Der Hashtag #FakeScience und die hochkochende Debatte um Raubjournale könnte das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft beschädigen. Aus Sicht der Psychologin Friederike Hendriks eröffnet sie aber auch Chancen für einen echten Diskurs um Normen, Regeln und Werte in der Wissenschaft. Ein Kommentar.
Strapaziertes Vertrauen
Als ich auf Twitter die ersten Hinweise auf die Berichterstattung zu Raubverlagen las, war ich schockiert: So eine große Zahl namhafter deutscher Forscherinnen und Forscher, die dort veröffentlicht haben soll? Unvorstellbar. Schließlich bekomme ich auch täglich E-Mails von Personen, die mich zur Editorin eines Herausgeberbandes in ihrem Journal machen oder mich auf eine Konferenz (am besten an einem schönen, sonnigen Ort) einladen wollen. 19 Stück allein in der Woche vom 18. bis 25. Juli. Die lese ich höchstens aufgrund ihres Unterhaltungswertes. Ein lange bekanntes Problem, aber kein ernst zu nehmendes?
Anscheinend doch: Viele Medien berichteten über diese Raubverleger. Das Vertrauen der Leserinnen und Leser, der Zuschauerinnen und Zuschauer wird dabei aus verschiedenen Gründen strapaziert. Beeinflusst wird erstens: Ihr Vertrauen in Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die Seriosität von Raubjournals falsch eingeschätzt haben oder aufgrund des Publikationsdrucks dort ihre Studien veröffentlichten. Zweitens ihr Vertrauen in das, was eigentlich als „wissenschaftlich“ gelten darf, denn einige in Raubjournals veröffentlichte Studien haben nur den Anschein von Wissenschaftlichkeit. Den Autorinnen und Autoren geht es aber eigentlich um Produktwerbung oder politische Interessen. Inzwischen wird zudem noch Kritik an der Debatte selbst laut, allein der Hashtag #FakeScience ist bereits von verschiedenen Seiten kritisiert worden.
Öffentliches Vertrauen beruht darauf, dass die Wissenschaft sich an ihre eigenen Regeln hält
Folgt man dem Modell epistemischen Vertrauens, nimmt man Folgendes an: Menschen nutzen ihr Wissen über und ihre Erwartungen an Wissenschaft, um die Wissenschaften selbst und ihre Akteure auf ihre Vertrauenswürdigkeit zu beurteilen. Sie urteilen etwa darüber, ob die Regeln und Normen wissenschaftlicher Praxis eingehalten werden – die innerwissenschaftliche Integrität.
Davon ausgehend sehe ich auch Chancen in der Debatte über Raubverlage: Um zu beurteilen, ob man der Wissenschaft vertrauen kann, muss die Öffentlichkeit über Qualitätskriterien in der Wissenschaft Bescheid wissen – und wie diese innerwissenschaftlich ausgehandelt und bewertet werden. Daher begrüße ich sehr, dass die Funktion des peer review gerade so ausführlich erklärt wird, zum Beispiel von Mai Thi Nguyen-Kim auf ihrem Youtube-Kanal MaiLab.
Die Verletzung einer wissenschaftlichen Regel oder Norm müsste dazu führen, dass die Menschen ihr Vertrauen in das System anpassen. Das Vertrauen müsste demnach sinken, wenn bekannt wird, dass Scheinwissenschaft in Raubjournals veröffentlicht wird.
Es zeigt sich aber: Weder die Plagiatsfälle vor einigen Jahren noch die Replikationskrise haben das Vertrauen der Öffentlichkeit in Wissenschaft komplett demontiert. Ich vermute, dass die Information, dass Regeln und Normen fest etabliert sind und von den meisten Mitgliedern des Systems eingehalten werden, zumindest von Teilen der Öffentlichkeit auch als Hinweis auf ein relativ zuverlässig arbeitendes System gelesen werden.
