Forschungsergebnisse sind meistens vorläufig, manchmal widersprüchlich. In wissenschaftsjournalistischen Artikeln kommt das oft zu kurz. Wie lässt sich das Verständnis für die Natur wissenschaftlicher Erkenntnisse fördern?
Wie gut verstehen Laien wissenschaftliche Unsicherheit?
Medienberichte über medizinische Fortschritte wecken bei wissenschaftlichen Laien, vor allem bei den betroffenen Patienten, häufig große Erwartungen. Viele Menschen unterschätzen dabei jedoch die „Fragilität“ und Vorläufigkeit der meisten Befunde. Mit Fragilität ist gemeint, dass die gemeldeten Erfolge oft widersprüchlich, empirisch noch nicht besonders gut abgesichert oder nur bedingt verallgemeinerbar sind. In diesem Beitrag widmen wir uns der Frage, ob und wie die Öffentlichkeit die mangelnde Sicherheit und Eindeutigkeit von Forschungsbefunden versteht – und wie der Wissenstransfer von der Wissenschaft in die Öffentlichkeit verbessert werden kann.
Ein Beispiel für ein Forschungsfeld, auf dem es verschiedene Arten von Fragilität gibt, ist das neurochirurgische Verfahren der Tiefen Hirnstimulation (THS). Bei dieser Methode werden kleine Elektroden ins Gehirn implantiert, welche anschließend die betreffende Hirnregion kontinuierlich mit winzigen elektrischen Stromstößen stimulieren. Umgangssprachlich wird die Technik daher auch manchmal „Hirnschrittmacher“ genannt. Die THS ist eine gut erforschte und klinisch etablierte Therapie bei bestimmten Formen der Parkinson-Krankheit. Ob sie jedoch auch gegen psychische Störungen wie Suchterkrankungen oder Depression hilft, ist derzeit Gegenstand intensiver Untersuchungen und Diskussionen. Weder die Risiken noch die Vorteile dieses Verfahrens sind bisher zur Genüge bekannt.
Kontrast zwischen Wissenschaft und Berichterstattung
Wissenschaftsjournalisten berichten für gewöhnlich über kürzlich veröffentlichte Ergebnisse zu einem bestimmten Forschungsgebiet. Dabei stellen sie Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Publikationen häufig als Fakten und gesichertes Wissen da, wie Studien zeigen. Journalistische Formulierungen stehen dadurch oft in scharfem Kontrast zur Fragilität wissenschaftlichen Wissens. Um der Öffentlichkeit ein realistisches Bild von Forschungsergebnissen und von Forschung an sich zu vermitteln, ist es jedoch auch notwendig, über offene Fragen und Diskussionen zu berichten.
Wie lässt sich also die Vorläufigkeit wissenschaftlichen Wissens verdeutlichen und erklären? Und wie hängt der mediale Diskurs über wissenschaftliche Befunde mit der kognitiven Verarbeitung dieser Befunde zusammen? Das haben wir in eigenen empirischen Forschungsarbeiten, mehreren Laborexperimenten und einer Feldstudie, am Beispiel der THS untersucht. Diese Studien wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Im Zentrum stand dabei die Frage, welche Rolle einerseits situationale Einflussfaktoren spielen, etwa Merkmale der Texte, und anderseits individuelle Eigenschaften der Rezipienten.
Die Teilnehmer des ersten Experiments lasen einen Zeitungsbericht über eine explorative Studie, in der THS zur Behandlung schwerer Depressionen eingesetzt wurde. Dabei gab es den Artikel in mehreren, leicht unterschiedlichen Versionen. Mal wurden die Ergebnisse optimistisch umschrieben („vier von sieben Patienten waren anschließend geheilt“), mal pessimistisch („drei von sieben Patienten waren weiterhin depressiv“). Zudem gingen manche Texte explizit auf die Vorläufigkeit der Ergebnisse ein, zum Beispiel mit ergänzenden Sätzen wie: „Ob der antidepressive Effekt auch nach dem untersuchten Zeitraum noch anhielt, ist unklar.“
Teilnehmer, die einen Artikel lasen, in dem die Befunde eher pessimistisch dargestellt wurden, hielten die Forschungsergebnisse anschließend für fragiler als die Leser eines Textes, in dem die Ergebnisse optimistisch beschrieben wurden. Sie stimmten beispielsweise eher den Aussagen zu, dass unser Wissen über die THS noch unvollständig und die aktuellen Studienergebnisse noch nicht endgültig seien. Selbiges galt, wenn der Zeitungsartikel selbst die begrenzte Zuverlässigkeit der Ergebnisse hervorhob. Außerdem spielte die Voreinstellung der Probanden eine Rolle: Personen, die bereits vor dem Lesen des Zeitungsberichts eine positive Einstellung zur THS hatten, hielten die Befunde anschließend im Schnitt für weniger fragil als Teilnehmer mit einer eher negativen Grundeinstellung.
