Foto: Christian Humm, CC BY-SA 4.0

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Februar 2018

Ob beim Impfen, beim Klimawandel oder bei den Effekten von Mediengewalt auf Kinder: Wie bringt man Menschen davon ab, nur das zu glauben, was sie glauben wollen? Damit beschäftigen sich alle drei Studien in diesem Forschungsrückblick auf die eine oder andere Weise.

In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Ergebnisse aus der Forschung zur Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

Impfen: Psychogramm der Widerspenstigen

Noch immer sind viele Ärzte und Politiker überzeugt: Menschen, die sich und ihre Kinder nicht impfen lassen, fehlt es vor allem an Bildung und an Wissenschaftsverständnis. Doch Interventionen, die auf Fakten und Aufklärung basieren, hätten sich bislang größtenteils als erfolglos erwiesen, sagen Psychologen und Kommunikationswissenschaftler um Matthew Hornsey von der australischen University of Queensland. In einer aktuellen Studie in Health Psychology haben die Forscher versucht, den psychologischen Ursachen der weltweit grassierenden Impfverweigerung auf die Schliche zu kommen.

Methodik: Die Forscher gingen davon aus, dass nicht etwa mangelndes Wissen Menschen zu Impfgegnern macht, sondern das Phänomen der „motivierten Informationsverarbeitung“: Unliebsame, also dem eigenen Weltbild widersprechende Befunde werden entweder nicht beachtet oder gedanklich abgewertet. Um herauszufinden, welche psychologischen Merkmale dazu führen könnten, befragten sie mehr als 5000 Personen aus 24 Ländern sowohl über ihre Einstellungen zum Impfen als auch zu verschiedenen Persönlichkeitseigenschaften.

Ergebnisse: 54 Prozent der Befragten weltweit waren „stark“ oder „mittelstark“ gegen Impfungen eingestellt. Am deutlichsten hing eine Anti-Impf-Haltung mit dem Hang zu Verschwörungstheorien zusammen: Impfgegner glaubten beispielsweise eher, dass die US-Regierung vorab von den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wusste, oder dass der Unfall von Prinzessin Diana 1997 in Wahrheit ein Mord im Auftrag des britischen Königshauses war. An zweiter Stelle folgte Reaktanz, also eine generelle, starke Abwehrhaltung gegen wohlmeinende Ratschläge und Einmischung von anderen. Daneben waren Menschen eher Impfgegner, wenn sie sich vor Blut oder Injektionen ekelten und wenn sie eine von Individualismus und Ungleichheit geprägte Gesellschaft befürworteten. Der Bildungsstand der Teilnehmer und ihr Geschlecht hingen dagegen nicht mit den Einstellungen zum Impfen zusammen, das Alter und die politische Ausrichtung nur in sehr geringem Umfang.

Schlussfolgerungen: Die vier psychologischen Konstrukte erklärten Impfgegnerschaft zu einem deutlich größeren Teil als demografische Variablen wie etwa Schulbildung. Man könne sich diese Erkenntnisse in der Kommunikation rund um Impfungen zu Nutze machen, meinen Hornsey und seine Kolleginnen, indem man die entsprechenden Denkmuster in seinen Botschaften aufgreife – ein Ansatz, den die Forscher „Jiu-Jitsu-Überzeugung“ nennen (nach der Kampfsportart, bei der statt eigener Angriffe vor allem die Kraft des Gegners genutzt und gegen ihn verwendet wird). Anstatt der immer gleichen Wiederholung von Fakten könnte man zum Beispiel darauf hinweisen, dass auch Impfgegner nicht zwangsläufig an der Wahrheit interessiert sind, sondern sich ebenso von persönlichen Interessen leiten lassen – etwa mehr Bücher zu verkaufen. Reaktante Personen könnte der Hinweis, dass auch unter Impfskeptikern Konformität und Gruppendruck herrscht, zum Umdenken bewegen. Und Menschen, die Angst vor Injektionen haben, sprechen möglicherweise darauf an, wenn man ihnen die mögliche Konsequenz fehlender Impfungen vor Augen führt: Krankenhausaufenthalte und noch viel langwierigere Behandlungen.