Peer review im Fokus
Ich glaube ebenfalls, dass peer review – auch aus Sicht der Öffentlichkeit – auf mehr hinweist als nur die Qualität einzelner Studien. Das Prinzip zeigt vielmehr, wie das soziale System Wissenschaft funktioniert. Denn Wissenschaft kann nicht als reines Zusammentragen von Datenpunkten (oder Einzelstudien) gedacht werden. Tatsächlich wäre ein gefährlicher Schluss aus der Debatte um Raubverlage, dass jeder Einzelstudie immer dann bedingungslos getraut werden kann, solange sie nur den Qualitätsanforderungen entspricht. Wissenschaft ist vielmehr ein Prozess: Durch innerwissenschaftliche Kritik, Prüfung und Debatte wird die in Einzelstudien zusammengetragene Evidenz ständig kritisch hinterfragt und damit ein Stand gültigen Wissens ausgehandelt. Auch dies ist wissenschaftliche Methodik. Und zu zeigen, dass diese funktioniert, könnte das Vertrauen der Öffentlichkeit stärken. Dafür müssen solche Aushandlungsprozesse ausreichend transparent gemacht werden.
Chancen durch Open Science
Deshalb muss meiner Meinung nach in Zukunft auch das verstärkt nach außen getragen werden, was über die Regeln und Normen der Forschung innerwissenschaftlich debattiert wird. So stellt die Open-Science-Bewegung ja schon Überlegungen zu anderen Publikationsformen an. Dazu gehören etwa peer reviews schon vor der Datenerhebung; oder peer review als vollständig öffentlicher Prozess. Die Kommunikation solcher Ideen, und der Absicht von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sich an die Vorgaben von Open Science zu halten, könnte das Vertrauen der Öffentlichkeit positiv beeinflussen. Sie zeigen, dass sich Forschende bemühen, die geforderten Qualitätsansprüche zu erfüllen. Auch die Kommunikation von Wissenschaft an eine breite Öffentlichkeit (u. a. auch durch Open Access) kann Teil solcher Bemühungen sein. Open Access erleichtert Zugang zu wissenschaftlichem Wissen und daher Transparenz und Dialog. Es muss aber klar sein, dass Qualität auch in Open-Access-Journals verlässlich geprüft wird.
Qualitätskontrolle von innen und außen
Und schließlich bin ich der Meinung, dass als Folge der Debatte um Raubverlage der Schluss gezogen werden muss, dass Wissenschaftskommunikation und vor allem Wissenschaftsjournalismus zu stärken sind. Kommunikatorinnen und Kommunikatoren sowie Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten müssen zum einen dafür ausgebildet sein, fachliche Inhalte und auch das System Wissenschaft inklusive seiner Regeln und Normen zu verstehen und zu vermitteln. Zum anderen müssen sie in der Lage sein, innerwissenschaftliche Debatten zu verfolgen und die inhaltliche Konsensbildung zu wichtigen Themen aufzubereiten. Nur dann funktionieren sie in ihren ursprünglichen gesellschaftlichen Rollen, etwa als Mediatorinnen und Mediatoren zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Wenn das System Journalismus gut funktioniert, verringert das auch die Schlagkraft von Debatten wie der über #FakeScience. Ich bin überzeugt, dass auch für dieses System qualitätssichernde Strukturen wichtig sind, wie etwa die Science Media Center (SMC). Das zeigt sich auch daran, wie schnell das deutsche SMC eine ausführliche und sachliche Informationssammlung zu Raubjournalen zur Verfügung gestellt hat.
Eine Wissenschaft, die sich gegenüber der Gesellschaft öffnet, muss Kritik annehmen und sich ihr stellen. Aber um weiterhin glaubhaft zu sein, muss Wissenschaft Kritik auch an sich selbst formulieren, sowie Kritik (egal, woher sie kommt) transparent diskutieren und sich um Änderungen im eigenen System bemühen. In der aktuellen Debatte um Raubverleger zeigt sich, dass verschiedene Akteure – sowohl aus dem Wissenschaftssystem, als auch aus Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation – sich um Aufklärung, aber auch um Einordnung der problematischen Veröffentlichungspraxis in Raubjournalen bemühen. Damit das Vertrauen der Öffentlichkeit nicht nachhaltig geschädigt wird, braucht es mehr von beidem.
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