Widersprüchliche Texte vermitteln Fragilität
In zwei weiteren Experimenten mit ähnlicher Methodik bekamen die Probanden zunächst einen einführenden Text über THS zu lesen und anschließend den Artikel eines Wissenschaftsjournalisten. Erkannten sie dabei einen Konflikt zwischen den beiden Texten, hielten sie die im Artikel geschilderten Befunde eher für fragil und schätzten den journalistischen Beitrag als weniger glaubwürdig ein. Zusätzlich untersuchten wir, wie sich eine Persönlichkeitseigenschaft auf diesen Verarbeitungsprozess auswirkt, nämlich die so genannte allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung der Teilnehmer. Darunter versteht man die generelle Überzeugung, Herausforderungen aus eigener Kraft meistern zu können. Personen mit einer höheren allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung beurteilten die Forschungsbefunde als stabiler und endgültiger. Offenbar neigten diese Personen dazu, ihre eigene Kompetenz bei der Bewertung wissenschaftlichen Wissens zu überschätzen.
In weiteren Studien haben wir berücksichtigt, dass Forschungsergebnisse online nicht nur in journalistischen Artikeln diskutiert werden, sondern auch in Nutzerbeiträgen, etwa in Internetforen. Wir fanden heraus, dass eine höhere wissenschaftliche Kompetenz der Nutzer sowie eine stärkere akademische Selbstwirksamkeitserwartung dazu führten, dass sie in ihren eigenen Beiträgen in einem simulierten Online-Forum die Fragilität von Befunden ausführlicher thematisierten. Die akademische Selbstwirksamkeitserwartung verhielt sich also gegensätzlich zur allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung und war bei der Erkennung der Fragilität von Befunden eher förderlich. Die Nutzer thematisierten die Fragilität auch ausführlicher, wenn sie in dem Forum bereits andere Nutzerkommentare gesehen hatten, die sich mit der Vorläufigkeit von Forschungsergebnissen befassten.
In einer Feldstudie haben wir ebenfalls das Verhalten von Internetnutzern untersucht – diesmal anhand echter Beiträge. Wir sichteten alle englischsprachigen Online-Artikel über THS, die zwischen März 2014 und März 2015 publiziert worden waren, und erfassten alle Nutzerkommentare dazu, die sich auch tatsächlich mit der Hirnstimulation befassten. Zudem analysierten wir die Artikel daraufhin, wie konflikthaft die Forschungsergebnisse zur THS darin dargestellt wurden. Ein höheres Niveau an konflikthaften Informationen in den Texten ging damit einher, dass die User in den Kommentaren stärker die Fragilität des Forschungsfelds hervorhoben. Gleichzeitig brachten sie eine negativere Einstellung gegenüber der THS zum Ausdruck. In einer experimentellen Studie konnten wir wiederum zeigen, dass sich Nutzer nicht nur dann zur Fragilität von Befunden äußern, wenn diese im Artikel selbst angesprochen wird, sondern auch, wenn andere Kommentatoren dies bereits in ihren Beiträgen angeschnitten hatten. Durch die Erwähnung von Fragilität samt Begründungen dafür kann demnach ein Kommentator beeinflussen, wie andere Nutzer die präsentierten Erkenntnisse kognitiv verarbeiten.
Vorläufigkeit explizit ansprechen
Unsere Ergebnisse bieten eine Grundlage dafür, das Verständnis von Laien für die Fragilität wissenschaftlicher Ergebnisse weiter zu untersuchen – sie sind in diesem Sinne also ebenfalls als vorläufig zu betrachten. Die Befunde zeigen jedoch schon mögliche Ansatzpunkte auf, wie man Rezipienten dabei helfen könnte, wissenschaftliche Informationen besser zu verstehen. Der offensichtlichste davon ist, dass Wissenschaftsjournalisten ihre Leser bei der Wahrnehmung von Fragilität unterstützen, wenn sie die Vorläufigkeit von Befunden im Text explizit ansprechen und sie statt einer einseitig positiven Berichterstattung eine ausgewogene Darstellung wählen. Dabei sollten bei der Darstellung neuer Ergebnisse und solcher mit schwacher Evidenz auch widersprüchliche Positionen präsentiert werden, was zwar ohnehin zur guten journalistischen Praxis gehört, im Wissenschaftsjournalismus aber nicht immer umgesetzt wird.
Wie schon erwähnt, deutet ein Teil unserer Ergebnisse darauf hin, dass die Darstellung widersprüchlicher Positionen negativere Einstellungen zu den berichteten wissenschaftlichen Ansätzen nach sich ziehen können, unter Umständen die Leser sogar den journalistischen Beitrag selbst als weniger glaubwürdig einschätzen. Wie sich dieses Problem am besten lösen lässt, wird ebenfalls weitere Forschung zeigen müssen. Eine Möglichkeit besteht vermutlich darin, dass Journalisten dieses Problem direkt ansprechen und das Prozesshafte jeder Forschung betonen, um so den vermeintlichen Gegensatz von Fragilität und Glaubwürdigkeit aufzulösen.