Wissenschaftskommunikation kann man an verschiedenen Orten lernen, auch wenn es noch zu wenige Ausbildungsstätten gibt. Annette Leßmöllmann gibt einen Ausblick auf die Zukunft der Wissenschaftskommunikation und kommentiert die Frage, mit welchen Ausbildungsinhalten sich Hochschulen befassen sollten.
Was müssen wir dem Nachwuchs beibringen?
In unserer Umfrage auf dieser Plattform – nicht repräsentativ, aber als Stimmungsbild hilfreich – forderte ein Viertel der Befragten eine bessere Ausbildung für Wissenschaftskommunikator*innen. Auch Stimmen dafür, Wissenschaftskommunikation in die Curricula von Hochschulen zu integrieren, waren zu vernehmen. Ausbildung, und insbesondere ein akademisches Fach „Wissenschaftskommunikation“, kann als Zeichen einer Professionalisierung gelesen werden, welche zu begrüßen ist.
Aber was sollte in diesen Curricula – oder auch in grundständigen Studiengängen und Aus- und Weiterbildungen – eigentlich jetzt und in Zukunft gelehrt werden? Es gibt einige Standardantworten auf diese Frage, etwa: Lernen, wie man Wissenschaft verständlich rüberbringt. Oder: Die Arbeitsweise von Journalistinnen und Journalisten verstehen, die heutigen Medien begreifen, die verschiedenen Kanäle der sozialen Medien bespielen lernen, in Zielgruppen denken. Oder auch: Die Rolle der verschiedenen kommunizierenden Akteure unterscheiden lernen – eine Journalistin hat eine ganz andere Rolle als eine Mitarbeiterin in einer Kommunikationsabteilung; eine Wissenschaftlerin kommuniziert anders, wenn sie bei einem Science-Slam ihr Doktorarbeitsthema präsentiert, als wenn sie als Institutsleiterin für Drittmittel werben muss, etc. Diese ganzen Kenntnisse und Fertigkeiten sind immens wichtig und müssen gründlich beigebracht werden, aber: Sie sind eigentlich erst der zweite Schritt.
Der erste Schritt ist, in der Lehre zu reflektieren, worum es in der Wissenschaftskommunikation eigentlich geht und gehen kann. Die Forderungen nach Wissenschaftskommunikation und einer gestärkten Rolle der Wissenschaft in der Öffentlichkeit sind ja recht präsent (etwa in der Rede der Bundesforschungsministerin beim Forschungsgipfel 2018). Dagegen ist auch nichts zu sagen, allerdings müssen zukünftige Kommunikator*innen – in guter Abstimmung mit ihrer jeweiligen Rolle: Journalistin, PRler, kommunizierende Wissenschaftlerin, Museumskurator, Bloggerin etc. – sehr genau überlegen, welche Position sie in diesem Forderungskonzert einnehmen. Einfach nur „mehr und verständlich kommunizieren“ wird die Lösung nicht sein. Und um darüber hinauszugehen, braucht es eine Menge Reflexionswissen.
Als Beispiel nenne ich die Gespräche mit den Erstsemester*innen unseres Studiengangs Wissenschaft – Medien – Kommunikation. Sowohl im Bachelor- als auch im Masterstudiengang starten bei uns Studierende, die entweder noch gar keinen akademischen Hintergrund haben – sie kommen direkt von der Schule oder haben vielleicht zuerst eine Ausbildung hinter sich gebracht –, oder die zuvor ein anderes Fach studiert haben. In den meisten Fällen lernen sie erst bei uns, die Verhältnisse zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit akademisch zu reflektieren. Mit ihnen können wir gut durchdeklinieren, wie wir dieses Verhältnis betrachten wollen.
Wir beschäftigen uns dabei z.B. mit dieser Frage, nur als ein Beispiel herausgegriffen: Möchte man eine Szientokratie? Soll die Wissenschaft also nicht nur erklären, sondern auch politische Entscheidungen bestimmen?
Warum beschäftigen wir uns mit dieser Frage? Nehmen wir ein Statement von einem Wissenschaftskommunikator, der erläutert, warum er Wissenschaftskommunikation betreibt: Der von mir sehr geschätzte Lorenz Adlung begründet in unserer Rubrik „Im Profil“ seinen Standpunkt, warum der Wissenschaft mehr Anerkennung geschenkt werden sollte, damit, dass „wir [Wissenschaftler] die einzigen sind, die in der Lage sind, die drängenden Probleme unserer Zeit zu lösen“ (siehe Frage 3/4).