Einschränkungen: Die Forscher haben lediglich die Einstellungen ihrer Probanden zum Impfen erfragt und nicht das tatsächliche Impfverhalten. Die Stichproben waren in vielen Belangen repräsentativ für die jeweiligen Bevölkerungen, vor allem in ärmeren Nationen aber waren Menschen mit höherem Bildungsstand überrepräsentiert. Außerdem liegt zwar nahe, dass die gemessenen Variablen kausal die Einstellungen zum Impfen beeinflussen, prinzipiell ist jedoch auch der umgekehrte Weg denkbar. So ist den Autoren zufolge nicht auszuschließen, dass viele Menschen aus einer schlechten Erfahrung beim Arzt heraus eine Ablehnung von Impfungen entwickeln, die sich schließlich zu einem generellen Hang zu Verschwörungstheorien auswächst – was den gefundenen Zusammenhang ebenfalls erklären würde.

Hornsey, M. J., Harris, E. A. & Fielding, K. S. (in press). The psychological roots of anti-vaccination attitudes: A 24-nation investigation. Health Psychology. http://dx.doi.org/10.1037/hea0000586


Mediengewalt: Unterschätzter Konsens

In mehr als 400 Studien haben Forscher in den vergangenen Jahrzehnten untersucht, welchen Effekt die Darstellung von Gewalt in den Medien – vor allem in TV-Sendungen und Computerspielen – auf die Betrachter hat. Laut Nicole Martins (Indiana University) und ihren Kollegen besteht mittlerweile unter Kommunikationswissenschaftlern weitgehend Konsens darüber, dass der Konsum von Mediengewalt Kinder aggressiver macht. In der Bevölkerung gelte dieser Zusammenhang aber meist als umstritten, wofür Martins und ihr Team auch die mediale Berichterstattung über diese Forschung verantwortlich machen. Journalisten würden etwa aus Gründen der Objektivität gern widersprüchliche Expertenmeinungen präsentieren. In einer aktuellen Studie im Journal of Communication untersuchten die Forscher nun, wie verschiedene Merkmale von Online-Artikeln zu diesem Thema auf die Leser wirken.

Methodik: Die 333 Probanden lasen jeweils einen journalistischen Artikel über eine Studie, in der es um die Effekte von Mediengewalt ging. Darin wurden verschiedene Aspekte variiert: Unter anderem wurde in einigen Berichten eine Expertin oder ein Experte zitiert, der den Befunden der Studie explizit widersprach, in anderen nicht. Manchmal sprachen die Ergebnisse der Studie für eine Verbindung zwischen medialer Gewalt und Aggressivität, manchmal dagegen. Vor und nach dem Lesen des Beitrags sollten die Teilnehmer angeben, welche Meinung sie selbst zur Fragestellung hatten. Anschließend wurden sie gefragt, wie glaubwürdig sie bestimmte Elemente des Artikels finden.

Ergebnisse: Die Teilnehmer änderten eher ihre Meinung über die Effekte von Mediengewalt, wenn sie entweder den Autor des Artikels oder den Forscher, der die Studie durchgeführt hatte, für glaubwürdig hielten. Ob das der Fall war, hing wiederum von mehreren Faktoren ab: Entsprachen die Ergebnisse der Studie den bereits bestehenden Überzeugungen der Probanden, fanden sie sowohl Journalist als auch Forscher glaubwürdiger. Zudem schätzten sie einen interviewten Wissenschaftler als vertrauenswürdiger ein, wenn ein unabhängiger Experte im Artikel dessen Befunde stütze. Widersprach die zweite Quelle dagegen den Ergebnissen der Studie, erschien der Forscher, der die Studie durchgeführt hatte, weniger seriös.

Schlussfolgerungen: Wissenschaftler, deren Ergebnisse in einem journalistischen Artikel durch eine zweite Meinung bestätigt werden, werden von den Lesern als glaubwürdiger eingestuft. Eine Kontra-Stimme hingegen mindert die wahrgenommene Seriosität der Forscher und macht es weniger wahrscheinlich, dass die Leser ihre Meinung zum Thema ändern. Einzig die Journalisten selbst profitieren unter Umständen von diesem Vorgehen: Stimmte das Studienergebnis nicht mit der Überzeugung der Probanden überein, so befanden sie den Journalisten für glaubwürdiger, wenn er eine Gegenstimme zur Studie einbezog. Zu einer Meinungsänderung führte das aber nicht.

