Forschen, lehren, kommunizieren – Was sind nun eigentlich die Aufgaben der Wissenschaft? In der Debatte um Prioritäten und Finanzierung von Forschung und Hochschulen wirbt der Experimentalpsychologe Martin Grund bei Bundesforschungsministerin Anja Karliczek für eine offene und gerechte Wissenschaft, in der das Erkennen an erster Stelle steht.
„Die Wissenschaft darf eine Ministerin erwarten, die für statt gegen sie arbeitet“
Etwas Gutes hat es, dass Bildungsministerin Anja Karliczek fachfremd ist1: Sie politisiert die Wissenschaftscommunity2. Fragen nach dem Verhältnis von Erkennen und Anwenden, Kommunizieren und Transferieren, scheinen neu verhandelt werden zu müssen. Oder besser, wir müssen uns die aktuellen Verhältnisse vergegenwärtigen und fragen: Kommunizieren wir unser neues Wissen einflussreich in der eigenen Community und hinreichend in die breite Öffentlichkeit? Transferieren wir neues Wissen in innovative Produkte oder Services? Oder bleiben zu viele Erkenntnisse auf der Strecke und auf Dauer nicht zugänglich? Was sind nun eigentlich die Aufgaben der Wissenschaft, unserer Hochschulen und Forschungseinrichtungen? Kommuniziert die Wissenschaft nicht bereits unermüdlich in Formaten wie der Langen Nacht der Wissenschaft, der Berlin Science Week, am Girls & Boys Day, auf Twitter, im Radio, in Print und Fernsehen?
Politische Interessen statt Wahrheitssuche
Weil die Wissenschaft häufig denkt, in solchen Fragen die allgemeingültige Wahrheit suchen zu müssen, vergisst sie, dass hier politische Interessen verhandelt werden. Und während die Wissenschaft noch sucht, wirbt die Ministerin der CDU/CSU-Fraktion unentwegt für mehr Kommunikation und Transfer. Thomas Sattelberger (FDP) spricht unterdessen von Max-Planck, Helmholtz, Leibniz & Fraunhofer als fetten Katzen3, von Politik und Wissenschaft als der „inzestuösen Deutschland-AG“4 und von „Gesabber“ bei der DFG5. Beide äußern damit ein „einseitiges“ Wissenschaftsverständnis6, in dem Wissen nur Wert hat, wenn es kurzfristig finanziell verwertbar ist.
Immer mehr Aufgaben bei gleicher Finanzierung?
Währenddessen bilden wissenschaftliche Verlage wie Elsevier und Springer Nature immer größere Imperien. Sie sperren deutschen Hochschulen den Zugang zu dem von ihnen produzierten Wissen, wenn die nicht mehr bereit sind, die exorbitanten Lizenzgebühren zu zahlen7. Auch die Verlage mischen politisch mit. Vor der Bundestagswahl druckte Nature ein überraschend unkritisches Editorial, dass die Kanzlerin Angela Merkel wegen ihres angeblich herausragenden Dienstes für die Wissenschaft eine weitere Amtszeit verdiene8. Dabei haben wir die Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG), den Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs oder die wahrscheinliche Fortsetzung des Hochschulpakts nicht Angela Merkel zu verdanken. Genau genommen war es nicht einmal ihre Partei, sondern die SPD, die sich hierfür starkgemacht hat. Karliczek hingegen stellt sich weiterhin gegen eine jährliche Steigerung des Hochschulpaktes9, wie sie der Wissenschaftsrat fordert10. Dabei sind mehr Hochschulmittel bitternötig, um der steigenden Komplexität an Aufgaben gewachsen zu sein. In den letzten zehn Jahren haben die Hochschulen eine Zunahme von 40 Prozent der Studienanfängerinnen und Studienanfänger gestemmt11. Wenn die Wissenschaft dann auch noch mehr in die breite Öffentlichkeit kommunizieren soll, muss das finanziert werden. Andernfalls kann weniger geforscht und gelehrt werden12.
Blockaden im Wissenstransfer finden sich bekanntlich dort, wo vom beschränkten Zugang profitiert wird. Nicht aber, wo das Wissen generiert wird. Das zeigte auch der Aufschrei der Community, als bekannt wurde, dass die Europäische Kommission gerade Elsevier das Monitoring der EU Open Access Strategie anvertraute13. Statt die Verlage hinter der Kanzlerin zu versammeln, sollte die Ministerin die Hochschulen und Forschungseinrichtungen hinter sich vereinen und gemeinsam mit ihnen für eine offene Wissenschaft kämpfen. Denn nur offen zugängliches Wissen kann Innovationen und den gesellschaftlichen Wandel treiben. Die Wissenschaft hat der Ministerin jetzt vier Monate gewährt, sich einzufinden. Sie wartet indes auf Strukturreformen für flache Hierarchien14,15, mehr permanente Stellen16 und einen Abbau des hohen Drittmittelanteils. Die Wissenschaft darf jetzt zu Recht eine Ministerin erwarten, die für statt gegen sie arbeitet.
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