Julia Serong hat mit einem Forscherteam der TU Dortmund die Verbreitung von Pressemitteilungen in den vergangenen 20 Jahren untersucht. Ihr Fazit: Als Instrument der Wissenschaftskommunikation sind Pressemeldungen nach wie vor relevant. Das gilt für Informationen aus Medizin oder Biologie jedoch stärker als für solche aus der Mathematik oder den Geisteswissenschaften.
„Die Pressemitteilung ist immer noch wichtig“
Frau Serong, Sie haben die Entwicklung der Pressemitteilungen beim Informationsdienst Wissenschaft (idw) erforscht. Was war der Anlass für diese Studie?
Die Diskussion über Qualität in der Wissenschaftskommunikation – die natürlich schon seit einigen Jahrzehnten geführt wird – hat sich in den letzten Jahren zugespitzt. Stichpunkte sind etwa die Digitalisierung und die Konvergenz von Wissenschaftskommunikation und Journalismus. Aber dieser Debatte fehlt es oft an empirischen Grundlagen, und sie ist geprägt von eher plakativen Thesen. Mit unserem Forschungsprojekt wollten wir zunächst einmal grundlegende, deskriptive Daten zu einem wichtigen Instrument der Wissenschafts-PR bereitstellen, nämlich der Pressemitteilung. Unsere Ausgangsfrage war: Wer kommuniziert eigentlich wie intensiv mit Hilfe von Pressemeldungen?
Warum haben Sie sich den idw als Forschungsobjekt ausgesucht?
Der idw ist der größte deutschsprachige Dienst dieser Art. Schon seit seiner Gründung 1995 lief der gesamte Service online, weshalb das frei verfügbare Archiv im Netz nun ein beachtliches Ausmaß angenommen hat: Zwischen 1995 und 2015 wurden mehr als 300.000 Pressemitteilungen veröffentlicht. Die haben wir mit Erlaubnis des idw heruntergeladen und nach bestimmten Merkmalen ausgewertet, etwa dem Fachgebiet oder der herausgebenden Institution.
Was waren die wesentlichen Erkenntnisse?
Zunächst einmal ist deutlich geworden, dass die klassische Pressemitteilung immer noch wichtig ist. Ein einheitlicher Trend, das hat unsere Analyse für verschiedene Institutionengruppen gezeigt, lässt sich in der Wissenschafts-PR jedoch nicht ausmachen. Die Zahl der Institutionen, die sich beim idw registriert haben und ihn auch aktiv zur Verbreitung von Pressematerial nutzen, ist in den vergangenen 20 Jahren gestiegen, allerdings zunehmend langsamer als noch in den Anfangsjahren des Dienstes. Bei den Universitäten etwa sehen wir einen Sättigungseffekt, denn es sind mittlerweile beinahe alle dort vertreten. Die Anzahl der Fachhochschulen, die den idw nutzen, wächst aber weiterhin.
Und bei den Pressemeldungen selbst?
Die meisten Mitteilungen kommen erwartungsgemäß von Universitäten. Denn zum einen haben sie im Schnitt deutlich mehr wissenschaftliches Personal und Ressourcen als andere Forschungseinrichtungen, zum anderen besteht bei ihnen allein im Bereich Studium und Lehre ein erhöhter Bedarf an Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Wenn wir uns die Universitäten anschauen, die beim idw besonders aktiv sind, dann scheint die Zahl der veröffentlichten Meldungen allerdings nicht unbedingt mit der Größe oder der Reputation der Einrichtung zusammenzuhängen. Was wir mit unserer Studie leider nicht beantworten konnten, ist: Was erhoffen sich die Kommunikatoren davon, wenn sie sehr viele Meldungen verbreiten, und ist dieses Vorgehen effektiv? Das müssten weitere Untersuchungen klären.
In einigen Analysen haben Sie aber einen Rückgang der Zahl der Pressemitteilungen festgestellt. Woran liegt das?
Insgesamt zeigt die Menge an Pressemitteilungen, die über den idw versendet wird, keinen eindeutigen Abwärtstrend, sondern sie schwankt in den letzten 5 Jahren um etwa 20.000 pro Jahr. Bei den verschiedenen Institutionengruppen, etwa Stiftungen, Ministerien oder Fachgesellschaften, sieht die Entwicklung allerdings unterschiedlich aus. Mitunter geht der Zuwachs an Pressemeldungen, den man in einer Institutionengruppe sieht, darauf zurück, dass sich in dieser Gruppe mehr Einrichtungen beim idw angemeldet haben und darüber kommunizieren, wie zum Beispiel bei den Instituten der Leibniz-Gemeinschaft. Bei anderen, wie der Helmholtz-Gemeinschaft, geht der Zuwachs an Pressemitteilungen tatsächlich auf eine gesteigerte PR-Aktivität der einzelnen Mitgliedseinrichtungen zurück. Überraschend war: Bei den Pressemitteilungen, die von Universitäten verschickt werden, sehen wir einen Gipfel zwischen den Jahren 2002 und 2008, aber seitdem gibt es einen deutlichen und unerwarteten Rückgang.
Weil das Versenden von Pressmeldungen für Universitäten in den letzten Jahren weniger attraktiv geworden ist?