In diesem Punkt muss ich ihm widersprechen: Nein, denn genau das wäre, wenn man es zu Ende denkt, Szientokratie. Nicht die Wissenschaftler*innen sind die einzigen, die die Probleme lösen können. Sondern: Wissenschaftler*innen können Forschungsergebnisse oder auch konkrete Vorschläge liefern, die dann in Lösungsansätze eingespeist werden – welche wiederum von Gesellschaft und Politik kommen müssen. Probleme müssen also gesellschaftlich und politisch gelöst werden, im Konzert mit der Wissenschaft, das heißt, man tut gut daran, sich wissenschaftlicher Expertise zu bedienen. Wissenschaft soll und kann hier eine starke Stimme haben, aber die Lösungen müssen von allen kommen, die auch Haltungen und Werte in die Debatte einbringen, welche der Wissenschaft vielleicht wesensfremd sind. Sie kann wiederum ihre Stimme erheben, wenn gesellschaftlich Lösungen diskutiert werden, die nach dem wissenschaftlichen Stand der Dinge falsch sind – falsch im Sinne von „nicht wahr“ oder „nicht belegt“. Aber Kategorien wie „richtig“ oder „falsch“, „politisch durchsetzbar“ oder „nachhaltig“ gehören in einer demokratischen Gesellschaft zur Entscheidungsgrundlage dazu. Und diese Kriterien kommen von Bürgern und Politik.
Einige unserer Erstsemester sind da manchmal noch sehr enthusiastisch und überschätzen das Machtpotenzial der Wissenschaft: „Wenn alle auf die Wissenschaftler*innen hören, dann kann die Welt doch eigentlich nur besser werden!“ Das ist ein verständlicher Wunsch, aber deshalb kein richtiger Ansatz. Die Rolle der akademischen Ausbilder*innen ist es dann, im besten Sinne zu desillusionieren, und dabei sind öffentliche Äußerungen wie diese und diese eine gute Diskussiongrundlage.
Das heißt: Allein um eine Frage wie „Wieso sollen Wissenschaftler*innen und Bürger*innen miteinander kommunizieren?“ beantworten zu können, müssen Studierende und Nachwuchswissenschaftler*innen sehr viel über Wissenschaft wissen. Etwa, dass sich manche Wissenschaften explizit problemorientiert gesellschaftlichen Fragestellungen widmen und bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme unterstützen wollen, während bei anderen die gesellschaftliche Fragestellung nachgeordnet ist oder sogar jenseits der eigentlichen wissenschaftlichen Tätigkeit gesehen wird. Viele intensive Diskussionen und Lektüreerfahrungen aus der Wissenschaftstheorie, Wissenssoziologie und aus der empirischen Forschung über Wissenschaftskommunikation sind nötig, um den naiven Blick auf Wissenschaftskommunikation abzustreifen und zu einem reflektierten Urteil zu kommen. Auch ein unkritischer Umgang mit Fakten oder mit „wissenschaftlich abgesichertem Wissen“ muss systematisch problematisiert werden, ganz abgesehen davon, dass Studierende sehr gut über das Wissenschaftssystem, sein Machtgefüge und die dort agierenden Interessen Bescheid wissen müssen. Es ist notwendig, dafür einige Semester Zeit zu haben.
Doch auch wenn man ein anderes Fach studiert als Wissenschaftskommunikation, wäre es sinnvoll, diese Themen aufzugreifen und mindestens einmal im Bachelor- und im Masterstudium zu bearbeiten. Natürlich sind Schreib- und Präsentationstrainings wichtig, werden an vielen Hochschulen bereits angeboten und könnten noch deutlich verbreiteter sein. Aber gute Wissenschaftskommunikation braucht mehr als das, nämlich Reflexion über das wissenschaftliche Tun und Kommunizieren, und diese sollte Teil des Studiums sein, nicht fakultatives Add-on.
