Güte von wissenschaftlicher Evidenz falsch einschätzen. Sondern mit Personen, denen schlicht egal ist, was in der Forschung als belegt gilt und was nicht. Manche Behauptung sind so weitab vom wissenschaftlichen Konsens, dass man die ruhig falsch nennen kann. Oder anders gesagt: Es ist zwar schwierig herauszufinden, was wahr ist. Aber was falsch ist, ist oft sehr klar.

Welche Weiterentwicklungen sind geplant?

Emmanuel Vincent hilft beim Aufbau eines ähnlichen Projekts für den Bereich der Gesundheitswissenschaften. Auch hier wäre oft ein besseres Fact-checking von Redaktionen nötig. Ich bin außerdem selbst gerade dabei, das Prinzip auf die Bewertung von wissenschaftlichen Fachbeiträgen auszuweiten. Dazu habe ich die Grassroots Journals ins Leben gerufen. Hier sollen Forschende untereinander über Artikel in Fachjournalen diskutieren, ähnlich wie bei der Bewertung von Presseartikeln auf Climate Feedback. Dadurch soll deutlich werden, welche Relevanz ein Befund hat, und zwar unabhängig davon, wo er ursprünglich publiziert wurde. Solche Bewertungen hört man unter Forschenden häufig informell, etwa beim Smalltalk auf Konferenzen. So würden sie aber öffentlich nachvollziehbar – auch beispielsweise für Laien und für Journalisten.

Wie finanziert sich das Projekt Climate Feedback?

Die Partner und Spender finden sich alle auf unserer Homepage. Neben einigen wissenschaftlichen Institutionen und Stiftungen sind es vor allem kleinere Spenden von Einzelpersonen.

Suchen Sie noch Mitstreiter für das Portal?

Auf jeden Fall! Wir haben bereits 180 Forschende, die regelmäßig Artikel bewerten, plus 160 Gastgutachter. Bei uns können alle Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler mitmachen, die ihr Fachwissen einbringen möchten. Sie müssen dazu nur in den vergangenen Jahren mindestens zwei Artikel in Fachjournalen veröffentlicht haben.

 

Victor Venema hält seinen Vortrag „Climate Feedback: A Model for Scientists to Tackle Misinformation“ am 08.11. auf dem Forum Wissenschaftskommunikation in der Session „Project Presentation I“ ab 13 Uhr.

Das Forum Wissenschaftskommunikation wird von Wissenschaft im Dialog (WiD) organisiert, einem der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.