Über die Gründe können wir bislang nur spekulieren. Ich denke, dass die Pressemitteilung als Kommunikationsinstrument grundsätzlich auch für Universitäten nach wie vor sehr relevant ist. Meine Vermutung ist, dass es in den Jahren 2002 bis 2008 einfach sehr viele Meldungen von Universitäten gab, die im Zusammenhang mit dem Exzellenz-Wettbewerb oder der Bologna-Reformen standen. Zum einen waren hier viele Unis besonders darauf bedacht, ihre Forschung gut sichtbar zu machen. Und zum anderen verbreitet der idw ja nicht nur Mitteilungen über Forschungsergebnisse und neue Publikationen, sondern auch zu Studium und Lehre, Wissenschaftspolitik, Personalia oder in der schönen Kategorie „Buntes aus der Wissenschaft“. Was wie ein Rückgang aussieht, könnte also auch einfach eine Normalisierung der Zahl an Pressemitteilungen von Universitäten sein. Aber noch lässt sich das nicht abschließend beurteilen.
Also gibt es keine Anzeichen dafür, dass neue Kommunikationskanäle der Pressemitteilung den Rang ablaufen?
Es gibt Studien, denen zufolge sich die Personalausstattung der universitären Pressestellen in den letzten Jahren zwar verbessert hat, aber im Zuge der Digitalisierung und der wachsenden Bedeutung des Hochschulmanagements ist auch das Spektrum an Aufgaben erweitert worden. Das heißt aber nicht, dass Pressemitteilungen weniger wichtig werden, sondern es kommen vielleicht einfach nur neue Dinge hinzu – multimediale und direkte Kanäle der Kommunikation etwa. Aber meiner Meinung nach kommt die Wissenschafts-PR auch im Social-Media-Zeitalter noch lange nicht ohne den Wissenschaftsjournalismus aus, etwa wenn man bedenkt, welche Informationen die Leser für glaubwürdig halten. Und die Pressemeldung ist für diese Schnittstelle ideal, denn sie simuliert gewissermaßen die journalistische Nachricht und ist deshalb für Redaktionen nach wie vor sehr attraktiv.
Gibt es Unterschiede darin, wie die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen im idw repräsentiert sind?
Auf jeden Fall. Ganz weit vorne sind Meldungen aus der Medizin. Das spiegelt auch einen großen Trend im Wissenschaftsjournalismus wieder: Untersuchungen zufolge handeln derzeit ein Viertel bis die Hälfte aller Artikel in der Wissenschaftsberichterstattung von medizinischen Themen. Danach folgen beim idw solche aus Informationstechnik, Biologie, Gesellschaft, und Wirtschaft. Stark gewachsen in den letzten Jahren ist auch der Bereich Umwelt und Ökologie. Meldungen aus der Chemie oder Mathematik dringen dagegen deutlich seltener an die Öffentlichkeit. Und erwartungsgemäß gibt es vergleichsweise wenige Pressemitteilungen etwa zu Philosophie, Kunst oder Sportwissenschaft. Hier müsste man in weiteren Studien noch ergründen, warum aus diesen Fachgebieten, in denen ja auch geforscht wird, weniger nach außen gelangt. Unsere Untersuchung liefert hierfür keine Erklärung, sondern bietet erst einmal eine Möglichkeit zur Selbstbeobachtung der Wissenschafts-PR.
Denken die Pressestellen vielleicht selbst, dass geisteswissenschaftliche Themen weniger verfangen?
Grundsätzlich ist die Beeinflussung von Wissenschafts-PR und Wissenschaftsjournalismus wechselseitig möglich, das heißt, durch das Angebot selbst kann man durchaus auch Themen setzen. Ich denke daher schon, es würde sich lohnen, wenn die Wissenschafts-PR sich intensiver mit den Geisteswissenschaften auseinandersetzen würde. Vor allem aber wundert mich, dass die Themenfelder Gesellschaft und Wirtschaft in der brancheninternen Diskussion so wenig Aufmerksamkeit erhalten. Denn diese Themenbereiche sind ja nicht nur im Journalismus wichtig, sondern, wie unsere Studie gezeigt hat, auch in der Wissenschafts-PR. Ich denke, dass das Selbstbild, das die Wissenschafts-PR von sich hat, immer noch sehr stark natur- und technikwissenschaftlich geprägt ist. Viele große gesellschaftliche Fragen, über die wir derzeit diskutieren, lassen sich aber nicht allein durch naturwissenschaftliche Forschung lösen, denken Sie etwa an die Themen Migration und Integration oder auch die Probleme mit Impfgegnern und Klimawandelskeptikern.
Haben Sie auch die Qualität der Pressemitteilungen untersucht?
Nein, im Rahmen dieser Studie noch nicht, denn da ging es uns erst einmal um eine deskriptive Analyse. Aber wie Ende 2017 auf dem Forum Wissenschaftskommunikation bekannt wurde – wo ich die Ergebnisse dieser Studie auch vorgestellt habe –, gibt es Bestrebungen von Seiten des idw selbst, die Qualitätssicherung zu verbessern. Das ist natürlich zu begrüßen, ganz unabhängig von der aktuellen Qualität der Informationen. Denn wer an so einer zentralen Stelle der Wissenschafts-PR in Deutschland steht, hat auch eine besondere Verantwortung, die Kommunikation mitzugestalten.