Leser und Leserin haben es vermutlich schon gemerkt: Ich plädiere sehr stark für Wissenschaftskommunikation als akademisches Fach. Nur wer dieses Reflexionswissen hat, kann auch mal „nein“ sagen: Nein, stopp, nicht wie wild den nächsten Science-Slam organisieren – klar, macht Spaß und die Säle voll, warum also nicht, aber trotzdem: Erst nochmal überlegen, was wir eigentlich wirklich wollen und wie wir unsere Rolle sehen. Wem zum Beispiel besonders daran liegt, dass das Publikum wissenschaftlich fundierte Schlussfolgerungen nachvollziehen kann, und zeigen will, dass solche Schlussfolgerungen auch im Alltag nützlich sind– der könnte Science-Slammer*innen einladen, die genau darauf hinarbeiten. Auch das ist ja Wissenschaftskommunikation: Die Wissenschaft als Denkwerkzeug herzuzeigen.
Oder, wenn es eher darum geht, Grenzen der Wissenschaftskommunikation zu überwinden, dann wird man Science-Slammer einladen, die vielleicht ganz besonders mit Werten und Einstellungen des Publikums spielen. Anhand dessen kann man zeigen, warum manche Menschen so starke Einstellungen haben, dass eine einfache Ergebniskommunikation nicht ankommt.
Man kann auch noch eine andere Grenze zu überwinden versuchen: Wissenschaftskommunikation scheitert oft daran, dass Menschen glauben, sie würden sich auskennen, weil sie einen Artikel gelesen oder einen Science-Slam gehört haben … aber sie kennen sich gar nicht aus. Genau das kann ein Science-Slam aufgreifen.
Und während man diese ganzen Ideen ausprobiert, muss man sie noch erforschen und evaluieren. Damit klar wird, ob sie wirklich die Wirkung haben, die erwartet wurde.
Was ich hier schreibe, gilt natürlich auch noch für andere Formate, nicht nur Science-Slams. Was ich meine, ist nicht, keine Science-Slams mehr zu machen, sondern sich sehr gründlich überlegen, wozu und warum man sie macht, und dann macht man sie vielleicht ganz anders.
Ganz falsch wäre es, zu glauben, ein Mehr an Angeboten in Sachen Wissenschaftskommunikation würde automatisch zu besseren oder vernünftigeren gesellschaftlichen Debatten und Entscheidungen führen. Dass diese direkte Verbindung zwischen Wissenschaftskommunikation und gesellschaftlicher Weisheit nicht vorhanden sein kann, zeigen Ergebnisse aus Cultural Cognition und Cultural Theory. Und genau das forschungsnah zu diskutieren – wie Wissenschaftskommunikation machen, wenn es doch so viele, auch wissenschaftlich begründete, Wenns und Abers gibt? –, dazu hilft ein Studium (oder wenigstens ein oder zwei Module im Studium) ungemein.
Für die Zukunft werden neben dem erläuterten Reflexionswissen noch andere Sachen viel wichtiger werden als bisher: Die Digitalkompetenz (digital literacy), welche Informationssuche und Kommunikation im Netz sowohl als soziale Aktivität als auch als Kenntnis der verwendeten Algorithmen in den Lehrplan hebt, wird insbesondere für Kommunikator*innen immer wichtiger. Denn sie sind ja ganz erheblich dafür verantwortlich, dass sie verlässliche Informationen in die Welt setzen. Und sie werden trainieren müssen, mit großen Datenmengen umzugehen, um beispielsweise Diskurse im Netz quantitativ analysieren zu können, Wortführer*innen zu identifizieren oder Expert*innen zu finden, kurz: um die eigene Kommunikation darauf abzustimmen, was „da draußen“ passiert. Das gilt übrigens auch für Journalist*innen, die ich bei allem, was ich sage, immer mitmeine. Ich halte auch diese Digitalkompetenz dabei nicht für eine Softskill-Kompetenz im Sinne einer Zusatzqualifikation, sondern, insbesondere für Wissenschaftskommunikator*innen, aber auch für andere angehende Wissenschaftler*innen, für eine Kernkompetenz, die ganz zentral ins Curriculum gehört.
Fazit: Eigentlich müssen alle, die mit den verschiedenen Öffentlichkeiten über Wissenschaft kommunizieren, sehr, sehr viel über Kommunikation, Medien, große Datenmengen und soziale Medien wissen. Unsere große Herausforderung für die Zukunft wird sein, dies alles in ein Curriculum zu packen.