Einschränkungen: Der Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Glaubwürdigkeit von Journalisten und Forschern einerseits und einer Einstellungsänderung andererseits ist sehr komplex. Die Forscher konnten in dieser Studie naturgemäß nur einen Teil dieses Geschehens abbilden. In der Realität bilden sich Einstellungen zu wissenschaftlichen Themen auch wohl nicht auf Grund einzelner Artikel, sondern aus einer Vielzahl von Berichten und persönlicher Kommunikation.

Martins, N., Weaver, A. J. & Lynch, T. (2018). What the public “knows” about media effects research: The influence of news frames on perceived credibility and belief change. Journal of Communication, 68, 98–119. http://dx.doi.org/10.1093/joc/jqx004


Klimawandel: Was mein Gegner sagt, muss falsch sein

Der Anteil der Republikaner in den USA, die den Klimawandel für strittig halten, hat sich in den vergangenen 15 Jahren stetig erhöht – in einem Zeitraum also, in dem der Konsens unter Klimaforschern stetig wuchs. Die Politikwissenschaftler Eric Merkley und Dominik Stecuła (beide University of British Columbia) untersuchten nun, weshalb das so ist. Dabei interessierte sie weniger die bekannte Hypothese, dass Zweifel am Klimawandel absichtlich „hergestellt“ werden, auch bekannt als „manufactured doubt“. Stattdessen wollten sie herausfinden, welchen Einfluss die Äußerungen von Politikern, insbesondere von Vertretern der Gegenseite, haben.

Methodik: Die Forscher sammelten die Berichterstattung über den Klimawandel und die globale Erwärmung seit dem Jahr 1980 in einer Reihe von Tageszeitungen und TV-Sendern, darunter vor allem als konservativ geltende Redaktionen – insgesamt rund 6000 Zeitungsartikel und 2200 Fernsehauschnitte. Sie analysierten, wie oft Wissenschaftler, Klimaskeptiker und Politiker beider großer Parteien zu Wort kamen und wie sie sich positionierten.

Ergebnisse: In den untersuchten Beiträgen wurden wissenschaftliche Experten am häufigsten zitiert, gefolgt von Politikern. Organisierte Klimaskeptiker erhielten dagegen selbst in erzkonservativen Medien wie Fox News nur wenig Aufmerksamkeit. Auffällig war jedoch, dass über die Jahre immer häufiger Politiker der Demokratischen Partei zu Wort kamen – die sich fast ausschließlich im Sinne eines existierenden Klimawandels äußerten. Die Anzahl der republikanischen Volksvertreter blieb dagegen gleich oder nahm leicht ab. Sie äußerten sich nur rund in der Hälfte der Fälle explizit klimawandelskeptisch, in den übrigen entweder ebenfalls positiv oder ausgewogen.

Schlussfolgerungen: Erklärte Klimawandelleugner und eindeutig klimaskeptische Äußerungen von Republikanern spielen in der Berichterstattung der meisten – auch konservativen – US-Medien nur eine untergeordnete Rolle. Dagegen wurden die Adressaten in der Vergangenheit sehr häufig mit Vertretern der Demokraten konfrontiert, die klimafreundliche Positionen einnahmen. Dies legt den Forschern zufolge nahe, dass zumindest ein Teil der herrschenden Klimaskepsis unter Anhängern der Republikaner auf einem „Bumerang-Effekt“ beruht, nach dem Motto: Was Politiker der Demokraten für richtig halten, muss falsch sein. Belege für solche Effekte stammen aus früheren Studien, die zeigen, dass das Verhalten des politischen Gegners eine fast ebenso große Wirkung entfalten kann wie das der eigenen Partei.

Einschränkungen: Der Schluss, den Merkley und Stecuła aus ihren Daten ziehen, klingt überzeugend. Direkt gemessen haben sie den Zusammenhang zwischen klimafreundlichen Statements des politischen Gegners und Klimaskeptizismus jedoch nicht. Die Studie liefert daher nur interessante Hinweise auf ein möglicherweise unterschätztes Phänomen, kann jedoch keine Ursache-Wirkungs-Beziehung belegen.

Merkley, E. & Stecuła, D. A. (2018). Party elites or manufactured doubt? The informational context of climate change polarization. Abgerufen unter https://osf.io/674xm